Zum 1. Juli soll in Stuttgart die nächste und wohl letzte Stufe des Diesel-Fahrverbots greifen. Das Land wird sich wenn nötig mit einer Vollstreckungsgegenklage wehren. Grün-schwarz hat dabei ein Ass im Ärmel.

Stuttgart - Der inzwischen in Kraft getretenen neuen Luftreinhalteplan für die Landeshauptstadt schreibt zum 1. Juli 2020 das Fahrverbot für Euro-5-Diesel in der Innenstadt, Bad Cannstatt, Feuerbach und Zuffenhausen vor. Die Grundlage dafür liefert das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig zur Luftreinhaltung vom Februar 2018. Dort ist als betroffenes Gebiet sogar ganz Stuttgart beschrieben.

 

Für die Umsetzung der neuen kleinen Umweltzone ist die Landeshauptstadt zuständig. Sie muss Schilder bestellen und an 160 Orten aufstellen. Die neuen Tafeln mit dem Aufdruck „Diesel (außer Lieferverkehr) erst ab Euro 6/VI frei“ hat das Tiefbauamt aber noch nicht geordert. Man warte dazu eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs im Mannheim ab, so eine Stadtsprecherin auf Anfrage. Sie sei „ausschlaggebend für den Bestellvorgang“. Nach der Entscheidung wolle man mit der Umsetzung „sukzessive beginnen“. Den finanziellen Aufwand schätzt man auf 250 000 Euro, die Stadt fordert die Kostenübernahme durch das Land.

600 Seiten von den Anwälten

Die Streitparteien Deutsche Umwelthilfe (DUH) und das Land haben die Mannheimer Richter mit reichlich Lesestoff versorgt, der Senat brütet über 600 Seiten. Das Land will mit seiner Beschwerde in Mannheim die vom Verwaltungsgericht Stuttgart im Januar verhängte Zwangsgeldzahlung in Höhe von 25 000 Euro abwehren. Die DUH hat mit einer Anschlussbeschwerde reagiert. Sie sähe gern Mitglieder der Regierungskoalition wegen der jahrelangen Überschreitung des Stickstoffdioxid-Grenzwerts in Haft. Das Land stellt sich auf den Standpunkt, alle Auflagen aus dem Grundsatzurteil aus 2018 inzwischen erfüllt zu haben. Die DUH bestreitet dies. Entschieden werden soll im Mai, vielleicht kommende Woche.

Tatsächlich ist die Belastung mit Stickstoffdioxid seit Jahresanfang deutlich zurückgegangen. Im Mittel der ersten vier Monate wurde der EU-Grenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auch am Neckartor eingehalten. Starker Wind und wegen der Coronakrise deutlich weniger Verkehr spielen dabei eine Rolle, außerdem natürlich die Erneuerung der Fahrzeugflotte. Allerdings zählt für den EU-Grenzwert das Jahres-, nicht ein Viermonatsmittel.

Aktueller Wert vorerst ohne Bedeutung

Der aktuelle Wert spielt bei der Entscheidung in Mannheim vorerst keine Rolle, man sei im „Vollstreckungs- und nicht im Erkenntnisverfahren“, so ein Pressesprecher. Die Beschwerden werden am Leipziger Urteil abgeprüft, nicht an den derzeitigen Messwerten.

Das kann sich aber in der nächsten Runde ändern. Der Koalitionsausschuss der Landesregierung hat beschlossen, auch eine Vollstreckungsgegenklage einzulegen. Sollten die Mannheimer Richter den Forderungen der Umwelthilfe stattgeben, wird das Land diese Gegenklage einreichen.

Gericht hat sich festgelegt

Zuständig wären die Stuttgarter Richter. Sie hatten das erste Fahrverbots-Urteil und die erste Vollstreckungsentscheidung gegen das Land verfügt. Dabei hatten sie eine Einschätzung zur Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten gegeben. Läge der tatsächliche Wert um maximal zehn Prozent über der Grenze, sei das Ziel absehbar, man können dann von weiteren Zwangsmitteln absehen.

Das Land wird diese Einschätzung nutzen. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) legte vergangene Woche Prognosen für 2020 mit einer in Stuttgart um ein Drittel verminderten Verkehrsmenge vor. Danach würde es nur noch eine Messstelle (an der Pragstraße) mit einer Überschreitung geben. Das Jahresmittel läge dort bei 42,9 bis 43,2 Mikrogramm, also unter den zehn Prozent. „Wird es damit kein weiteres Fahrverbot für Euro-5-Diesel geben?“, will die SPD im Gemeinderat wissen. Es ist durchaus möglich, dass die Stadt die neuen Verbotsschilder gar nicht mehr bestellen muss.