Tage darauf wird die „Badische Zeitung“ berichten: „Im Verlauf der dreistündigen Auseinandersetzung, die anfangs in einer herzlichen Atmosphäre verlief, dann aber in eine schärfere Diskussion mündete, konnte keine Übereinstimmung erzielt werden.“ Tatsächlich wird es an diesem Nachmittag immer lauter – ob wegen der Sommerhitze, der Wirkung des Kirschwassers oder des Tälesweins vom Fuß des Hohenneuffens, der bald in großen Mengen ausgeschenkt wird. Und dann kommen sie doch, die „abfälligen Bemerkungen“, die der Gastgeber auf den Index gesetzt hatte.

 

„Großschwäbische Annexionisten“, wettert die Badener Bank in Richtung der Einigungsfreunde, „Separatisten und Französlinge“ schallt es ihr entgegen, der Unterländer Liberale und baldige erste Bundespräsident Theodor Heuss sieht eine „Traditionskompanie des Hauses Zähringen“ aus Freiburg angereist. Ziemlich grob hat der Politologe Eschenburg später in seinen Erinnerungen insbesondere mit Wohleb abgerechnet. Ihm bescheinigt er „skrupellose Verschlagenheit und ungehemmte instinktsichere, ganz auf seinen ländlichen Bereich eingestellte Propagandavirtuosität“; ständig habe Wohleb „sich und sein Land von den Schwaben betrogen“ gefühlt, im Grunde sei er ein „vorderösterreichischer Hinterwäldler“ und dergleichen lustvolle Charakterisierungen mehr, mit denen sich der von der badischen Hinhaltetaktik genervte Fusionsbefürworter Luft machte.

Der Tag endet mit Kalbsnierenbraten und Täleswein

Der Tag auf dem Hohenneuffen endet aber fast versöhnlich – in einem veritablen Gelage. Der Gastgeber lässt ein Abendessen auffahren, das wenige Wochen nach der Währungsreform Seltenheitswert hat, Kalbsnierenbraten mit Spätzle und Soß’ samt grünem Salat. Dazu und danach sollen eine „astronomische Anzahl“ Viertele vom Täleswein, einem Silvaner aus dem Vorjahr, ausgeschenkt und bis zum Abwinken Zigarren gereicht worden sein. „Es schien“, schreibt ein Chronist, „als habe man den armen Vettern aus dem Süden vorführen wollen, welcher Wohlstand auf sie wartet, wenn sie sich dem reichen Norden anzuschließen bereit zeigten.“

Das verfehlt seine Wirkung sogar auf Leo Wohleb nicht. In einem Trinkspruch, der fast zu einer visionären Rede ausartet, wirbt er nach den Wortgefechten des Nachmittags um Verständnis: „Wir Südbadener können nun mal keinen Salto mortale machen und alles, was uns lieb gewesen ist, so einfach aufgeben. Die Württemberger müssen dafür Verständnis haben, wenn sie etwas erreichen wollen. Wir rechnen aber damit, dass wir uns zusammenfinden werden.“ Der Gastgeber Reinhold Maier vernimmt es mit stiller Genugtuung und innerer Weitsicht.

Zum Fremdeln hat der 60-Jährige Gründe. Er weiß: wenn das Kalkül seiner Gastgeber aufgeht, ist er die längste Zeit Staatspräsident gewesen. Dabei ist er es überhaupt erst seit gut einem Jahr, und das erkennbar gerne, er residiert im Colombi-Schlösschen zu Freiburg, wenn auch von der Besatzungsmacht Frankreichs Gnaden. Zudem erblicken die hier versammelten Widersacher in seinem Südbaden gar keinen richtigen Staat, höchstens einen Kleinstaat, der ohne sie nicht überleben könne. Und drittens weiß Wohleb um sein persönliches Handicap: Der vormalige Gymnasialdirektor ist gebildet und eloquent, aber als Mann keine Schönheit, klein von Statur neben seinen stattlicheren Kontrahenten. Nickelbrille, Spitznase und eine Art, tja, Hitlerbärtchen tun ein Übriges.

Wohlebs Verhandlungspartner wollen den Südweststaat

Wer sind seine Kontrahenten? Voran Reinhold Maier (58), Regierungschef von Württemberg-Baden und Liberaler aus dem Remstal; dann Gebhard Müller (48), Konservativer aus Oberschwaben samt dem cleveren Ministerialrat Theodor Eschenburg (43); aber auch Heinrich Köhler (70), ein nordbadischer Landsmann Wohlebs und christdemokratischer Parteifreund aus Karlsruhe. Die wollen den fusionierten Südweststaat. Als Mitspieler in der Liga von Bayern und NRW und als Garanten dafür, dass der westliche Teil Württemberg-Badens nicht auf Dauer unter französische Fuchtel kommt. Sie haben es eilig. Denn die Westalliierten verfügten: Falls Ländergrenzen in Deutschland neu gezogen werden sollten, muss das noch vor der Gründung der Bundesrepublik passieren.

Doch Vorsicht, wer hier drängelt, macht sich verdächtig. Man sei nicht hergekommen, um Beschlüsse zu fassen, so wird Maier später zähneknirschend die eigene Ungeduld dementieren, „sondern um uns kennenzulernen und den gegenseitigen Standpunkt abzutasten“. Wohleb will nicht einmal tasten, das Treffen, sagt er, sei nur ein „Beriechen“. Zunächst klappt das auch ganz gut. Sowohl Maier als auch Wohleb halten sich zurück und überlassen den Klartext anderen – als hätten sie sich von Manfred Rommel beraten lassen: („Politik ist die Kunst, heiße Eisen mit fremden Fingern anzufassen“). Maier lässt den Nordbadener Köhler reden, von dem man immer hoffte, auch er wolle das alte Baden wieder haben, der aber nun, zum Entsetzen Wohlebs und Entzücken der anderen, flammend für die Südweststaatsfusion appelliert.

Und statt Wohleb redet dessen Justizminister Hermann Fecht, der den Württembergern entgegenschmettert: „Verhandlungen unter Bajonetten sind niemals frei“, und sich zu der Warnung versteigt: „Ein auf Vergewaltigung einzelner Teile gegründetes neues Staatsgebilde wäre auf Sand gebaut.“ Die Südbadener wollen sie nicht, die Vereinigung, und werden sie auf Jahre hinaus nicht wollen. Sie wollen die „Wiedervereinigung von Nord- und Südbaden zum alten Baden“ (Fecht). Die aber ist utopisch, denn dazu müssten die Amerikaner dem Drängen der Franzosen nachgeben und ihr Nordbaden gegen deren Südwürttemberg tauschen, was sie nicht vorhaben, schon wegen ihres geliebten „Heidelbörg“ und aus allgemeinem Misstrauen gegenüber Paris.

„Annexionisten“ gegen „Französlinge“

Tage darauf wird die „Badische Zeitung“ berichten: „Im Verlauf der dreistündigen Auseinandersetzung, die anfangs in einer herzlichen Atmosphäre verlief, dann aber in eine schärfere Diskussion mündete, konnte keine Übereinstimmung erzielt werden.“ Tatsächlich wird es an diesem Nachmittag immer lauter – ob wegen der Sommerhitze, der Wirkung des Kirschwassers oder des Tälesweins vom Fuß des Hohenneuffens, der bald in großen Mengen ausgeschenkt wird. Und dann kommen sie doch, die „abfälligen Bemerkungen“, die der Gastgeber auf den Index gesetzt hatte.

„Großschwäbische Annexionisten“, wettert die Badener Bank in Richtung der Einigungsfreunde, „Separatisten und Französlinge“ schallt es ihr entgegen, der Unterländer Liberale und baldige erste Bundespräsident Theodor Heuss sieht eine „Traditionskompanie des Hauses Zähringen“ aus Freiburg angereist. Ziemlich grob hat der Politologe Eschenburg später in seinen Erinnerungen insbesondere mit Wohleb abgerechnet. Ihm bescheinigt er „skrupellose Verschlagenheit und ungehemmte instinktsichere, ganz auf seinen ländlichen Bereich eingestellte Propagandavirtuosität“; ständig habe Wohleb „sich und sein Land von den Schwaben betrogen“ gefühlt, im Grunde sei er ein „vorderösterreichischer Hinterwäldler“ und dergleichen lustvolle Charakterisierungen mehr, mit denen sich der von der badischen Hinhaltetaktik genervte Fusionsbefürworter Luft machte.

Der Tag endet mit Kalbsnierenbraten und Täleswein

Der Tag auf dem Hohenneuffen endet aber fast versöhnlich – in einem veritablen Gelage. Der Gastgeber lässt ein Abendessen auffahren, das wenige Wochen nach der Währungsreform Seltenheitswert hat, Kalbsnierenbraten mit Spätzle und Soß’ samt grünem Salat. Dazu und danach sollen eine „astronomische Anzahl“ Viertele vom Täleswein, einem Silvaner aus dem Vorjahr, ausgeschenkt und bis zum Abwinken Zigarren gereicht worden sein. „Es schien“, schreibt ein Chronist, „als habe man den armen Vettern aus dem Süden vorführen wollen, welcher Wohlstand auf sie wartet, wenn sie sich dem reichen Norden anzuschließen bereit zeigten.“

Das verfehlt seine Wirkung sogar auf Leo Wohleb nicht. In einem Trinkspruch, der fast zu einer visionären Rede ausartet, wirbt er nach den Wortgefechten des Nachmittags um Verständnis: „Wir Südbadener können nun mal keinen Salto mortale machen und alles, was uns lieb gewesen ist, so einfach aufgeben. Die Württemberger müssen dafür Verständnis haben, wenn sie etwas erreichen wollen. Wir rechnen aber damit, dass wir uns zusammenfinden werden.“ Der Gastgeber Reinhold Maier vernimmt es mit stiller Genugtuung und innerer Weitsicht.

Zum Schluss singt man Lieder, erst mit schwäbischer Beteiligung das „Badnerlied“ und dann mit Badener Unterstützung die Schwabenhymne „Preisend mit viel schönen Reden“. Die Spesenrechnung, die der Burgwirt Otto Spring dem Gastgeber reicht, beträgt stattliche 1239 Mark für Essen und Trinken plus 130 Mark für die eigens aus Stuttgart herbeigeschafften Zigarren. Es sollten nach dem Burgfrieden vom Hohenneuffen aber noch fast vier Jahre vergehen, bis sich dieser Haushaltsposten eindeutig amortisiert hatte.