Ein 65-jähriger Mann missbraucht seine Enkelin. Als sie sich nach zwei Jahren offenbart, stellt sich heraus, dass sie nicht das erste Opfer war. Jetzt ist der Mann vom Göppinger Amtsgericht verurteilt worden.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - Die Plädoyers sind gesprochen, das Gericht will sich zur Beratung zurückziehen, da brechen im großen Saal des Göppinger Amtsgerichts alle Dämme. Ein junger Mann – außer sich – geht auf den Angeklagten zu, beschimpft ihn und kann nur schwer zurückgehalten werden. Es folgt ein Tumult. Ein halbes Dutzend Frauen stürmt ebenfalls vor. „Du Drecksack“, schreit eine, „drei Jahre waren es bei mir“, schluchzt eine andere. Diese emotionale Eruption, soll der Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Rometsch später sagen, spiegle wider, was der Angeklagte den Opfern an Leid zugefügt hat.

 

Schon zuvor sind bei diesem Prozess Tränen geflossen: bei den Nebenklägerinnen, im Zuschauerraum, im Zeugenstand. „Da ist so viel kaputtgegangen“, sagt der Sohn des Angeklagten. Der 41-Jährige ist ein Bär von einem Mann, und doch ringt er mit den Tränen. „Ich war doch das einzige von drei Kindern, das überhaupt noch zu ihm hin ist.“ Das hat er längst bereut – vor allem, dass er seine Kinder beim Opa gelassen hat. Immer wieder sage seine Tochter, ihr Leben habe kein Wert mehr. „Dabei ist sie doch die Heldin in der Geschichte“, sagt der Vater und ringt um Fassung.

Acht oder neun Jahre alt sei das Mädchen laut der Anklageschrift gewesen, da habe es der Opa im Genitalbereich berührt. Die Oma sei gerade mit dem Bruder zum Einkaufen gegangen, sie hätten es sich vor dem Fernseher bequem gemacht. Dazu habe sie die Hose ausziehen müssen.

Es vergingen mehrere Jahre, ehe die Geschichte ans Tageslicht kam. „Bei deiner Tochter stimmt was nicht“, habe eine Tante zu ihm gesagt, so der 41-Jährige. Da habe er sie beiseitegenommen und alles erfahren. Doch das soll nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein. Angestoßen vom Mut der heute 14-Jährigen meldete sich eine Nichte des 65-Jährigen. Sie gab an, Ende der 80er Jahre als Elfjährige von dem Angeklagten bei einem Campingurlaub vergewaltigt worden zu sein. Dem Gericht schilderte die Frau unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein vierstündiges Martyrium. Ihre ebenfalls halbwüchsigen Cousins hätten gleichzeitig am anderen Ende des Wohnwagens geschlafen. Der Angeklagte habe ihnen Alkohol zu trinken gegeben. „Sie ließen nichts aus“, sagte der Richter später in seiner Urteilsbegründung.

Er könne sich an solche Vorfälle nicht erinnern, sagte der Angeklagte. Vielleicht sei er bei seiner Enkelin beim Rumbubeln einmal aus Versehen „da hingekommen“. Die andere Geschichte sei aber „erstunken und erlogen“, „eine Verschwörung“. Als Invalide habe er die Taten überhaupt nicht begehen können. Seit einem Arbeitsunfall Anfang der 80er Jahre fehlt ihm ein Bein.

Eine Gutachterin sah darin kein Hindernis. Ein weiteres, vom Verteidiger angeregtes Gutachten zur angeblich fehlenden Potenz des Mannes lehnte das Gericht ab. Niemand könne bezüglich der Erektionsfähigkeit des Mannes im Jahr 1988 noch Aussagen treffen, sagte Rometsch. Sein Urteil: dreieinhalb Jahre Haft. Er hege keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerinnen, zumal sich acht weitere Opfer der Polizei offenbart hätten. Diese Taten seien nur wegen deren Verjährung nicht zur Anklage gekommen. „Sie haben alle minderjährigen Mädchen in Ihrem Umfeld missbraucht oder es versucht“, sagte der Richter. „Wie ungerührt Sie alles zur Kenntnis nehmen, macht fassungslos.“