Die Gewerkschaft Verdi fordert vom Bund und den Kommunen sechs bis sieben Prozent höhere Einkommen. Am 1. März beginnen die Verhandlungen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Erstmals seit 2008 gelangen die Kommunen dank sprudelnder Steuereinnahmen wieder in den Genuss eines Etatüberschusses. Das Defizit in ihren Kassen schrumpfte im vorigen Jahr von 7,7 auf drei Milliarden Euro. 2012 sind sogar schwarze Zahlen möglich. Ungeachtet der extremen Unterschiede in der Leistungskraft der Städte und Gemeinden und trotz der unsicheren wirtschaftlichen Zukunft wachsen bereits die Begehrlichkeiten.

 

Vor der Tarifrunde für 1,3 Millionen Tarifbeschäftigte des Bundes und der Kommunen seien die Erwartungen hoch, sagt Bernd Riexinger, der Geschäftsführer des Verdi-Bezirks Stuttgart - einer Bastion derGewerkschaft. Der Krisentarifabschluss von Ende Februar 2010 habe die Reallöhne nicht absichern können. "Insofern besteht enormer Nachholbedarf." Abgesehen von den strukturellen Problemen, die aber mit der Steuerpolitik und nicht mit den Personalkosten zu tun hätten, sei es um die Gemeindefinanzen gut bestellt. Daher gebe es keinen Grund, jetzt zurückhaltend zu sein. "Unsere Mitglieder würden es nicht verstehen, wenn wir jetzt keine offensive Lohnpolitik machen würden", betont Riexinger.

Verdi peilt Mindestlohnerhöhung von 180 Euro an

Erstmals hat die Verdi-Zentrale eine eigene Empfehlung herausgegeben, wonach die Gewerkschaft sechs bis sieben Prozent höhere Gehälter anstreben soll. Die Forderung wird am 9. Februar beschlossen - mutmaßlich wird sie eher bei sieben als bei sechs Prozent liegen. Am 1. März beginnen die Verhandlungen, und schon jetzt drückt die Gewerkschaft aufs Tempo: "Wenn die Arbeitgeber in der ersten Runde nichts anbieten, müssen sie im Anschluss mit verstärktem Druck rechnen", sagt Riexinger. Gemeint ist eine erste Welle von Aktionen - und die würden auch die Bürger treffen. Empfindlich gestört werden könnte das öffentliche Leben gar nach Ostern, sofern eine vorherige Schlichtung erfolglos geblieben ist. "Ohne eine glaubwürdige Androhung, dass wir auch anders können und notfalls in den Arbeitskampf gehen, werden wir nichts kriegen", sagt Riexinger.

Um die unteren Entgeltgruppen zu stärken, peilt Verdi der Empfehlung aus Berlin zufolge eine Mindestlohnerhöhung von 180 Euro an. Auch in Stuttgart würde sie damit ihre "Kampftruppen" stärken: die SSB-Beschäftigten, die Erzieherinnen, den Arbeiterbereich samt Müllabfuhr und Tiefbauämtern sowie die Krankenhausbelegschaften - alle sind sie offenbar der Ansicht, nicht angemessen bezahlt zu werden.

Arbeitgeber geben sich moderat

Während Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vor seiner ersten Tarifrunde noch Zurückhaltung übt, geben sich die sonst so kämpferischen kommunalen Arbeitgeber bis jetzt moderat. Ihre Mitgliederversammlung bekannte sich sogar zu einem für die Mitarbeiter "akzeptablen Abschluss". "Eine Nullrunde scheint mir schwer begründbar, da die Beschäftigten verständlicherweise eine Beteiligung am Aufschwung erwarten", sagt Verbandspräsident Thomas Böhle. Die Forderung halten sie naturgemäß für nicht umsetzbar. Bis zu sieben Prozent mehr Lohn würden mit sechs Milliarden Euro zu Buche schlagen, rechnet Böhle mit Grausen hoch.

Auch die 180 Euro als soziale Komponente lehnt der VKA-Präsident strikt ab. Bei den Entsorgungsbetrieben oder im Nahverkehr "stehen wir in scharfer Konkurrenz zu den privatwirtschaftlichen Betrieben, die ihrer Belegschaft schon jetzt bis zu 30 Prozent weniger bezahlen", so Böhle. "Ein Mindestbetrag wäre ein Signal für weitere Privatisierungen im öffentlichen Dienst." Dabei ist die Privatisierungswelle in den letzten Jahren klar abgeebbt.

Auch der Beamtenbund bringt sich in Stellung

Doch schon aus Eigennutz sollten die Arbeitgeber handeln, denn immer größer werden die Nachwuchsprobleme in den öffentlichen Einrichtungen. "Die Gehälter in der Kranken- und Altenpflege wie auch in der Verwaltung müssen gegenüber vergleichbaren Positionen in der Privatwirtschaft konkurrenzfähig sein", mahnt Verdi-Chef Frank Bsirske. Eine Untersuchung des Statistischen Landesamtes in NRW habe jüngst gezeigt, dass dieBezüge des öffentlichen Dienstes im Schnitt um 20 Prozent unter den Gehältern der Privatwirtschaft lägen; da gebe es Aufholbedarf.

Auch der Beamtenbund (DBB) bringt sich in Stellung - nicht nur wegen der von der DBB-Tarifunion organisierten Angestellten, sondern weil der Tarifabschluss wie gewohnt auf die 350.000 Beamten des Bundes, Richter und Soldaten übertragen werden soll. Am Sonntag trafen sich die Funktionäre zu ihrer hochkarätig besetzten Jahrestagung in Köln. Am Montag wird Kanzlerin Angela Merkel erwartet - und den Gastgebern vermutlich sanft ins Gewissen reden.

Fahrplan zur Tarifrunde

Forderung: Am 1. Februar gibt der Verdi-Bezirk Stuttgart, am 3. Februar die baden-württembergische Tarifkonferenz ihre Empfehlung ab. Am 9. Februar soll die Große Tarifkommission auf Bundesebene die Forderung beschließen. Der Entgelttarifvertrag bei Bund und Kommunen läuft samt Friedenspflicht am 29. Februar aus.

Verhandlungen: Bis jetzt sind drei Verhandlungstermine festgelegt: der 1. März, der 12. und 13. März sowie der 28. und 29. März. Verdi erwartet, dass es um Ostern (6. bis 9. April) zur Schlichtung kommt, wenn bis zur dritten Runde kein Ergebnis erzielt wird. Wird der Schlichterspruch von einer der beiden Seiten nicht akzeptiert, könnte es nach Ostern zum Arbeitskampf im öffentlichen Dienst kommen.