Tony Blair vermittelt offenbar heimlich zwischen Israel und der Hamas – obwohl Jerusalem dies abstreitet. Für beide Seiten hätte ein Abkommen große Vorteile. Die Palästinenser bleiben allerdings gespalten.

Stuttgart - In acht Jahren als Gesandter des Nahost-Quartetts hat sich Tony Blair nicht gerade Ruhmesblätter erworben. Zu wenig engagiert, zu zahm, zu nachsichtig mit den Israelis lauteten die Vorwürfe. Überhaupt halte sich der ehemalige britische Premier lieber in Jerusalemer Regierungsbüros auf als in Ramallah. Den Gazastreifen ließ Tony Blair lange Zeit ganz links liegen.

 

Doch seit diesem Frühsommer ist der 62-Jährige seinen Posten im Auftrag des Quartetts (UN, USA, EU und Russland) los. Jetzt, da er nur noch ein Libero in Nahost ist, wirkt er wie ausgewechselt. Unterwegs in eigener Mission, um Gaza zu befrieden, ist Blair nicht an Auflagen gebunden: wie etwa das vom Nahost-Quartett erteilte Kontaktverbot zur Hamas.   Der Mann will noch etwas erreichen – böse Zungen lästern, er wolle sich nur einen Friedensnobelpreis anheften.

Auch für Israel hätte ein Abkommen viele Vorteile

Doch sollte Blairs Vorhaben gelingen, einen langfristigen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas samt Aufhebung der Gaza-Blockade zu vermitteln, wäre für (fast) alle Beteiligten viel gewonnen. Mindestens viermal hat Tony Blair den Exil-Chef der Hamas, Khaled Meschal, dem Vernehmen nach in den letzten drei Monaten getroffen haben, meist in Katar oder in der Türkei. Die Europäer und   Amerikaner sollen ihr stilles Einverständnis erteilt haben und die Israelis natürlich auch. Die drei Nein – mit der Hamas wird nicht geredet, solange sie nicht Israel anerkennt, Gewaltverzicht übt und internationale Verträge respektiert – wurden einstweilen zurückgestellt.   Zwar bestritt das Premierbüro von Benjamin Netanjahu gleich vehement, direkte oder indirekte Kontakte mit der Hamas zu unterhalten. Das aufwendig formulierte Dementi ließ Beobachter aber erst recht stutzen.

Für Netanjahu wäre es auch ziemlich peinlich, geheime Gesprächskanäle zur Hamas zuzugeben. Schließlich hat er in Bausch und Bogen abgelehnt, mit der im Juni 2014 von Fatah und Hamas eingesetzten palästinensischen Einheitsregierung ein Wort zu wechseln. Andererseits   käme ihm ein Gaza-Abkommen gelegen. Erstens, um den israelischen Landessüden aus der Schusslinie zu holen. Die vorläufige Waffenruhe, die seit Ende des Gaza-Kriegs gilt, ist brüchig. Jeder Schlagabtausch birgt das Risiko einer ungewollten Eskalation – umso mehr, als der Verzweiflungspegel in Gaza stetig steigt. Zweitens könnte Netanjahu bei einem Gaza-Deal auf Beifall aus aller Welt hoffen, ohne eine einzige Siedlung räumen zu müssen.

Die Palästinenser bleiben gespalten

Ein solches Abkommen wäre auch im Interesse des politischen Flügels der Hamas. Sie ist in finanziellen Nöten, da weder Geld aus Teheran, noch über reguläre Steuereinnahmen in ihre Kassen fließt. Keines der 19 000 zerstörten Häuser wurde seit Kriegsende wieder aufgebaut. Nur die Arbeitslosigkeit, rund vierzig Prozent, wächst und mit ihr der Frust unter den 1,8 Millionen Palästinensern in Gaza. Im Gegenzug für einen Waffenstillstand für die Dauer von zehn Jahren verlangt die Hamas allerdings neben offenen Grenzübergängen einen Hafenbau samt Seepassage nach Nordzypern. Überwacht werden könnte sie von der Türkei und den Europäern. Wichtig ist, dass dieser Weg nicht nach Belieben von Israel oder Ägypten gesperrt werden kann.  

Nur, ohne Ramallah ist dieses Konzept nicht zu machen. Ein Hafen für Gaza ist ein Tor zur Welt, an dem Grenzschutz positioniert sein muss. Und dafür ist auf palästinensischer Seite die international anerkannte PLO zuständig. Noch wird sie von Präsident Mahmud Abbas geführt, der sich sträubt, mitzuspielen. Abbas fürchtet nicht zu Unrecht, dass über eine Gaza-Vereinbarung die Zwei-Staaten-Lösung völlig aus dem Blick und er selbst ins politische Abseits geraten würde.

Das Dilemma wird dadurch kompliziert, dass der militante Flügel der Hamas ebenfalls Einwände hat. Kaum hatte Politchef Meschal von „signifikanten Fortschritten“ in den Verhandlungen mit Blair gesprochen, funkte Hamas-Hardliner Mahmud Sahar dazwischen. Die Hamas habe ihre Stärke dem „Widerstand“ zu verdanken, nicht Kompromissen mit Israel.   Die Palästinenser haben derlei ideologische Gefechte über. Sie wollen ein menschenwürdiges   Leben, raus aus dem Gefängnis mit Meerblick. Wer immer ihnen dazu verhilft, hat in Gaza eine politische Zukunft.