Die Bedrohungslage ist angespannt – und vielfältig. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 hervor, der nun vorgestellt wurde.
Dass man nicht auf gute Nachrichten hoffen sollte, machte Thomas Haldenwang am Dienstag schnell klar. „Auch für das Berichtsjahr 2023 hat der Verfassungsschutz zur Sicherheitslage nicht viel Positives zu berichten“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Berlin, als er gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 vorstellte. Der neue Überblick zeigt: Die Sicherheitslage in Deutschland hat sich verschärft.
Bemerkenswert ist vor allem die gestiegene Zahl extremistisch motivierter Straftaten. Sie hat mit 39 433 Fällen einen neuen Höchststand erreicht. Im Vorjahr waren es noch 35 452 gewesen. Dabei fällt auf, dass die Delikte in fast allen Bereichen zugenommen haben. Ganz vorn liegt weiterhin der Rechtsextremismus, dem mit Abstand die meisten extremistischen Straftaten zuzurechnen sind. Aber auch in den anderen Bereichen – zum Beispiel Linksextremismus oder religiösen Ideologien wie dem Islamismus – sind mehr Straftaten zu verzeichnen.
18 Mal mehr antisemitische Straftaten
„Äußere und innere Sicherheit hängen unmittelbar zusammen“, sagte Haldenwang. Der Bericht enthält in diesem Jahr ein Sonderkapitel, das beschreibt, wie sich der Nahostkonflikt in Deutschland seit dem 7. Oktober ausgewirkt hat. Die Anzahl der Straftaten mit antisemitischem Hintergrund hat sich im Vergleich zum Vorjahr verachtzehnfacht, auf 1 044 Taten im Jahr 2023. Diese Straftaten lassen sich nicht allein einer extremistischen Ausprägung zurechnen, sondern betreffen viele Bereiche. Die meisten der antisemitischen Straftaten haben einen islamistischen Hintergrund oder sind auf ausländische ideologische Gruppen zurückzuführen, wie zum Beispiel türkische Rechts- oder Linksextremisten.
Die Zahl der religiös motivierten extremistischen Straftaten hat sich dementsprechend verdreifacht: von 361 auf 1 250. Dabei wurden vor allem mehr Gewalttaten verzeichnet. Der überwiegende Teil dieser Fälle ist Islamisten zuzurechnen, nämlich 878 Taten. „Die Sicherheitsbehörden reagieren mit sehr hoher Wachsamkeit auf die jüngsten Entwicklungen“, sagte Faeser. Die Verbote von „Hamas“ und „Samidoun“ in Deutschland hätten ein hartes Durchgreifen der Behörden ermöglicht. „Wir haben die islamistische Szene im Visier“, betonte die Innenministerin.
Ausländische Einflussnahme
Auch die zunehmende Einflussnahme aus dem Ausland besorgt die Behörden. Dabei geht es um Fälle von Spionage, Desinformation oder auch um Cyberangriffe, wie sie kürzlich etwa die CDU getroffen haben. Schon zuvor war die SPD Opfer eine Cyberattacke geworden, die Behörden dem russischen Militärgeheimdienst GRU zurechnen. Um darauf besser reagieren zu können, forderte Faeser mehr staatliche Befugnisse.
Trotz der Zunahme in anderen Bereichen sind dem Rechtsextremismus die meisten extremistischen Straftaten zuzuordnen: 25 660 Fälle, 22 Prozent mehr als im Vorjahr. „Wir erkennen, dass sich die Akteure der Neuen Rechten weiter gut vernetzten“, sagte Haldenwang. Er verwies darauf, dass seine Behörde das „Institut für Staatspolitik“, eine Denkfabrik der Neuen Rechten, inzwischen als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat. Seit diesem Monat gilt außerdem der Buchverlag „Antaios“ als gesichert rechtsextremistisch. Die AfD gilt weiterhin als rechtsextremistischer Verdachtsfall. Ob eine Hochstufung nötig sei, werde dieses Jahr geprüft, sagte Haldenwang.
Viel linksextremistische Gewalt
Auch die Zahl linksextremistisch motivierter Straftaten ist gestiegen. Dabei fällt auf, dass hier der Anteil von Gewaltdelikten besonders hoch ist – und der Abstand zum Rechtsextremismus weniger gering als in der Gesamtzahl aller Straftaten. Die Zahl linksextremistischer Gewaltvorfälle ist um 20 Prozent auf 727 gestiegen. Das ist zwar deutlich weniger als die 1 148 Vorfälle aus dem rechtsextremistischen Spektrum. Doch der Abstand ist geringer geworden.
Das dürfte auch daran liegen, dass Linksextremisten versuchen, Teile der Klimaprotestbewegung zu unterwandern. Seit vergangenem Jahr listet der Verfassungsschutzbericht das Bündnis „Ende Gelände“ als linksextremistischen Verdachtsfall. Faeser empfahl den politischen Nachwuchsorganisationen wie den Jusos oder der Grünen Jugend, nicht mehr mit der Gruppe zusammenzuarbeiten.