Vergewaltigungsvorwürfe gegen Harvey Weinstein Die dunkle Seite Hollywoods

Harvey Weinstein mit Gwyneth Paltrow – die nun wie viele andere Schauspielerinnen heftoige Vorwürfe gegen ihn erhebt. Foto: PA Wire

Der mächtige Filmproduzent Harvey Weinstein wird der sexuellen Nötigung bezichtigt. Die Vergehen enthüllen die Mechanismen eines ganzen Systems

Hollywood - Es war ausgerechnet die Frauenzeitschrift „Elle“, die sich sonst gerne mit den schönen und schicken Seiten des Lebens beschäftigt, die 2010 im Interview mit dem Hollywoodstar Gwyneth Paltrow ein hässliches Thema aufbrachte: ob Paltrow schon Erfahrung mit der Casting-Couch gemacht habe, der Besetzungscouch, auf der Produzenten und sonstige Hollywood-Insider sexuelle Gefälligkeiten von karrierewilligen Jungtalenten erpressen. So ein Gespräch hätte Paltrow, die 1999 den Oscar für ihre Hauptrolle in „Shakespeare In Love“ gewann, wie andere Kolleginnen abbrechen können. Aber sie reagierte erstaunlich nüchtern. Ja, so eine Erfahrung habe es am Anfang ihrer Karriere gegeben: „Jemand hat vorgeschlagen, wir sollten eine Besprechung im Schlafzimmer zu Ende bringen. Ich bin gegangen. Ich war ziemlich schockiert.“

 

Den Namen des sexuellen Beutegreifers nannte Paltrow nicht. Und das war bislang typisch für solche düsteren Anekdoten. Charlize Theron, Megan Fox, Thandie Newton und andere erwähnten hie und da Übergriffe. Aber stets blieb der Aggressor ungenannt. In der Vagheit waberte die Frage, ob dies die letzten Irrläufer eines alten Machtsystems waren oder Belege einer weiter wuchernden Unkultur.

Nun aber sind alle Zweifel weggefegt. Inmitten einer Welle der Anklagen hat auch Paltrow ihren Vorwurf konkretisiert. Der enorm einflussreiche Produzent Harvey Weinstein, Gründer und Chef erst von Miramax, dann der Weinstein Company, wird als rüder Anmacher ohne jeden Respekt vor Frauen angeprangert , sogar unverblümt der Vergewaltigung bezichtigt.

Erdrutsch der Lügen

Was Hollywood gerade erlebt, ist kein auf Unterhaltungswerte zugespitztes Skandalintermezzo, sondern ein Erdrutsch der Gewohnheiten, Lügen und Verbrämungen. Harvey Weinstein war gerade noch die Symbolfigur eines sich an der Welt reibenden, von Menschen gemachten, von Visionen getriebenen Kinogeschäfts, in Abgrenzung gegen die maschinell kalkulierte Fertigung von Popcornware. Aber dieser Harvey Weinstein ist als gestaltende Kraft der Filmgeschichte wohl erledigt, seit die Tageszeitung „The New York Times“ vergangene Woche eine erste Enthüllungsgeschichte über sein jahrzehntelanges Treiben veröffentlichte, der weitere, auch in anderen Medien, folgten.

Weinstein, der junge Schauspielerinnen und Angestellte im Bademantel zu Besprechungen empfing und Massagewünsche, Nacktbadevorschläge und andere Eindeutigkeiten vorgebracht haben soll, ist vom Aufsichtsrat seiner Firma The Weinstein Company, dem auch sein Bruder Bob angehört, mit sofortiger Wirkung entlassen worden. Seine Ehefrau, die Modedesignerin Georgina Chapman, verlässt ihn. Weinstein selbst hat eingestanden, er sei ein schwer behandlungsbedürftiger Mann. So scheint der 65-Jährige nun ein Fall für Psycho-Coaches und Gerichte.

Im La-La-Land der Super-Egos

Aber kaum sprechen Ashley Judd, Angelina Jolie, Rose McGowan, Gwyneth Paltrow, Rosanna Arquette und andere Schauspielerinnen offen über Weinsteins Gebaren, folgen Kommentare aus der Branche, das sei doch nur für das Publikum etwas Neues. Im Filmgeschäft selbst, im La-La-Land der Super-Egos, habe fast jeder Bescheid gewusst über die Satyr-Seite Weinsteins. Weinstein sei auch nicht der Einzige mit einem kriminellen Respektsdefizit.

Harvey Weinsteins Vergehen werden also nicht mehr als traurige Sonderfälle eingestuft, wie die ihre Karrieren verdunkelnden Übergriffe, die man Roman Polanski, Bryan Singer oder Bill Cosby vorgehalten hat. Die Weinstein-Enthüllungen stellen ganz Hollywood als Geflecht der Täter und Mitwisser an den Pranger – und damit auch den liberalen Teil der USA. Weinstein war wie die Mehrzahl der Akteure in der Traumfabrik ein Sympathisant der Demokraten. Er trat in all seiner auf Filmfestivals offen dargebotenen burschikosen Egomanie auch als Rammbock gesellschaftlichen Wandels auf. Harvey Weinstein verkörperte jenes liberale Hollywood, das nicht nur von der religiösen Rechten in den USA so gerne gehasst und verachtet wird, als gottlose Blase linker Spinner, die das Land zugleich mit viel zu vielen Freiheiten (wie dem Recht auf Abtreibung) und viel zu vielen Zwängen (wie politisch korrekter Sprache) zersetzen möchte.

„Hollywood Babylon“ heißt ein 1965 erschienenes, prompt verbotenes, erst zehn Jahre später wieder aufgelegtes Skandalbuch des Underground-Filmers Kenneth Anger, das Perversions-, Sex- und Verbrechensgeschichte aus einem halben Jahrhundert Branchenklatsch zum Bild kompletter Verkommenheit zusammenstellt. In einzelnen Behauptungen oft falsch, traf und nährte der Anekdotenschatz der Laster doch die latente Vorstellung vom Film als Sündenpfuhl. Die von keiner Kinohistorie in ihrer Schizophrenie ganz erfasste Wahrheit ist, dass einige der wüstesten Geschichten eher beispielhaft als übertrieben sind – auch wenn in Hollywood Kunst entstand, sogar sehr feinsinnige.

Der Erfinder der Casting-Couch

Sexuelle Erpressung gab es dort immer, aber den Ruhm, die Casting-Couch zur geschäftlichen Institution gemacht zu haben, kann der legendäre Produzent Darryl F. Zanuck (1902–1979) beanspruchen. Zanuck besprang Stars und Sternchen wie ein hormongestörter Ziegenbock, vertaktete seine Nötigungen aber als demütigende Machtausübung im Dienst der Firma im Bürokalender. Er hielt täglich die Zeit zwischen 16 und 16.30 Uhr frei für das, was er wohl als Warenprobe dessen auffasste, was er später dem Publikum offerieren würde.

Aber all das, wollte die moderne Filmindustrie nach außen signalisieren, habe man hinter sich. Man wollte als so reformiert wie Las Vegas gesehen werden, dessen Casinos und Hotels einst der Mafia gehorchten, nun aber Anlegerfonds gehören. Der Fall Weinstein reißt die Papierkulissen dieser Illusion von Läuterung, Zügelung und Emanzipation nieder.

So unberechenbar sind die Folgewirkungen von Weinsteins Ruin, dass nun auch Ex-Präsident Barack Obama, dessen älteste Tochter Malia ein Praktikum in Weinsteins Firma absolviert hat, eine Stellungnahme abgab. „Michelle und ich sind angewidert von den Berichten über Harvey Weinstein“, heißt es darin. „Jeder Mann, der Frauen auf diese Weise degradiert, muss verurteilt und zur Verantwortung gezogen werden.“ Damit folgt Obama dem Beispiel von Hillary Clinton und anderen demokratischen Politikern, die so weit wie möglich von ihrem einstigen Gönner und Spendengeber abrücken.

Die Druckwelle wächst an

Was bei anderen Enthüllungsgeschichten der Höhepunkt der Aufregung wäre, erscheint im Fall Weinstein wie die Ruhe vor dem Sturm. Noch halten sich die Republikaner und rechts von ihnen angesiedelte Gruppierungen, die sich von Donald Trump eine Großabrechnung mit allem Liberalen versprechen, auffällig zurück. Zu frisch sind die Erinnerungen an vulgär sexistische Äußerungen Trumps und an diverse Sexskandale in den eigenen Reihen. Alles scheint gebannt zu warten, nicht auf weitere Vorwürfe gegen Harvey Weinstein, sondern auf Zeuginnen, die andere Produzenten und Regisseure als chronische Nötiger benennen. Im Zeitalter von Twitter, Facebook und 24-Stunden-Push-Nachrichten auf dem Smartphone entsteht eine Druckwelle, Motto: Schauspielerinnen, bekennt euch jetzt, und alles lässt sich ändern, schweigt jetzt, und vieles ist verloren.

Sollte Hollywood zu einer großen Offenlegung seiner übelsten Sitten und miesesten Strukturen finden, sollte dort eine Reformwelle in Gang kommen, hätte das aber mit Sicherheit Auswirkungen auf andere Kulturbereiche. Die Casting-Couch ist kein Exklusiv-Schandmal der US-Filmindustrie. Sie soll auch an manchem Theater zum realen oder virtuellen Mobiliar gehören.

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