Weiß Verfassungsschutz-Chef Maaßen mehr über die Vorfälle in Chemnitz? Und wenn ja, warum teilt er sein Wissen nicht? Pikante Aussagen des Präsidenten des Inlandsgeheimdienstes sorgen für Irritationen im politischen Berlin.

Berlin - Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen hält die Berichte über rassistische Übergriffe bei Protesten in Chemnitz für übertrieben. Aus Sicht der meisten Bundestagsparteien hat er sich mit dieser Einschätzung, für die er bislang keine Belege geliefert hat, zu weit aus dem Fenster gelehnt. Linke und Grüne legten Maaßen am Freitag den Rücktritt nahe. CDU-Politiker forderten vom Chef des Inlandsgeheimdienstes eine Offenlegung seiner Quellen.

 

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Grüne und SPD forderten eine Sondersitzung des Innenausschusses mit Maaßen und seinem Vorgesetzten, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz sagte, er gehe davon aus, dass Seehofer auch selbst daran interessiert sei, zu erklären, ob es „nicht dringend angeraten erscheint, Vertrauen in die Arbeit des Verfassungsschutzes durch einen personellen Neuanfang wieder herzustellen“.

Keine belastbaren Informationen über „Hetzjagden“

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) hatte der „Bild“-Zeitung gesagt, dem Verfassungsschutz lägen keine belastbaren Informationen darüber vor, dass bei den Demonstrationen in Chemnitz „Hetzjagden“ stattgefunden hätten. „Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist.“ Nach seiner vorsichtigen Bewertung „sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“.

Auslöser der Proteste in Chemnitz war eine tödliche Messerattacke auf einen 35-jährigen Deutschen mit kubanischen Wurzeln. Zwei Tatverdächtige, die als Asylbewerber nach Sachsen gekommen waren, sitzen wegen Verdachts des gemeinschaftlichen Totschlags in Untersuchungshaft. An einigen Protestveranstaltungen waren auch Rechtsextremisten beteiligt. Teilweise kam es zu Übergriffen auf Polizisten, Journalisten und Ausländer. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Regierungssprecher Steffen Seibert hatten von „Hetzjagden“ gesprochen.

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Zweifel an Authentizität des Bildmaterials

CDU-Innenexperte Stephan Harbarth verlangte von Maaßen Aufklärung. Es müsse nun rasch geklärt werden, ob dieses Bildmaterial echt oder nicht echt sei. „Da muss Herr Maaßen jetzt mal sagen, woher seine Zweifel eigentlich kommen“, sagte der Unionsfraktionsvize der Deutschen Presse-Agentur am Rande einer Klausur der Fraktionsspitze in Berlin. Wenn der Präsident des Verfassungsschutzes Zweifel an der Authentizität des vorgelegten Bildmaterial habe, wäre es gut, wenn er rasch in die zuständigen Bundestagsgremien komme, um diese Zweifel zu belegen. „Da muss er Ross und Reiter benennen.“

Linken-Chefin Katja Kipping sagte, Maaßen sei „in diesem Amt nicht mehr haltbar“. Anstatt die Verfassung zu verteidigen, gebe er „den AfD-Versteher“ und missbrauche „die Autorität seines Amtes, um jenen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen, die in Chemnitz den Hitlergruß zeigten und zum Töten von Menschen aufriefen“. Damit betreibe er „das Geschäft der rechtsradikalen Verfassungsfeinde“ und gebe „ihren systematischen Fake-News-Kampagnen, es hätte keine rechte Gewalt und Straftaten gegeben, Unterstützung von offizieller Seite“.

Rücktrittsforderungen aus der AfD

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte der dpa: „Wenn der Chef des Inlandsgeheimdienstes der Bundeskanzlerin öffentlich widerspricht, muss er für seine Behauptungen jetzt umgehend Beweise vorlegen.“

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betonte dagegen: „Man muss das durchaus ernst nehmen, wenn der Verfassungsschutzpräsident zu so einer Einschätzung kommt.“ Ihn störe, „dass die Empörung über die Empörten wohl im Vordergrund steht, und nicht mehr die Verurteilung der ursprünglichen Tat des Mordes“.

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland forderte Regierungssprecher Seibert auf, seinen Posten zu räumen. Maaßen habe „klargestellt“, „dass es anders als von der Bundesregierung behauptet keine Beweise für Hetzjagden auf Ausländer in Chemnitz gibt“. Sollte Seibert weiter für die Regierung sprechen, müsse man davon ausgehen, „dass hier ganz bewusst und professionell Volksverdummung betrieben worden ist“.

Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Dresden dokumentieren Videos von den Demonstrationen in Chemnitz auch zahlreiche Übergriffe. Die Auswertung der Videos dauere an. „Bis jetzt haben wir nach wie vor keine Anhaltspunkte für sogenannte Hetzjagden gefunden“, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Wolfgang Klein. Bei Hetzjagden stelle man sich vor, dass Menschen durch die Straßen gejagt und verprügelt würden.

Video - Flüchtling zeigt seinen Blick auf Chemnitzer Problembezirk:

Allerdings laden die Chemnitzer Theater zur gleichen Zeit und nur wenige hundert Meter von der Demonstration entfernt zu einem Gratiskonzert mit klassischer Musik gegen Fremdenfeindlichkeit ein.