Dürfen Städte in eigener Regie Fahrverbote zur Luftreinhaltung in Umweltzonen erlassen? Das soll jetzt vom Bundesverwaltungsgericht am kommenden Dienstag geklärt werden. Die Bundesregierung könnte unter Zugzwang kommen.

Leipzig - Wenn es ums Auto geht, des Deutschen liebstes Kind, gibt es kein Pardon, es wird Gas gegeben. Das Thema ist, zumal in einer Stadt wie Stuttgart, oft sehr emotional besetzt.

 

Gesittet und ohne giftigen Abgasqualm haben am Donnerstag die Vertreter der Deutschen Umwelthilfe (DUH) auf der einen und die der Bezirksregierung Düsseldorf und des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg auf der anderen Seite die Klingen gekreuzt. Die Stadt- und Staatsvertreter wollten mit ihrer Sprungrevision die Urteile der ersten Instanz tilgen, die da lauten: Diesel-Fahrverbote für einzelnen Straßen (in Düsseldorf) und die ganze Umweltzone (in Stuttgart) müssen auch gegen Fahrzeuge mit grüner Plakette ausgesprochen werden, wenn die Stickoxidwerte so sind, wie sie sich seit Jahren in Düsseldorf und Stuttgart zeigen. Nämlich weit über dem europäischen, seit 2010 gültigen Grenzwert.

Am kommenden Dienstag soll das Urteil verkündet werden

Vorab: Das Gericht in Leipzig hat seine Entscheidung aufgeschoben, weniger zum Ärger der professionellen Verhandler als der Zuhörer. Der prunkvoll mit Eiche ausgeschlagene Saal im piekfein renovierten Gemäuer aus Wilhelminischer Zeit war bis auf den letzten Platz gefüllt, am Eingang mussten Interessierte abgewiesen werden, davor wurde kreativ demonstriert. Am 27. Februar um 12 Uhr, wenn das Urteil verkündet werden soll, gibt es die nächste Chance, live dabei zu sein.

Dass der Gesundheitsschutz einen hohen Stellenwert hat, ist gesetzlich festgeschrieben. Einem Beobachter wie Manfred Niess, in der Nähe des Neckartors wohnend und selbst Kläger gegen das Land, kam er am Donnerstag dennoch zu kurz. Die Erörterung der finanziellen Schäden für Autofahrer jüngerer Diesel geriet ihm deutlich zu ausführlich. „Die Opfer von Stickstoffdioxid und Feinstaub kamen überhaupt nicht vor, das ist der Hammer. Ich klage seit 2004!“ zeigte sich Niess verärgert.

Hermanns Amtschef lobt die Verhandlungsführung

Die Leipziger Richter unter dem Vorsitz von Andreas Korbmacher hatten sich an der Betroffenheits- und möglichen Entschädigungsfrage deshalb so festgebissen, weil sie offenbar nach einer Art Stufenregelung suchen, die verhältnismäßig wäre, und damit Klagen betroffener Euro-5-Autobesitzer vermeiden könnte. „Wir haben eine sehr faire Verhandlungsführung erlebt“, kommentierte Uwe Lahl, Amtschef im Verkehrsministerium von Winfried Hermann (Grüne) die Regie. Das Land habe beim Thema Verhältnismäßigkeit gepunktet, die Gegenseite DUH beim Thema EU-konforme Auslegung. Das soll heißen: Wenn sich im nationalen Recht keine Festlegung findet, die den unrechtmäßigen Zustand ständiger Grenzwertüberschreitungen beim Stickstoffdioxid beseitigt, dann ist das mit dem Anspruch der Union nicht vereinbar. „Wir haben aus dem Unionsrecht eine klare Ergebnisverpflichtung“, stelle Korbmacher fest. Das sieht auch Wolfram Sandner, der Anwalt des Landes. die Lösung müsse aber Blaue Plakette lauten. Die verweigert der Bund. Michael Uechtritz, Anwalt für die Stadt, warnte vor handgestickten Schildern, die Straßenverkehrsordnung werde dadurch „verbogen".

Von einer Fahrverbots-Entscheidung erwartet sich die Deutsche Umwelthilfe erhebliche Auswirkungen – auf die Industrie für Nachrüstungen, auf eine neue Regierung, die sich dann zwangsweise doch für neue Farben auf der Windschutzscheibe begeistert. Ein entspreche Entscheidung aus Leipzig wäre jedenfalls eine Hypothek für Berlin. Mit einem Flickenteppich an Verboten würde Deutschland zur Lachnummer der EU.

Deutsche Umwelthilfe spricht von „Staatsversagen“

Den Abgasskandal bezeichnete der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, als „Staatsversagen“. Die Kooperation zwischen Autoindustrie und Politik sei da überaus eng gewesen. Weil die EU die Zügel als Folge des VW-Abgasskandals anzog, müssen die Hersteller alle neu verkauften Modelle bis September 2018 säubern. Da ergeben sich interessante Effekte: Der Harnstofftank der neuen Mercedes A-Klasse zum Beispiel wird enorm vergrößert und plötzlich 28,5 Liter fassen. Der Stoff wandelt Stickstoffdioxid im Kat in unschädliche Stoffe um. Damit das funktioniert, braucht es aber auch genügend Harnstoff.

Gas geben mit dem Diesel könnte künftig nur noch sehr eingeschränkt möglich sein, jedenfalls in Umweltzonen. Der Ausschluss aus Stuttgart würde hier laut statistischem Amt fast 59 000 Fahrzeughalter und in der Region um Stuttgart nach Schätzungen der Kfz-Innung zwischen 198 000 und bis zu 236 000 Autos treffen. Mit einer Abstufung unter Schonung von Euro 5 natürlich weniger.

Die Autofahrer haben begonnen, auf die Abgas-Misere und immer neue Nachrichten über Manipulationen auch renommierter Hersteller zu reagieren. Der Dieselanteil sinkt, auch in Stuttgart ging er nach einem Anstieg von 42 689 Fahrzeugen (15,5 Prozent) im Jahr 1995 und der Spitze von 107 564 Autos (36,4 Prozent, 2016) im vergangenen Jahr erstmals zurück, und zwar auf 102 424 Fahrzeuge oder 34 Prozent des Gesamtbestandes.