Die kommende Tarifrunde ist eine besondere: Erstmals seit zehn Jahren sieht sich Verdi Baden-Württemberg nicht unter den Vorzeichen einer Krise verhandeln. Doch die hohen Mieten setzen die Gewerkschaft unter Druck.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Die nächste Tarifrunde bei Bund und Kommunen findet aus Sicht von Verdi Baden-Württemberg unter sehr günstigen Vorzeichen statt: „Seit 2008 verhandeln wir im öffentlichen Dienst immer unter dem Begriff Krise“, sagt Landeschef Martin Gross mit Blick auf die Finanz- und Wirtschaftskrise, Euro- und Flüchtlingskrise. „Seither hören wir von den Arbeitgebern: die Hütte brennt, und die Bezahlung der Beschäftigten steht jetzt nicht im Mittelpunkt der Politik.“ Diesmal gebe es keine große Krise und „erstmals seit 50 Jahren Überschüsse im Gesamtstaat“.

 

In den Kommunen seien die Überschüsse zwar ungleich verteilt – anders als im Südwesten leiden die Städte im Ruhrgebiet weiter an ihrer Finanznot. Doch werde diesmal generell nicht über den Mangel verhandelt. Das bedeutet: „Es ist Zeit für eine faire Verteilung“ des Geldes an die bundesweit gut 2,1 Millionen Tarifbeschäftigten der Kommunen, von denen jeder Zehnte in Baden-Württemberg arbeitet.

„Zwei Prozent sind weitaus zu wenig“

Nachdem die IG Metall eine Sechs-Prozent-Forderung vorgelegt hat, dürfte auch Verdi Baden-Württemberg am 18. Januar diese Zahl zum Maßstab erheben. Die Stimmung bei den bisherigen Tarifkonferenzen spricht dafür. Im Abschluss soll partout eine Drei vor dem Komma stehen. „Wenn man hört, dass einzelne Kämmerer zwei Prozent als Tarifsteigerung einplanen und meinen, dass dies besonders hoch sei, so ist dies ein Irrtum“, betont Gross. „Diese Tarifrunde wird weitaus mehr kosten.“

Diesmal wird die Debatte von einem neuen Zündstoff befeuert, den die Arbeitgeber gar nicht direkt beeinflussen können: „Das Wohnen wird zu der neuen sozialen Frage“, sagt Gross. „Die steigenden Mieten bringen einen Mordsdruck, weil alle damit Probleme haben“ – auch außerhalb der Ballungsräume. Angesichts der Singularisierung in der Gesellschaft leben vermehrt Haushalte von einem Gehalt. Es herrsche das Bewusstsein: „Durch die Mietpreisanhebungen können wir es uns bald nicht mehr leisten zu wohnen, wo wir den Laden flott halten.“ Nachwuchskräfte seien folglich immer schwerer zu bekommen.

Den Rechtspopulisten die Munition nehmen

Nachdem der alte Verdi-Wunsch nach einer Ballungsraumzulage bisher an den Arbeitgebern gescheitert ist, lastet das Problem schwer auf dem Verhandlungstisch. Es hat auch eine politische Dimension. Verdi will sich keinesfalls auf das Spiel der AfD einlassen, bei dem die Rechtspopulisten sagen: Für die Flüchtlinge ist Geld da, nicht jedoch für die eigenen Leute. Allerdings gibt man sich bei der Gewerkschaft davon überzeugt, „dass die AfD auch deswegen so stark ist, weil bestimmte soziale Fragen vernachlässigt wurden“. Auch um die demokratische Kultur zu schützen, müsse man den Beschäftigten vermitteln, dass für alle genug zu verteilen sei.

Vor allem die unteren Lohngruppen werden stärker auf eine „soziale Komponente“ – eine Mindestanhebung etwa – drängen als sonst. Bei den Arbeitern ist der Wunsch diesmal besonders groß, prozentual mehr herauszuholen als die Besserverdiener im öffentlichen Dienst. Gross sieht eine Bereitschaft zu kämpfen. „Die Leute sind nicht erschrocken.“ Die Arbeitgeber seien gut beraten, „von Anfang an mit entsprechender Wertschätzung ranzugehen“. Bei einem „Billigheimer-Angebot“ könnten „die Leute ziemlich wütend werden“.

Nachholbedarf gegenüber der Industrie

Absehbar sei es, dass der öffentliche Dienst Zigtausende Fachkräfte in der nahen Zukunft verlieren werde. Über die Lohnentwicklung müssten die Städte und Gemeinden als Arbeitgeber attraktiv bleiben. „Die Sparfüchse in den Rathäusern denken da zu kurz“, moniert Gross. Ihn irritiert, dass in den gescheiterten Jamaika-sondierungen über die Verteilung von 45 Milliarden Euro gesprochen worden sei, ohne zu bedenken, dass ein Teil davon beim öffentlichen Dienst landen werde.

Auch den Nachholbedarf gegenüber der Industrie wird Verdi wieder als Argument anführen – wissend, dass die Lücke auf Dauer nicht zu schließen sein wird, weil die Gewerkschaften der Metall- und Chemieindustrie ihrerseits die gute Konjunktur zu kräftigen Lohnzuwächsen nutzen wollen. „Wir müssen verhindern, dass sich die Lücke noch weiter auftut“, betont der Landeschef. „Wann, wenn nicht jetzt, wo die öffentlichen Finanzen so solide sind.“