Verfassungsschutz Gülen-Bewegung wird neu bewertet

Sie betreiben Schulen, Nachhilfeinstitute und Vereine. Doch die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen stoßen im Land auf Misstrauen. Die Regierung will die islamische Bewegung nun neu bewerten lassen.
Stuttgart - Bis zum Sommer wird der Verfassungsschutz eine „Neubewertung“ der islamischen Gülen-Bewegung vornehmen. Das hat Innenminister Reinhold Gall (SPD) in der Antwort auf eine Anfrage der Landtags-CDU angekündigt. Anlass seien die „in jüngerer Zeit zunehmenden Nachfragen aus Medien und Öffentlichkeit“. Anhand der vorliegenden Erkenntnisse und im Austausch mit anderen Verfassungsschutzbehörden wolle man die neue Bewertung voraussichtlich bis zur Jahresmitte abschließen, teilte Gall mit; danach würden der Landtag und die Öffentlichkeit informiert.
Im Licht möglicher neuer Erkenntnisse könnten auch die offiziellen Kontakte zu Institutionen und Personen überdacht werden, die der nach dem Prediger Fethullah Gülen benannten Bewegung nahe stehen. Bisher gebe es für Vertreter der Landesregierung „keine Veranlassung“, Gesprächswünsche oder Einladungen zu Veranstaltungen grundsätzlich abzulehnen. Laut dem Innenministerium unterhält die Gülen-Bewegung auch in Baden-Württemberg zahlreiche Einrichtungen, „die mit Schulen und Nachhilfezentren einen Schwerpunkt im Bildungsbereich aufweisen“ – landesweit wohl mindestens 40.
„Keine verfassungsfeindlichen Aktivitäten“
Der integrationspolitische Sprecher der Landtags-CDU, Bernhard Lasotta, begrüßte die angekündigte Neubewertung. Anlass für die von ihm initiierte Anfrage der Fraktion war eine im Februar bekannt gewordene interne Bewertung der Gülen-Bewegung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. Der Antwort zufolge war der Bericht für Gall und seinen Amtschef Ende 2013 zur Vorbereitung eines Gesprächs gefertigt worden. Da die Bewegung nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werde, habe es sich jedoch nicht, wie teilweise berichtet, um eine Warnung gehandelt. Das Papier enthalte weder eine abschließende Bewertung noch eine Einschätzung einzelner Einrichtungen, Vereine oder Schulen.
Laut dem Innenressort ist bei der Gülen-Bewegung ein „deutlich hervortretender türkischer Nationalismus mit islamischen und islamistischen Komponenten“ wahrzunehmen. Einige Äußerungen und Veröffentlichungen Gülens oder ihm nahestehender Einrichtungen stünden zwar „teilweise im Widerspruch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung“. Derzeit lägen aber keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass tatsächlich verfassungsfeindliche Bestrebungen gezielt verfolgt würden. Auch ließen sich die Bekundungen nicht klar einzelnen Einrichtungen zuordnen. Bei diesen gilt erkennbar die Sprachregelung, man sei von den Lehren Gülens „inspiriert“.
Diverse Kontakte zu Regierungsvertretern
Auf Antrag der CDU hat Minister Gall etwa ein Dutzend Kontakte von Regierungsvertretern zu als Gülen-nah geltenden Institutionen aufgelistet. Genannt werden Schulen wie die Bil-Schule in Stuttgart oder die Prisma-Schule in Böblingen, der Verein Begegnungen und der Selbstständigen-Verein Self sowie die Zeitung Zaman. Zudem wird auf die Zusammenarbeit zwischen der Landesregierung und dem Bundesverband der Unternehmervereinigungen (BUV) und dem Alb-Donau-Unternehmerverband verwiesen.
Vertreter von BUV und Self hätten Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) 2013 auf einer Türkeireise begleitet; dessen Ressort unterstütze auch eine vom BUV geplante „Wirtschaftswoche“ zur türkischen Marmara-Region, die Kooperationen mit dem Land fördern solle.
Unterschiedlicher Umgang mit Wettbewerben
Höchst unterschiedlich gehen Vertreter der grün-roten Koalition derweil mit Aktionen von Gülen-nahen Schulen um. Neben bundesweiten Wettbewerben wie der „Deutsch-Türkischen Kulturolympiade“ und den „Pangea-Mathematikwettbewerben“, die das Innenministerium der Bewegung zuordnet, haben diese neue Wettbewerbe gestartet. So veranstaltet die Böblinger Prisma-Schule einen Mathematik- Foto- und Videowettbewerb, bei dem Schüler Verknüpfungen der Mathematik mit ihrem Alltag herstellen sollen. Für die Schirmherrschaft hat die Schule das Stuttgarter Kultusministerium gewonnen, das Regierungspräsidium Stuttgart informierte die Schulen per Rund-Mail über die Veranstaltung. Der Wettbewerb werde „als pädagogisch sinnvoll bewertet“ und sei schon im Vorjahr auf großes Interesse gestoßen, begründete ein Sprecher von Minister Andreas Stoch (SPD) das Engagement. Zudem lägen keine Erkenntnisse vor, die einen Einfluss der Gülen-Bewegung auf die Prisma-Schule belegten „und einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung standhalten würden“. Der CDU-Abgeordnete Lasotta sieht die Empfehlung gleichwohl kritisch: Angesichts der ungeklärten Fragen, empfiehlt er, solle sich der Staat besser zurückhalten. Der Organisator des Böblinger Wettbewerbs ist übrigens zugleich Vorstandsvorsitzender bei den Pangea-Wettbewerben, was für Kritiker der Gülen-Bewegung die Vernetzung zeigt.
Ganz anders als Stoch verhielt sich der Grünen-Abgeordnete Siegfried Lehmann als Vorsitzender des Bildungsausschusses im Landtag. Er hatte zunächst zugesagt, in der Jury eines von der Bil-Schule organisierten Ideenwettbewerbs (Titel: „Wie genial“) mitzuwirken.
Nach Hinweisen auf die Gülen-Nähe der Schule zog er sich aus dem Gremium wieder zurück. Begründung: er wolle mit dem Gülen-Netzwerk „nicht in Verbindung gebracht werden“. Dies sei jedoch keine Absage an einen Dialog, stellte Lehmann klar. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion habe er kein missverständliches Signal setzen wollen.
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