Auf einer „Querdenken“-Demo in Karlsruhe hat eine Elfjährige ihren Geburtstag unter Corona-Bedingungen mit der Lage des jüdischen Mädchens Anne Frank im Zweiten Weltkrieg verglichen. Die Aussage löst Empörung aus.

Karlsruhe - Dass Kinder bei „Querdenken“-Demos unter den Protestierenden sind, ist nicht mehr überraschend. Nicht mal, dass sie auf der Bühne stehen. Dass eine Elfjährige aber ihren Geburtstag unter coronabedingten Einschränkungen mit der Situation des jüdischen Mädchens Anne Frank im Zweiten Weltkrieg vergleicht, löst Empörung aus und ruft die Behörden auf den Plan. Der Fall aus Karlsruhe könnte aus Expertensicht für einen fragwürdigen Trend stehen.

 

Die Elfjährige hatte am Samstag auf der Bühne eine Rede vorgelesen, in der sie sagte, die Geburtstagsfeier mit ihren Freunden sei ganz anders gewesen als in den Jahren davor: „Wir mussten die ganze Zeit leise sein, weil wir sonst vielleicht von unseren Nachbarn verpetzt worden wären. Ich fühlte mich wie bei Anne Frank im Hinterhaus, wo sie mucksmäuschenstill sein mussten, um nicht erwischt zu werden.“ Bis zu 1000 Menschen hatten sich bei der Demo versammelt. Mehrere Medien hatten über die Aussagen des Kindes berichtet.

„Völlig unangebracht und geschmacklos“

Die Polizei bezeichnete den Vergleich bei Twitter als „völlig unangebracht und geschmacklos“ und gab die Dokumentation des Falls durch den Staatsschutz am Dienstag der Staatsanwaltschaft zum Prüfen. Diese muss laut einem Polizeisprecher klären, ob ein Straftatbestand wie die Leugnung des Holocausts vorliegt. Er sagte aber: „Nicht alles, was moralisch verwerflich ist, ist auch ein Straftatbestand.“ Die Stadt Pforzheim, in der das Mädchen lebt, kündigte an, das Jugendamt werde das Gespräch mit den Eltern der Schülerin suchen.

Die Staatsanwaltschaft sieht von einem Ermittlungsverfahren ab. Die Prüfung des Falls habe keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten ergeben, sagte ein Sprecher der Karlsruher Behörde am Dienstag. Abgesehen davon, dass das Kind selbst strafunmündig sei, werde auch nicht gegen die Eltern ermittelt, sagte der Sprecher.

Anne Frank hatte von 1942 bis 1944 mit ihrer Familie in Amsterdam im Versteck vor den deutschen Nationalsozialisten gelebt und dort ihr weltberühmtes Tagebuch geschrieben. Sie starb im Frühjahr 1945 im Konzentrationslager Bergen Belsen im Alter von 15 Jahren.

Dass der Antisemitismus gezielt nach Kindern greife, sei eine „neue Eskalation“

Der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blume, sprach von einer „neuen Eskalation“: NS-Vergleiche habe es die ganze Zeit bei den Protesten gegen die Corona-Politik gegeben. „Neu ist, dass Kinder in offensive Rollen und zum Mitmachen gedrängt werden“, sagte Blume. „Der Antisemitismus greift jetzt gezielt nach Kindern und setzt Kinder gezielt ein, um Tabus zu brechen.“ Ein anderes Beispiel seien Chatgruppen etwa beim Anbieter Telegram, ausgerichtet genau auf Kinder und Jugendliche.

In der Verschwörungslogik gehe es darum, das Wichtigste im Leben zu schützen, so Blume. Das könnten für manche Menschen Hautfarbe, Geld oder eben die eigenen Kinder sein. In manchen Verschwörungsmythen geht es um entführte und gefolterte Kinder. „Kinder sind da ein guter Trigger“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur weiter.

Wichtig sei sachliche, unaufgeregte Aufklärung. An die Betroffenen werde man kaum herankommen, räumte Blume ein. „Wir müssen damit leben, dass wir nicht alle erreichen werden. Aber die vielen Menschen, die wir erreichen können, müssen wir aufklären.“ Auch Eltern müsse klargemacht werden, „was sie ihren Kindern damit antun“.

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„Ich weiß nicht, was da in der Erziehung schief gelaufen ist“, sagte Timo Werner vom Frank-Loeb-Institut der Universität Koblenz-Landau, das seinen Sitz in einem Haus aus dem ursprünglichen Besitz der Familie von Anne Frank in Landau in der Pfalz hat, den „Badischen Neuesten Nachrichten“ (Dienstag). Der Ton sei aber nichts Neues. „Man stellt sich in die Tradition des größten Unrechts. Da werden keine Punkte mehr ausgetauscht, sondern Extremargumente.“

Die Karlsruher SPD-Bundestagsabgeordnete und Vize-Fraktionschefin Katja Mast erklärte: „Wie „Querdenken“ und Co. gezielt versuchen Kinder, ihre Bedürfnisse und ihre Gesundheit für ihre Zwecke zu instrumentalisieren macht mich fassungslos.“ Zudem sei es eine ungeheure Verharmlosung der Verbrechen Nazi-Deutschlands. Comedian Oliver Pocher griff die Rede der Elfjährigen in einem Beitrag auf Instagram auf und sagte: „Das ist so ziemlich das Dümmste, was ich seit langem gehört habe.“ Den Vorwurf mache er aber nicht dem Kind, sondern seinen Eltern. „Wir leben in keiner Diktatur“, betonte er.

Von den Demo-Veranstaltern von „Querdenken 721“, dem Karlsruher Ableger der in Stuttgart gegründeten „Querdenken“-Bewegung, gab es zunächst auf Anfrage keine Stellungnahme.