Ein 39-Jähriger, der seinen Vermieter getötet hat, ist laut Gutachter wegen seiner Krankheit schuldunfähig. In den Wochen vor der Tat brütete er meist allein in seiner Wohnung vor sich hin – und hatte dabei bizarre Ideen.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Ihm ist einfach alles über den Kopf gewachsen: „Im August war er noch voller Schwung und Elan in den Murkenbachweg eingezogen“, berichtete der psychiatrische Gutachter am Landgericht Stuttgart in der Verhandlung um den Mann, der seinen Vermieter erstochen haben soll. Im September sei er eines Tages aufgewacht und fühlte sich, „als habe jemand den Stecker gezogen“. Vier Monate später ging er auf den 74-Jährigen los. Im vergangenen Sommer hatte der 39-Jährige eine viel zu teure Wohnung in Böblingen gemietet und sie mit viel zu teuren Möbeln ausgestattet. Er hatte sich nur ein halbes Jahr nach der Hochzeit von seiner zweiten Frau getrennt. Als Staubsaugervertreter wollte er wieder so erfolgreich sein wie früher und näher bei seinen Kindern aus erster Ehe.

 

Kein Mörder, sondern schuldunfähig

Nach Ansicht des Psychiaters ist der geständige Täter allerdings kein Mörder, sondern schuldunfähig. Seinen Vermieter habe er als existenzielle Bedrohung gesehen und sich in einer Situation höchster Angst befunden, erklärte er der Schwurgerichtskammer. Der Arzt forderte die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Landeskrankenhaus. Dort befindet er sich bereits seit dem Tag nach der Tat am 28. Januar. Als schizo-affektive Psychose diagnostizierte er die Krankheit des Mannes, einer Mischung aus manisch-depressiven Zuständen und Schizophrenie. Sein schlechtes Gewissen gegenüber dem Vermieter, weil er die Wohnung nach nur wenigen Monaten wieder gekündigt hatte, habe wohl zu dem bizarren Verfolgungswahn geführt, vermutet der Gutachter.

Nicht einmal die Ehefrau wusste von der Verfassung ihres Mannes. Eine Woche vor der Tat hatte sie ihn zuletzt gesehen. „Er hat viele Sachen schwarz gesehen, war hoffnungslos und verzweifelt“, schilderte sie seine finanziellen Sorgen vor Gericht. Über den Hauseigentümer habe er ihr nur erzählt, dass der nicht besonders erfreut gewesen sei über die Kündigung des Mietvertrags. Ungeduscht sei er gewesen, in sich gekehrt und sehr still. In der Wohnung hätte er alle Rollläden heruntergelassen. Ihr gegenüber sei er nie gewalttätig geworden, antwortete die 31-Jährige auf die Frage des Richters. Sie fand nur eine Sache verrückt: Dass ihr Mann plötzlich die Bibel las. Sie habe ihm empfohlen, zu dem Psychologen zu gehen, der ihn schon behandelt hatte. Doch mangels Krankenversicherung ließ er den Arztbesuch sein.

Seit vielen Jahren immer wieder Depressionen

Seit sieben Jahren litt der 39-Jährige immer wieder unter Depressionen, zwei Mal war er für mehrere Monate in einer Klinik. Er soll auch versucht haben, sich umzubringen. Zuvor hatte er als Vertreter bis zu 120 000 Euro im Jahr verdient. Als er noch in Sachsenheim (Kreis Ludwigsburg) mit seiner zweiten Frau lebte, sah er seine acht und zwölf Jahre alten Kinder jedes zweite Wochenende. In der Wohnung in Böblingen brütete er offenbar nur noch alleine vor sich hin. Die Pegida-Demonstrationen im Januar bezog er auf sich, seinen Vermieter hielt er für deren Anführer, der ihm und seinen Kindern nach dem Leben trachtete. Aus dessen Wohnung über ihm hörte er seltsame Geräusche und Stimmen. Zufällig las er in der Bibel noch vom Untergang des Staates Moab und steigerte sich dermaßen in einen Wahn hinein, dass er mit drei Messern rund 50-mal auf sein Opfer einstach. Eigentlich hatte er den 74-Jährigen nur für eine Aussprache in seine Wohnung gebeten. In seinem Sofa fanden die Kriminaltechniker sieben Einstiche: Dort hatte er wohl seine Waffen getestet. „Ich habe gerade einen Mann erstochen“, erklärte er nach der Tat schwer atmend einem Polizisten am Telefon, „der wollte Nazis auf mich hetzen.“

Für den Staatsanwalt ist der Fall klar: Der Totschlag sei im Zustand der Schuldunfähigkeit geschehen, sagte er in seinem Plädoyer. Der Anwalt der Ehefrau des Opfers, die als Nebenklägerin auftritt, erklärte dem 39-Jährigen dennoch, dass er nicht nur ein, sondern zwei Leben zerstört habe. „Um Sie wird sich gekümmert“, sagte er an ihn gerichtet, „die Witwe befindet sich nach wie vor in einem schlimmen Zustand.“ Sie könne die Tat noch immer nicht verstehen. Am Dienstag wird das Urteil verkündet.