Natürliche Verhütungsmethoden erleben einen Boom. Sogenannte Zyklus-Apps sollen Frauen dabei helfen, die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage zu unterscheiden. Doch die meisten der Smartphone-Anwendungen sind nicht sicher.

Heidelberg - Irgendwann begannen sich die Frauenärzte eines Stockholmer Krankenhauses zu wundern: Innerhalb von drei Monaten hatten sich rund 37 Frauen gemeldet, die allesamt ungewollt schwanger geworden waren, obwohl sie verhütet hatten. Rasch stellte sich heraus, dass die Frauen die Zyklus-App „Natural Cycles“ benutzt hatten. Die vom TÜV Süd zertifizierte, mit renommierten Reproduktionsmediziner entwickelte App sei so sicher wie die Pille, warben die Anbieter anfangs vollmundig. Doch 37 ungewollte Schwangerschaften sprechen eine andere Sprache.

 

Die Geschichte von „Natural Cycles“ steht symptomatisch für einen zunehmend unübersichtlichen Markt der Verhütungs-Apps. Die funktionieren so: Um den Zeitpunkt des Eisprungs zu bestimmen, füttern die Nutzerinnen die Miniprogramme mit ihren Zyklusdaten. Sie messen regelmäßig ihre Temperatur, prüfen die Konsistenz des Gebärmutterschleims – oder beides. Daraufhin berechnet der Algorithmus die fruchtbaren Tage der Frau. Die Apps heißen „Lily“, „Ovy“, „Clue“, „Flo“ oder „Maya“ und geben vor, die fruchtbaren Tage der Frau zuverlässig bestimmen zu können.

Sport, Stress und Schlafmangel wirken sich auf den Zyklus aus

Doch die Anwendungen sind alles andere als sicher. Erst im vergangenen Jahr testete die Stiftung Warentest 23 deutschsprachige Zyklus-Apps – mit desaströsem Ergebnis. Nur drei Anwendungen schnitten mit „Gut“ ab. Der Rest war „Mangelhaft“.

Die Gynäkologin Petra Frank-Herrmann von der Universitätsfrauenklinik in Heidelberg überrascht das nicht. Sie berät Frauen, die natürlich verhüten wollen. Auf Grund jahrelanger Erfahrung weiß sie, wie stark der weibliche Zyklus schwanken kann. „Intensiver Sport, Stress und Schlafmangel sorgen dafür, dass sich der Zyklus um bis zu zehn Tage verkürzen oder verlängern kann.“ Zwei Drittel aller Frauen kennen derartige Schwankungen. Es ist also nicht unüblich, dass sich die fruchtbaren Tage nach vorne oder nach hinten verschieben. Berücksichtigen Zyklus-Apps dies nicht, kommt es schnell zu ungewollten Schwangerschaften.

Verantwortungslos findet Susanna Kramarz, Pressesprecherin des Berufsverbands der Frauenärzte, solche Apps. „Die schließen auf Basis des Vormonats-Zyklus Rückschlüsse auf den aktuellen Monat. Das ist vollkommen unzulässig.“ Nur Anwendungen, die auf der symptothermalen Methode basieren, die also Daten aus dem aktuellen Zyklus verwendeten und die Körpertemperatur, die Konsistenz des Zervixschleims – also des Gebärmutterschleims – und die Muttermundweite miteinander kombinierten, erfüllen die Kriterien einer zuverlässigen Verhütung.

Eine Methode ist fast so sicher wie die Pille

Apps, deren Algorithmus Störfaktoren wie Schlafmangel, Alkoholkonsum, Stress und Krankheit, nicht berücksichtigten und sich nicht streng an die Vorgaben der symptothermalen Methode nach Sensiplan hält, gelten daher als höchst unzuverlässig.

Die Sensiplan-Methode ist markenrechtlich geschützt, weil sie als einzige wissenschaftlich untersucht und evidenzbasiert getestet wurde. Bei richtiger Anwendung nach Sensiplan hält die Gynäkologin Frank-Herrmann die symptothermale Methode für genauso sicher wie die Antibabypille. Das bestätigt auch der Pearl-Index.

Dieser zeigt an, wie sicher eine Verhütungsmethode vor einer ungewollten Schwangerschaft schützt. Liegt der Pearl-Index einer Verhütungsmethode Methode etwa bei fünf, bedeutet das, dass fünf von hundert sexuell aktiven Frauen, die damit ein Jahr lang verhüten, schwanger werden. Der Pearl-Index der Antibabypille schwankt zwischen 0,1 und 0,9. Sie ist also bei korrekter Einnahme sehr sicher. Der Index der symptothermalen Methode nach Sensiplan liegt bei 0,4 – sie ist also fast genauso zuverlässig. Zum Vergleich: Kondome haben nur einen Pearl-Index von 2 bis 12.

Die Methode muss intensiv eingeübt werden

Doch wie genau funktioniert die symptothermale Methode? Um den Zeitpunkt des Eisprungs festzustellen, misst die Frau jeden Tag ihre Körpertemperatur morgens vor dem Aufstehen. Denn: Kurz vor dem Eisprung steigt die Temperatur der Frau leicht an. Zusätzlich beobachtet sie ihren Zervixschleim in der Scheide. Die Konsistenz und die Menge des Schleims verändern sich im Laufe des Zyklus. Um die Tage des Eisprungs herum ist der Schleim dünnflüssig und klar, später wird er dickflüssiger und zäher und hindert die Samenzellen daran, in den Gebärmutterhals zu gelangen. So kann die Frau erkennen, wann ihre fruchtbaren Tage enden. Diese Art der Verhütung erfordert viel Übung und entsprechende Beratung, weist jedoch auch Vorteile auf. Sie hat keine Nebenwirkungen, kostet wenig und fördert das eigene Körperbewusstsein. Zudem setzt sie einen verantwortungsbewussten Umgang beider Partner voraus. Die Nachteile: Die Methode muss erst intensiv eingeübt werden, bevor sie ausreichend Schutz bietet. Bis dahin müssen die Partner mit Kondom, Diaphragma oder sonstigen Barrieremethoden verhüten.

Was ist nun also von jenen Zyklus-Apps zu halten, die Stiftung Warentest mit „Gut“ bewertete? Zunächst zu den Pluspunkten: Sowohl „Lady Cycle“ als auch „My NFP“ beziehen sich auf die symptothermale Methode der natürlichen Familienplanung nach Sensiplan. Doch im Gegensatz zur Original-Methode der Arbeitsgruppe fehlt es den Apps an individueller persönlicher Beratung ihrer Nutzerinnen und auch an einer evidenzorientierten Auswertung. Zwar erklären beide App-Anbieter auf ihren Webseiten und innerhalb der App ausführlich, wie die Zyklus-App angewandt werden sollte, doch eine wissenschaftliche Auswertung, wie gut die Frauen tatsächlich mit den Apps klarkommen, gibt es bislang nicht. Die Anbieter haben eine entsprechende Methode nicht in Auftrag gegeben.

Aus diesem Grund fordert der Berufsverband der Frauenärzte nun eine bundeseinheitliche Zertifizierung von Verhütungs-Apps. Auf dem Fortbildungskongress der Frauenärztlichen Bundesakademie Foko in Düsseldorf vergangene Woche formulierte der Verband Kriterien an eine zuverlässige und datensichere Verhütung. Die Hauptbotschaft lautet: Auch wenn die App nach den wissenschaftlich-fundierten Sensiplan-Methoden die Daten ausrechnet, müssen die Anbieter den Nutzerinnen ermöglichen, mit qualifizierten Beraterinnen Kontakt aufnehmen.

Wie lange dauert die fruchtbare Phase?

Zyklus: Das Zeitfenster innerhalb dessen eine Frau pro Zyklus fruchtbar sein kann, ergibt sich aus der Lebensdauer der weiblichen Eizelle und der Lebensdauer des Spermas. Obwohl eine weibliche Eizelle nur 12 bis 24 Stunden lang befruchtungsfähig ist, bedeutet das nicht, dass eine Frau nur an zwei Tagen im Monat schwanger werden kann. Denn Spermien überleben bis zu fünf Tage im Eileiter der Frau. Dort warten sie auf den Eisprung.

Fruchtbarkeit:
Die fruchtbare Phase erstreckt sich auf fünf bis sechs Tage pro Zyklus. Sie kann sich um bis zu zehn Tage nach vorne oder hinten verschieben. Das vergrößert den Zeitraum einer möglichen Befruchtung immens.