Der Verein für Heimatpflege in Gerlingen wächst seit Jahren stetig. Mehr Mitglieder können mehr bewegen, weiß der Vorsitzende Jürgen Wöhler.

Es sind viele Ziele, die sich Jürgen Wöhler auf die Fahne geschrieben hat, als er anno 2018 den Vorsitz des Vereins für Heimatpflege übernommen hat. Zum Beispiel wollte er mehr Mitglieder gewinnen und den Altersdurchschnitt senken. Das hat geklappt. Aktuell zählt der Verein 372 Mitglieder – fast 100 mehr als 2018. Die Altersspanne bei den Neulingen liegt zwischen 20 und 87 Jahren. Zudem hat sich wahlbedingt zuletzt der Vorstand verjüngt. „Es geht nur über die persönliche Ansprache“, sagt Jürgen Wöhler. Bei Veranstaltungen, im Privaten, mit einer großen Portion Begeisterung, die anstecke. Was die Bevölkerung weiß.

 

Scherzhaft freilich erzählt der 72-Jährige, manche Menschen würden die Straßenseite wechseln, wenn er ihnen entgegenkommt. „Vor mir ist man nicht sicher“, sagt Jürgen Wöhler und lacht. Er hat meist Mitgliedsanträge griffbereit. Wer ihn positiv auf das Tun des Vereins oder auf ihn als Vorsitzender anspricht, kriegt ein Formular in die Hand gedrückt. Und er geht mit Leuten ins Gespräch, die sich in der Stadt zum Beispiel Kirchen angucken. Es hilft, dass er so bekannt ist, sagt der Jurist und Historiker. Er lebt seit dem Jahr 1963 in Gerlingen und hatte immer viele Ehrenämter.

Geschichtsbewusstsein und Lebensqualität in Gerlingen fördern

Dennoch, die Arbeit des Vereins ist grundsätzlich keine Ein-Mann-Show, betont Jürgen Wöhler. Ein Aspekt, der sicher auch zum Aufschwung beigetragen habe, sei die in den vergangenen Jahren deutlich positivere Besetzung des Begriffs Heimat, nicht nur durch den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und die neubenannten Heimatministerien im Bund und in ein paar Ländern. „Es ist auch im kommerziellen Bereich sehr sichtbar, dass sich Gin und Weine offenbar unter dem Namen Heimat besser verkaufen“, stellt Jürgen Wöhler fest.

Um Heimat dreht es sich beim Verein seit mehr als 40 Jahren. Er will das Geschichtsbewusstsein und die Lebensqualität in Gerlingen fördern, das Heimatgefühl stärken. Das geschieht mit Initiativen, Publikationen und Veranstaltungen, von denen es auch 2023 zahlreich gibt. Je mehr Mitglieder der Verein hat, desto mehr kann er bewegen, zumal der Einsatz in der Regel auch Geld kostet.

Zwei neue Heimatblätter in Arbeit

Da sind zum Beispiel die Heimatblätter, die regelmäßig mit einer Auflage von 1000 Stück erscheinen. Die jüngste Ausgabe, die Künstlerheimat Gerlingen, verkauft sich blendend, berichtet Jürgen Wöhler. Zwei neue Titel sind in Arbeit: die Stadtwerdung unter dem parteilosen Bürgermeister Wilhelm Eberhard (1955 bis 1983), der hätte nächstes Jahr seinen 100. Geburtstag, und Gerlingen als Heimat für Musik. Er habe viele Ideen, sagt Jürgen Wöhler und nennt das Thema Wein. Und die Römer.

Nur wenigen Gerlingern sei bekannt, dass die alte Römerstraße vom Cannstatter Kastell über Pforzheim nach Straßburg zwischen den KSG-Sportplätzen über die Studentenallee in der Waldsiedlung und dann entlang der heutigen Gemarkungsgrenze zu Leonberg verlaufen ist. Die Römerstraße bezeichnet Jürgen Wöhler als sein Herzensanliegen. Gern würde er an verschiedenen Stellen mit Hinweisschildern darauf aufmerksam machen, welche Bedeutung Gerlingen einst für die Römer hatte.

Nach vorn denken, nicht zurückblicken

Die alte Römerstraße hat Jürgen Wöhler auch im Kopf, wenn er an die „interessanten Plätze außerhalb des Ortskerns“ denkt, die im Flyer zum Stadtrundweg auch erwähnenswert wären. Die Seedammbrücke oder das Sühnekreuz fehlen ebenfalls noch in der wegen der Veränderungen im Stadtbild überarbeiteten Version mit jetzt insgesamt 32 Stationen. Er denkt nach vorn, sagt Jürgen Wöhler. An das, was man aufnehmen könne – wie es beim Gasthof zum Hirsch der Fall war, für dessen Erhaltung der Verein ebenso erfolgreich gekämpft habe wie zuvor für das Rebmann-Haus und das Stadtmuseum – und nicht an das, was weg ist.

So ist auch das ausführliche Begleitheft zum Stadtrundweg auf die Zukunft ausgerichtet. Das Werk erscheint im März, vor dem nächsten Heimatblatt, und bietet mehr Informationen, mehr Fotos als der Flyer, der kurz den Ist-Zustand beschreibt. Die Infos lassen sich auch per QR-Code abrufen. Denn neben „Spontaninteressierten“ will der Verein noch mehr jüngere Leute ansprechen, die unter 50. Im Zuge der Modernisierung des Vereins hat der auch seinen Internetauftritt auf Vordermann gebracht.

Füllerkreisel erhält Wappen der Partnerstädte

Womit sich der Verein derzeit noch beschäftigt? Nachdem ein Mitglied 2000 Euro spendete, werden fünf Bänke aufgestellt. Das sei mit der Stadt abgestimmt, mit der die Zusammenarbeit sehr gut sei, so Wöhler. Auf Anregung des Vereins wird zudem der Füllerkreisel mit den Wappen der Partnerstädte verschönert. Den Beschluss im Gemeinderat gebe es bereits, die Finanzierung stehe auch. Der Verein investiert 10 000 Euro.

Jürgen Wöhler, der, wie er sagt, schon als Kind Geschichtsbücher liebte und mit geschichtsinteressierten Eltern aufwuchs, ist sich bewusst, „dass wir nicht gegen Windmühlen kämpfen können“. Man müsse selbstverständlich den nötigen Wohnraum schaffen. Dabei gelte es aber, wichtige, beispielhafte Dinge zu schützen, die Schönheit und die historische Kontinuität sichtbar zu machen und zu schauen, dass keine Sünden begangen werden.