Der Verfassungsschutz hat offenbar 19 Jahre lang bis 1970 einen gesuchten Naziverbrecher beschäftigt und scheinbar auch geschützt.  

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Er war der Mann gegen die Linken, die Kommunisten, gegen die sich die Sicherheitsbehörden des Nachkriegsdeutschland besonders wappneten. Als der frühere Gestapo-Beamte Viktor Hallmayer 1951, praktisch mit der Gründung Baden-Württembergs, zu einem der ersten Verfassungsschützer gemacht wurde, spielte diese politische Denkrichtung eine wichtige Rolle. Hallmayer, der durch ein im Mai 1950 eingestelltes Spruchkammerverfahren offiziell rehabilitierte frühere SS-Hauptscharführer, hatte schließlich während des Krieges schon in Paris beim Gestapo-Kommando Gutgesell Résistence-Mitglieder aufgespürt. Zugleich hatte er umfangreiche Kenntnisse über die linke Front National gesammelt.

 

Über den Namen Hallmayer ist jetzt erst der Ulmer Historiker und Kulturwissenschaftler Andreas Lörcher gestolpert. Der 32-Jährige, der seit 2009 die Ulmer "Denkstätte Weiße Rose" leitet, die der Volkshochschule Ulm angegliedert ist, forschte der Erhängung zweier Zwangsarbeiter zum Kriegsende in Langenau (Alb-Donau-Kreis) und Ulm nach. Die Hinrichtungen, in einem Fall wegen des Diebstahls von Filzstiefeln, hatte ein gewisser Hallmayer beaufsichtigt.

Lörcher beschaffte sich von der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen die Akte zu dem Mann - und konnte kaum glauben, was er las: "Der Mann steht auf einer amerikanischen Kriegsverbrecherliste. Die französischen Behörden suchen ihn wegen Mordverdachts und Folter. Aber anstatt dass man ihn ausliefert, wird er zum Verfassungsschutz befördert."

Der französische Staat sucht ihn wegen Totschlag

Hallmayer, der bei der Stuttgarter NSDAP-Ortsgruppe Leonhardtsplatz unter der Mitgliedsnummer 7563450 geführt wurde, kommt aus dem Verborgenen und verschwindet bald wieder darin. Er ist viel herumgekommen, nicht nur in Paris und Ulm, sondern auch in Gestapo-Dienststellen in Stuttgart, Karlsruhe und Trier.

Vom 28. August 1951 an wird er bei der Verfassungsschutz-Dienststelle D8 in Stuttgart mit "Sonderaufträgen" betraut, über deren Natur die Akten nichts preisgeben. Er überwacht, das immerhin ist dokumentiert, politische Veranstaltungen und ist für den Personenschutz "führender Persönlichkeiten bei offiziellen Anlässen" zuständig. Das scheint Hallmayer gut gemacht zu haben. 1952, kurz nach Antritt der neuen Stelle, wird er zum Kriminalpolizeimeister ernannt. 1954 avanciert er zum Beamten auf Lebenszeit, nur ein Jahr später wird ihm die nächste Beförderung zum Kriminalobersekretär zuteil.

Das alles passiert, während der französische Staat gegen ihn immer noch einen Haftbefehl wegen "Totschlag, vorsätzlicher Körperverletzung (Schläge und Verwundungen), Requirierung, Wegnahme von Sachen" aufrechterhält. In der baden-württembergischen Polizei wird damals, so legen es die Dokumente nahe, die Meinung vertreten, Hallmayer habe in Paris hoheitliche Abwehraufgaben erledigt, die unbedenklich waren. Als die Opposition im baden-württembergischen Landtag einmal genau wissen will, inwieweit die Polizei mit ehemaligen Gestapo-Leuten durchsetzt ist, wird auf den Nachwuchsmangel der Nachkriegszeit verwiesen.

Erholungsurlaub auf Staatskosten

1958, so die Personalakte aus Ludwigsburg, gibt es eine konkrete politische Anfrage an das Verfassungsschutzamt wegen der Gestapo-Vergangenheit Hallmayers. Er wird daraufhin zum Wirtschaftskontrolldienst versetzt, angeblich aus gesundheitlichen Gründen. Schon 1959 kehrt der einstige SS-Mann wieder ins Verfassungsschutzamt zurück - es wirkt heute, als sollte der Mann lediglich vorübergehend aus der Schusslinie gebracht werden.

Andreas Lörcher, der über Antisemitismus in der öffentlichen Debatte der späten fünfziger Jahre promovierte und auch schon für die Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg arbeitete, sieht Parallelen zu den Vorgängen um die Zwickauer Zelle. Es scheine ja auch heute in Verfassungsschutzämtern "die Kontrolle nicht richtig zu funktionieren". Der Fall Hallmayer sei ein Beweis dafür, wie gering das "Problembewusstsein" einer verdeckt arbeitenden Behörde sein könne. Ein Auge fest zu verschließen, um mit dem anderen vermeintlich besser sehen zu können, sei "genau das Gegenteil von dem, was wir hier in der Gedenkstätte machen".

Die Erfolgsgeschichte des Kurt Hallmayer ist 1959 noch nicht zu Ende. Er arbeitet weiter als baden-württembergischer Verfassungsschützer und wird 1968 zum Kriminalobermeister befördert. Zwischendurch nimmt er Erholungsurlaub auf Staatskosten. 1969 feiert er sein 40-Jahr-Dienstjubiläum - und bekommt dafür eine Dankesurkunde des damaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU). 1970 geht Viktor Hallmayer in den Ruhestand. Bis zu seinem Tod wenige Jahre später bekommt er eine Pension, die alle Dienstansprüche bis ins Jahr 1932 zurückreichend voll vergütet.

Wie Ulm die Vergangenheit mit dem NS-Regime aufarbeitet

Dauerausstellung Die "Denkstätte Weiße Rose" ist eine Dauerausstellung in der Volkshochschule Ulm. Sie will vor allem junges Publikum ansprechen, deswegen porträtiert die Schau ausschließlich Jugendliche, die während der NS-Zeit gelebt und sich couragiert gegenüber dem Naziregime gezeigt haben. Die Geschwister Hans und Sophie Scholl, die in München hingerichtet wurden, stammten aus Ulm.

Gedenkstätte Die Erinnerung an die Schrecken des Dritten Reichs wird in Ulm auch in der KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg wachgehalten, 1994 vom Regierungspräsidium Tübingen als „vorbildliches Heimatmuseum“ ausgezeichnet. Das einstige KZ ist in seiner baulichen Substanz voll erhalten. Der Trägerverein bemüht sich stark um die Jugendarbeit.