Irreführende Äußerungen über die Proteste in Chemnitz haben Verfassungsschutzchef Maaßen in Schwierigkeiten gebracht. Die SPD-Spitze will, dass der Innenminister und die Kanzlerin ihn seines Amtes entheben. Sprengt der Streit die Koalition?

Berlin - Nach einem Krisentreffen der Koalitionsspitzen ohne greifbare Ergebnisse pochen führende SPD-Politiker weiter auf einen Abgang von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. „Wir halten ihn für untragbar“, sagte Niedersachsens SPD-Chef und Ministerpräsident Stephan Weil der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ und der „Nordwest-Zeitung“. Juso-Chef Kevin Kühnert warf CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel vor, Maaßen indirekt durch ihr Schweigen zu decken. Die SPD-Innenexpertin Eva Högl äußerte sich am Freitagmorgen im Hessischen Rundfunk eher mäßigend: Der Streit über den Geheimdienstchef sei aus ihrer Sicht kein Grund für die SPD, die Koalition zu verlassen.

 

Ausgangspunkt war ein Interview Maaßens, in dem er gesagt hatte, ihm lägen „keine belastbaren Informationen“ vor, dass in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer stattgefunden hätten. Vielmehr sprächen „gute Gründe“ dafür, dass es sich bei einem entsprechenden Video „um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“.

In Chemnitz war am 26. August ein 35 Jahre alter Deutscher erstochen worden. Tatverdächtig sind drei Asylbewerber aus Syrien und dem Irak. Zwei sitzen in Untersuchungshaft, nach dem dritten wird gefahndet. Nach der Tat gab es fremdenfeindliche Ausschreitungen, bei denen es auch zu Gewalttaten von Rechtsextremisten kam.

Es gibt auch Zweifel in der SPD an Maaßens Haltung zur AfD

Für Irritationen hatte zuletzt auch gesorgt, dass Maaßens Bundesamt für Verfassungsschutz sich mit dem späteren Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri in den Monaten vor dem Anschlag weitaus intensiver befasst hatte als bisher bekannt. Auch gibt es Zweifel in der SPD an Maaßens Haltung zur AfD. Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer will ihn trotz der Kritik im Amt belassen.

Weil sagte zur Frage, ob der Streit um Maaßen die große Koalition in Berlin zerstören könnte: „Das will ich nicht hoffen. Wir brauchen gerade in dieser schwierigen innenpolitischen Lage eine starke, glaubwürdige und handlungsfähige Regierung. Ich finde es unerträglich, dass wir durch die Eskapaden von Herrn Seehofer vor, während und nach der Sommerpause permanent Auseinandersetzungen innerhalb der Regierung erleben, die mit den Problemen der Menschen im Land nichts zu tun haben.“

Das Krisentreffen im Kanzleramt, zu dem Merkel am Donnerstagnachmittag die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles und Seehofer geladen hatte, brachte keine Lösung. Am Dienstag gibt es ein weiteres Treffen. In Regierungskreisen war von einem guten und ernsthaften Gespräch die Rede - „mit dem Ziel, als Koalition weiterzuarbeiten“. Unklar blieb jedoch, wie eine für alle Seiten gesichtswahrende Lösung aussehen könnte. Für Seehofer wäre eine Ablösung Maaßens nach seiner Positionierung ein Gesichtsverlust.

Die Union verlor einer neuen Umfrage zufolge an Zustimmung

Die Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Andrea Lindholz (CSU), appellierte an die SPD, von ihren Rücktrittsforderungen abzurücken. „Wir sollten jetzt gemeinsam gegen die AfD kämpfen und uns nicht länger mit Herrn Maaßen beschäftigen“, sagte Lindholz der „Passauer Neuen Presse“. „Die AfD reibt sich die Hände und profitiert als einzige von diesem Streit.“

Der CDU-Innenexperte Philipp Amthor sagte im Deutschlandfunk, die Debatte über Maaßen sei überzogen, die SPD verfolge mit der Polarisierung ein politisches Kalkül. „Die SPD versucht, hier ein politisches Exempel zu statuieren, auch um vielleicht von eigenen innenpolitischen Versäumnissen abzulenken.“ Dass Maaßen in die Nähe von rechten Verschwörungstheorien gerückt werde und man ihm Kumpanei mit Rechtsextremisten vorwerfe, sei das „ein unverhältnismäßiges Maß“.

Nach den Debatten über die Ereignisse in Chemnitz sowie die Äußerungen Maaßens verlor die Union einer neuen Umfrage zufolge an Zustimmung. Wenn am nächsten Sonntag wirklich Bundestagswahl wäre, käme sie nur noch auf 30 Prozent. Das ist ein Rekordtief im ZDF-„Politbarometer“, das die Forschungsgruppe Wahlen für den Sender erstellt. In den Umfragen anderer Meinungsforschungsinstitute liegt die Union zwischen 28 und 31 Prozent.

Die SPD legte demnach im Vergleich zum vorherigen „Politbarometer“ zwei Punkte auf 20 Prozent zu, die Grünen gewannen ebenfalls zwei Punkte auf 16 Prozent. Der Umfrage zufolge büßte die AfD zwei Punkte auf 15 Prozent ein, die FDP einen Punkt auf 7 Prozent. Die Linke bleibt unverändert bei 8 Prozent.