Vor einem Jahr hat Thomas Hitzlsperger, der Vorstandsvorsitzende des VfB Stuttgart, den Vereinspräsidenten Claus Vogt öffentlich attackiert. Wir blicken in unserem Antwortschreiben aber nicht nur zurück.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Lieber Thomas Hitzlsperger,

 

ich schreibe Ihnen einen Brief, damit wir uns alle gemeinsam erinnern: Vor einem Jahr haben Sie Ihren offenen Brief an die Mitglieder und Fans des VfB Stuttgart veröffentlicht. Vier DIN-A4-Seiten lang ist das Schreiben einer noch nie da gewesenen Bestandsaufnahme der Vereinspolitik aus ihrer Sicht gewesen, der Perspektive des besorgten Vorstandsvorsitzenden. Nach nächtelangen Überlegungen und zahlreichen Gesprächen ist es das Dokument, das Sie nach Ihrem meisterlichen Schuss 2007 ein zweites Mal in die Vereinshistorie katapultiert hat.

Der Brief steckt voller Kritik an Präsident Claus, der ja gleichzeitig als Aufsichtsratschef ihr oberster AG-Kontrolleur ist. Als ungeheuerlich haben viele geschäftserfahrene Menschen diesen Vorgang empfunden. Man stelle sich nur vor, der Daimler-Vorstand Ola Källenius würde so seinen Aufsichtsratsvorsitzenden Bernd Pischetsrieder angreifen. Für die Ultragruppierungen war die Attacke schließlich das Signal zum Kampf gegen das Establishment. Bei der Mehrzahl der VfB-Anhänger herrschte allerdings Unverständnis darüber, dass Sie sich mit Herrn Vogt nicht verstehen. Wo es sportlich doch gerade so gut lief mit der jungen Mannschaft, der Präsident ein netter Kerl ist und in der Öffentlichkeit ein harmonisches Bild vermittelt wurde.

Die Kritik wurde nie zurückgenommen

Und dann das! Ein Hammer. Der Präsident könne nicht führen, er treffe keine Entscheidungen, beherrsche keine Streitkultur, lasse sich von Beratern lenken, komme seinen Informationspflichten nicht nach und mache ohnehin nur das, was ihm persönlich nutze, lauteten Ihre Vorwürfe.

Bis heute haben Sie – trotz persönlicher Entschuldigung – diese Punkte nie zurückgenommen. Und bis heute ist es so, dass inhaltlich sehr wenig über die klar formulierten Einlassungen diskutiert wurde, sondern vielmehr über Ihr Vorgehen. Nur Kopfschütteln hat das hervorgerufen und den Eindruck verstärkt, dass Ihr Krisenmanagement nicht funktioniert. Denn verstärkt wurde das Ganze durch Ihren eigenen Griff nach der Präsidentschaft. Sie hatten zuvor Ihre Kandidatur beim Vereinsbeirat eingereicht.

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Ob dies ein Akt der Verzweiflung war, weil Sie sich schon damals keine Zusammenarbeit mit Herrn Vogt vorstellen konnten, oder ein Anflug von Selbstüberschätzung, ist ebenfalls bis heute ungeklärt. Vielleicht waren Sie nur schlecht beraten und fühlten sich später gar verkauft. Die folgenden Wochen bildeten jedenfalls einen Stresstest. Ein Riss durchzog den VfB, der sich so gerne als Familie darstellt. In der Innensicht hieß es: Claus Vogt lähmt das Vorwärtskommen der AG, und in der Außenwahrnehmung: Claus Vogt gegen den Rest der alten VfB-Welt.

Ausgetragen wurde der Machtkampf über die Aufklärung der Datenaffäre. Mitgliederdaten waren im Zuge der Ausgliederung der Profiabteilung unerlaubt an Dritte weitergegeben worden. Es wurden die Verantwortlichen gesucht – und gefunden wurde auch die Möglichkeit, sich von der sogenannten alten Seilschaft zu trennen. Die Vorstandsmitglieder Stefan Heim und Jochen Röttgermann mussten gehen, ebenso Oliver Schraft, der Kommunikationschef. Andere wie die Präsidiumsmitglieder Rainer Mutschler und Bernd Gaiser oder der Vereinsbeiratsvorsitzende Wolf-Dietrich Erhard gingen freiwillig.

Noch immer herrschen Argwohn und Misstrauen

Fehler haben dabei alle gemacht, persönlich bereichert hat sich jedoch keiner. Geblieben sind Niederlagen vor dem Arbeitsgericht, hohe Kosten und ein öffentliches Desinteresse an den wahren Abläufen und Folgen der Datenaffäre. Eingenistet haben sich im Haus unter dem roten Dach Argwohn und Misstrauen. Es gibt das AG-Lager und die e.V.-Seite. Zusammenhalt besteht nicht. Wer sollte diesen auch verkörpern? Claus Vogt, der auf der Mitgliederversammlung wiedergewählt wurde – oder Sie, Herr Hitzlsperger, der den VfB verlässt?

Sie wollen mit dann 40 Jahren einen neuen Lebens- und Berufsabschnitt beginnen. Das ist Ihr gutes Recht. Aber es gehört auch zur Wahrheit, dass Sie in diesem Club, der Ihnen viel gegeben hat und Ihnen viel bedeutet, nicht mehr arbeiten wollen. Weil der Kulturwandel, den Sie angestrebt haben, sich nicht hat vollziehen lassen. Weil Sie gemerkt haben, dass es für Sie mit Herrn Vogt keinen Neuanfang geben kann. Weil Sie erlebt haben, dass die Kraft eines Traditionsvereins nicht nur positiv wirkt, da zu viele Wichtigtuer mit Eigeninteressen an einem zerren. Weil sich eine neue Seilschaft gebildet hat. Und weil Sie morgens noch in den Spiegel schauen wollen, um sich zu sagen, dass Sie sich treu geblieben sind.

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Ich habe Sie als Spieler mit einem mächtigen linken Fuß kennen und später auch als Mann mit Prinzipien und Werten schätzen gelernt. Als verbaler Haudrauf sind Sie dabei nie aufgetreten. Nun wollen Sie nicht als „Lame Duck“ enden, sich nicht nachsagen lassen, nicht bis zum letzten Tag alles für den VfB getan zu haben. Es bleibt also noch einiges zu erledigen, ehe Ihr Nachfolger Alexander Wehrle seinen Dienst antritt. Selbst wenn Sie innerlich schon mit Ihrer Herzensangelegenheit abgeschlossen haben sollten. Einen offenen Brief zum Abschied zu schreiben, empfehle ich Ihnen nicht. Das wäre ein schöner Hammer! Mit freundlichen Grüßen

Carlos Ubina