Nach der Pannenserie bei den Ermittlungen gegen die Rechtsextremisten will der Bundesinnenminister beim Verfassungsschutz hart durchgreifen. Geplant ist offenbar eine gründliche Reform. Ein Sonderermittler hat sich bereits ans Werk gemacht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Die Geschichte der rechtsextremen Terrorbande Nationalsozialistischer Untergrund („NSU“) ist eine Geschichte des Versagens sämtlicher Sicherheitsbehörden. Vor allem erzählt sie von einer Blamage des Verfassungsschutzes. Dessen scheidender Präsident Heinz Fromm hat das während seiner Aussage vor dem Untersuchungssatz mit einem Satz zusammengefasst, dessen Sarkasmus sich fast schon verächtlich gegen die eigene Behörde richtet. Man könne dem Zwickauer Terrortrio vieles vorwerfen, sagte Fromm, „aber nicht, dass sie sich an die Analysen des Verfassungsschutzes gehalten hätten“. Das heißt mit anderen Worten: die Analysen des Verfassungsschutzes waren völlig neben der Spur. Seit offenkundig ist, dass hinter den Mauern des Geheimdienstes auch brisante Akten vernichtet wurden, lodert eine Debatte über seine Schwächen und den dringenden Reformbedarf.

 

Ahnungslos in Sachen Rechtsterrorismus

Dass der Verfassungsschutz nicht effektiv arbeitet, ist durch seine Ahnungslosigkeit in Sachen Rechtsterrorismus erwiesen. Die bisherige Aufklärung der „NSU“-Geschichte zeigt, dass der Informationsaustausch eine zentrale Schwachstelle ist. Die Kommunikation zwischen Verfassungsschutz und Polizei, ohnehin heikel, hat nicht hinreichend funktioniert. Auch die Kanäle zwischen den Verfassungsschutzämtern von Bund und Ländern sind gestört. Bei der „Operation Rennsteig“ zum Beispiel, deren Zweck es war, Spitzel aus dem rechtsextremen „Thüringer Heimatschutz“ anzuwerben, hat das Bundesamt für Verfassungsschutz den Kollegen in Erfurt zwar pflichtgemäß gemeldet, mit welchen Informanten aus der Szene Kontakte geknüpft wurden. Umgekehrt wussten Agenten des Bundes aber nicht, welche Neonazis beim Thüringer Verfassungsschutz unter Vertrag standen.

Der Untersuchungsbericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer über die Ermittlungspannen in Thüringen belegt, dass der Verfassungsschutz dort nach dem Untertauchen des „NSU“-Trios zahlreiche Hinweise über dessen mutmaßlichen Verbleib erhalten hatte. Die Polizei tappte aber völlig im Dunkeln. Haarsträubende Zustände herrschten bei dem Geheimdienst offenbar auch, was den Umgang mit Akten angeht. Datenschutzrichtlinien wurden offenbar schlichtweg ignoriert. Die Verhältnisse erinnerten Abgeordnete eher an eine Lotterie als an eine seriöse Institution. Die parlamentarische Kontrolle funktioniert nur unzureichend, obwohl das zuständige Gremium vor drei Jahren mehr Rechte eingeräumt bekam.

Die Neonazi-Datei ist schon beschlossen

Was die interne Kommunikation angeht, so hat Innenminister Hans-Peter Friedrich rasch reagiert. Schon Anfang des Jahres wurde ein gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsterrorismus eingerichtet. Dort tauschen die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern ihre Informationen über einschlägige Erkenntnisse aus. Das hat sich seit 2004 auch für den Bereich des islamistischen Terrorismus bewährt. Zudem gibt es neuerdings eine Neonazidatei, in der sämtliche Information über die Szene und verdächtige Personen zusammenlaufen.

Der Bundesrat hat die neue Datei am vergangenen Freitag bewilligt. Der Umgang mit sogenannten Vertrauensleuten bedarf strikterer Vorgaben. Zum Beispiel steht der Vorschlag im Raum, den Einsatz solcher Spitzel jeweils an die Genehmigung durch einen Richter zu binden. Zudem sollten die verschiedenen Instanzen des Verfassungsschutzes jeweils wissen, wer welche Spitzel im Einsatz hat. Die Verfassungsschutzämter kleinerer Bundesländer sind nach Ansicht von Sicherheitsexperten hoffnungslos überfordert. Einer Neuordnung stehen aber Eigeninteressen der Länder entgegen. Für eine optimierte parlamentarische Kontrolle wäre es unerlässlich, dass die Abgeordneten, die dem geheim tagenden Kontrollgremium angehören, mit ausreichend Personal ausgestattet werden.

Ein Sonderermittler untersucht die Behörde

Folglich sieht Friedrich „dringenden Reformbedarf“. Er will „die Organisation ohne jedes Tabu überprüfen und wo nötig verändern“, sagte er in einem Interview am Wochenende. Dazu hat er einen Sonderermittler aus seinem Ministerium eingesetzt, der den Geheimdienst durchleuchten soll. Zu Beginn des Jahres wurde bereits eine Bund-Länder-Kommission mit ähnlichem Auftrag installiert. Von ihr war seitdem nichts mehr zu hören. Dem Gremium gehören die ehemaligen Innensenatoren Erhart Körting (Berlin, SPD) und Heino Vahldieck (Hamburg, CDU) an. Dem Vernehmen nach will der Innenminister zunächst abwarten, zu welchen Erkenntnissen die Experten kommen. Er will offenbar auch dem Schlussbericht des Untersuchungsausschusses nicht vorgreifen. Dieser hatte sich vorgenommen, ebenfalls Vorschläge für eine Reform des Sicherheitsapparats zu unterbreiten. Da mit dem Bericht aber erst im Sommer 2013 zu rechnen ist, wird die Reform des Verfassungsschutzes wohl vertagt bis nach der Wahl. Friedrich sagt: „Das verlangt Gründlichkeit, keine Schnellschüsse.“