Die Grundrente kostet Vertrauen und hilft ausgerechnet denen nicht, die Hilfe dringend brauchen, kommentiert Willi Reiners.

Stuttgart - Leistung soll sich lohnen – das ist der Grundgedanke der neuen Grundrente in der Rentenversicherung. Die Altersbezüge von Menschen, die lange gearbeitet haben, sollen die Grundsicherung im Alter übersteigen, die das Sozialamt allen Bürgern zahlt, ganz losgelöst von ihren Erwerbsbiografien. Allerdings: Neu ist der Gedanke ganz und gar nicht. Seit jeher gilt in der Rentenversicherung das Äquivalenzprinzip. Es besagt: Wer viel einzahlt, bekommt mehr heraus als jemand, der wenig einzahlt. Dieses Versprechen zählt zu den Grundfesten der gesetzlichen Altersvorsorge.

 

Ohne Not macht sich die große Koalition nun daran, dieses Versprechen auszuhebeln. Dazu nur zwei einfache Rechenbeispiele des Prognos-Instituts von Mitte Oktober, die weiterhin gültig sind: Ein Rentner hat in 35 Beitragsjahren insgesamt 93 200 Euro in die Rentenkasse eingezahlt und damit 14 Rentenpunkte erworben. Er hat in dieser Zeitspanne 40 Prozent des durchschnittlichen Jahresarbeitsentgelts verdient. Aktuell erhält er 463 Euro Rente im Monat, künftig wären es 868 Euro.

Ein zweiter Rentner hat in 35 Jahren 186 000 Euro eingezahlt und 28 Rentenpunkte erworben. Er würde keinen Grundrentenaufschlag erhalten, da er 80 Prozent des Durchschnittsentgelts verdient hat. Seine Rente beträgt 925 Euro, trotz doppelt so hoher Einzahlung also nur 57 Euro mehr als der Rentner im ersten Beispiel.

Milliardenschwere Mitnahmeeffekte

Die Zahlen zeigen, wie die schwarz-rote Grundrente das Leistungsprinzip in der Rentenversicherung ad absurdum führt. Eine vermeintliche Ungerechtigkeit wird beseitigt, eine neue wird erzeugt. Was ist gewonnen? Allein das Vertrauen der Menschen in die Rente wird weiter zerstört. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es geht nicht darum, die Lebensleistung des ersten Rentners kleinzumachen. Auch er verdient Respekt. Womöglich aber fordert er diesen Respekt gar nicht ein, weil er sich überhaupt nicht benachteiligt fühlt – so wie alle jene Frauen und Männer, die anderweitig abgesichert sind und keine Hilfe brauchen.

Verantwortliche Sozialpolitik hätte die Aufgabe, genau hinzuschauen und dann zielgenau zu handeln. Die jetzige Regelung leistet das nicht, sie wird milliardenschwere Mitnahmeeffekte nicht verhindern können. Nur eine strenge Bedürftigkeitsprüfung – wie im Koalitionsvertrag vorgesehen und schließlich von der Union geopfert – hätte dies vermocht. Um mit dem CDU-Nachwuchsmann Philipp Amthor zu sprechen: Kein Mensch wird nachschauen, ob der Mercedes in der Garage steht.

Den vielen Gewinnern der Reform, die auf das zusätzliche Altersgeld nicht angewiesen sind, stehen lauter Verlierer gegenüber. Da sind zum Beispiel all die Menschen, die gar keine Chance haben, auf die erforderlichen 35 Versicherungsjahre zu kommen. Sie tragen das höchste Armutsrisiko im Alter, ausgerechnet sie fallen aber komplett durch den Rost. Für sie hätte Schwarz-Rot zuallererst ein Konzept vorlegen müssen.

Die Jungen müssen’s zahlen

Gekniffen sind nicht zuletzt auch die jüngeren Generationen. Auch wenn die Großkoalitionäre unter Verweis auf künftige Steuerzuschüsse zur Rentenkasse das Gegenteil behaupten: Natürlich werden die Jungen die mit der Gießkanne verteilte Wohltat Grundrente in den kommenden Jahrzehnten über steigende Rentenbeiträge mitfinanzieren – genauso wie heute schon die Mütterrente und die abschlagsfreie 63er-Rente für langjährig Versicherte. Es ist erstaunlich, dass die Jugend dagegen nicht endlich auf die Barrikaden geht. Wie wär’s mal mit Fridays for Rente?

willi.reiners@stzn.de