Ein Urologe hat ein Messiproblem in seiner Praxis. Die Stadt will die Praxis schließen, der 70-jährige Arzt klagt dagegen. Das war nur eines von 7452 Verfahren, die in 2018 am Sozialgericht erledigt wurden. Eine anderes drehte sich um einen Niesanfall.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Auf einem Bewertungsportal für Mediziner im Netz hatte ein Urologe eine Bestbewertung – dabei müssen die hygienischen Zustände in der Praxis unterirdisch gewesen sein. Der Mann war ein Messi. Vertreter des Stuttgarter Gesundheitsamts sind auf vermüllte Praxisräume und schwerwiegende Hygienemängel getroffen. So fanden sie laut dem Sozialgericht Stuttgart eine größere Anzahl ursprünglich steriler Einmalprodukte, deren Verfallsdatum seit Jahren abgelaufen war. Mehrfach sei die Praxis von der Stadt Stuttgart geschlossen worden, berichtet der Vizepräsident des Sozialgerichts, Christian Link.

 

Doch der 70-Jährige war erfinderisch. Er sei zum Beispiel auf einen anderen Raum ausgewichen, um Katheter zu verlegen, weil der Praxisraum geschlossen worden war. Vor dem Sozialgericht versuchte der Mediziner noch, mit besagter Onlinebewertung zu punkten – vergeblich. Am 29. November 2018 erging das Urteil: Dem Urologen sei zu Recht die Zulassung entzogen worden.

Auch mit höhenverstellbaren Schreibtischen befassen sich die Richter

Das Verfahren mit dem Messi-Arzt sticht als skurril heraus, es ist aber nur eines von insgesamt 7452 Verfahren, die 2018 am Sozialgericht Stuttgart erledigt worden sind. Das sind rund 250 Verfahren mehr übrigens als im Vorjahr. Seit 2011 seien nicht mehr so viele Verfahren abgearbeitet worden wie 2018, berichtet der Präsident des Sozialgerichts, Michael Endriß. Auch in diesem Jahr sieht es bisher gut aus – zumal weniger neue Klagen eingegangen sind. 16 Prozent weniger neue Klagen sind es laut der Statistik des Gerichts gegenüber dem ersten Halbjahr 2018. So konnten die Richter viele Verfahren abschließen. „Wir haben dieses Halbjahr genutzt, um Bestände abzubauen und haben ein Niveau erreicht, das wir lange nicht hatten“, ist Endriß zufrieden. Die Verfahrensdauer liege nun bei im Schnitt 11,6 Monaten.

Vor allem die Klagen gegen Krankenkassen – das zahlenstärkste Rechtsgebiet aus dem Vorjahr – sind im ersten halben Jahr 2019 rückläufig gewesen, das Minus gegenüber dem ersten Halbjahr 2018 beträgt 34,6 Prozent. Aber es gab auch 18,3 Prozent weniger Klagen im Schwerbehindertenrecht von Januar bis Juli als im Vorjahreszeitraum. Einen Anstieg bei den Klagen verzeichnet das Gericht in 2019 im Gebiet der Rentenversicherung. Wurde früher eher wegen der Bewilligung einer Kur geklagt, gehe es heute oft um Hilfsmittel, wie höhenverstellbare Schreibtische, so Vizepräsident Link.

Rettungssanitäter mit posttraumatischer Belastungsstörung nicht erfolgreich

Auch Klagen die Unfallversicherung betreffend landen beim Sozialgericht. Noch nicht rechtskräftig ist dabei die Entscheidung, die einen Rettungssanitäter betrifft, der beim Amoklauf von Winnenden im Einsatz war. Der Mann leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung – ausgelöst auch wegen zweier Suizide von Jugendlichen, bei denen er ebenfalls im Einsatz war. Der Rettungssanitäter wollte die posttraumatische Belastungsstörung als Berufskrankheit anerkennen lassen. Doch das Sozialgericht wies die Klage ab. Diese Erkrankung zählte nicht zu den Listenerkrankungen im Sinne des siebten Sozialgesetzbuches.

Ein anderer Fall aus dem Versicherungsbereich mutet skurril an: So wissen wir durch das Urteil, dass „wer als Fahrzeuglenker auf dem Weg zwischen Arbeitsort und Wohnung infolge eines Niesanfalls die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung“, teilt das Gericht mit. Ein selbstständiger Landschaftsgärtner hatte auf dem Weg von seinem Gartenlager zur Wohnung die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren – eben, weil er niesen musste. Er zog sich dabei eine Rippenfraktur zu und machte dies als Arbeitsunfall geltend. Die gesetzliche Unfallversicherung zahlte nicht – zu recht, wie das Sozialgericht am 30. Juli 2018 entschied.

Todesdrohung gegen Richter

Auffällig sei, so der Gerichtspräsident, dass der Umgangston seitens des Publikums aggressiver geworden sei, das spürten gerade die Service-Mitarbeiter. Die Büros der Richter sind schon seit Jahren getrennt vom öffentlich zugänglichen Bereich. Bei der letzten anlassunabhängigen Kontrolle durch einen Sicherheitsdienst sei ein Springmesser gefunden worden bei einem Mann, der einen Gerichtstermin hatte, berichtet Link. Bestürzung hat auch ein Graffiti an der Haltestelle Neckartor hervorgerufen, das im Mai diesen Jahres entdeckt wurde: Einem Richter des Sozialgerichts wurde darin mit dem Tod gedroht. Das Graffiti wurde entfernt, er habe Strafanzeige gestellt, sagt Endriß. „Das hat eine neue Qualität“, so sein Stellvertreter.