Im Sillenbucher Verein Pflichtverteidigerbüro sind mehr als 50 Strafrechtler zusammengeschlossen. Sie kann man notfalls anrufen, wenn Ungemach droht.

Sillenbuch - Die Polizei fährt vor, stürmt in ein Gebäude, legt einem Mann Handschellen an und führt ihn ab. Bevor sein Kopf im Polizeiauto verschwindet, ruft er seiner Frau noch zu: „Ruf einen Anwalt an!“ – So oder so ähnlich hat man es schon zigmal im TV-Krimi gesehen. Doch wen zieht man eigentlich zurate, wenn es daheim zur Durchsuchung kommt, wenn eine vorläufige Festnahme ansteht oder eine Vorführung zum Haftrichter? Blättert man dann im Telefonbuch?

 

Das Pflichtverteidigerbüro hat einen entscheidenden Tipp: die „Feuerwehr“ anrufen. Gemeint ist damit ein 24-Stunden-Notdienst, den der in Sillenbuch ansässige Verein gemeinsam mit dem Anwaltverein Stuttgart organisiert. Insgesamt 80 im Strafrecht erfahrene Anwälte stehen dafür ehrenamtlich bereit. Über die Hotline 0711/99 88 99 66 wird man zum diensthabenden Juristen weitergeleitet.

Jeder hat das Recht auf einen Verteidiger seiner Wahl

Warum das wichtig ist, erklären Melanie Freiin von Neubeck und ihr Kollege Franz Friedel. Die 41-Jährige ist die Pflichtverteidigerbüro-Vorsitzende und arbeitet in der Sillenbucher Kanzlei, die als Geschäftsstelle des Vereins fungiert. Der 64-Jährige ist der ehemalige Vorsitzende. Beide sind Fachanwälte für Strafrecht mit langjähriger Erfahrung. Sie erläutern den gesetzlichen Hintergrund. Vor einiger Zeit wurde verpflichtend eingeführt, dass ein Beschuldigter nach der Strafprozessordnung zu Beginn einer Vernehmung bei der obligatorischen Belehrung auch darüber aufgeklärt werden muss, dass er das Recht auf einen Verteidiger seiner Wahl hat und dass es grundsätzlich Möglichkeiten wie einen Notdienst gibt. „Das war der Anlass, den Notdienst rund um die Uhr zu initiieren“, erklärt Friedel. Die Hotline des Anwaltvereins gab es zwar seinerzeit schon, sie galt allerdings nur für die Abendstunden und Wochenenden. Das Pflichtverteidigerbüro organisiert seither die Tagesschicht, um das Angebot zu komplettieren.

Der Verein wurde 2013 gegründet. Heute hat er 53 Mitglieder aus den Landgerichtsbezirken Stuttgart und Heilbronn. Es geht um die Vernetzung und Weiterbildungen, „um die Qualität der Strafverteidigung zu heben“, erklärt von Neubeck. Der Verein ist zudem um die Verbesserung des Rufs der notwendigen Verteidiger, wie Juristen zu sagen pflegen, bemüht. „Pflichtverteidiger haben ein schlechtes Image: schlecht, korrupt, biedern sich bei Gerichten an“, erklärt Friedel.

Tatsächlich komme es in der Praxis vor, dass Gerichte aus Gewohnheit immer dieselben Verteidiger beiordneten, wenn der Beschuldigte keinen eigenen Anwalt habe. Die Gefahr: eine Verteidigung nach Schema F. „Das wollen wir verhindern, wir wollen Transparenz“, sagt Friedel. Es sei wichtig, dass stets ein qualifizierter Strafrechtler hinzugezogen werde und nicht irgendein Anwalt. Wenn man Zahnschmerzen habe, gehe man schließlich auch nicht zum Gynäkologen, sagt von Neubeck.

Verfahren werden beschleunigt

Die Notfallnummer sei der Polizei und Haftrichtern bekannt. Seltener riefen Privatleute selbst an. Auf der Vereinshomepage wird von Studien gesprochen, wonach Beschuldigte, die sachgerecht verteidigt würden, durchschnittlich 18 Tage kürzer in U-Haft säßen als Unverteidigte, auch würden durch eine frühzeitige Verteidigung Verfahren beschleunigt. Die Akzeptanz von Urteilen sei zudem höher, sagt Friedel. Er stellt klar: „Es geht hier um Menschenrechte.“ Seine Kollegin pflichtet ihm bei: „Jeder hat das Recht, dass seine Rechte gewahrt werden. Jeder Straftäter ist ein Mensch.“