Das psychiatrische Gutachten zu dem verhungerten Gefangenen ruft die Opposition auf den Plan. Sie wirft Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) Versagen vor. Immer drängender stellt sich die Frage: Weshalb erhielt Rasmane K. keine Hilfe?

Stuttgart - Das psychiatrische Gutachten zu dem im vergangenen Sommer in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bruchsal verhungerten Gefangenen Rasmane K. setzt Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) erneut unter Druck. CDU-Fraktionschef Guido Wolf spricht von einem „Schandfleck für die Justizpolitik in Baden-Württemberg“, FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke resümiert: „Die Luft für den Minister wird dünner.“

 

Der von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe beauftragte Gutachter ist zum Ergebnis gelangt, dass sich der Mann aus Burkina Faso nicht freiwillig zu Tode hungerte. Die Ursache für die Weigerung, Nahrung aufzunehmen, liege vielmehr in einer „krankhaften Störung der Geistestätigkeit“. Laut Gutachter hätte „der Tod mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch eine konsequente – auch zwangsweise – Gabe von Psychopharmaka, gegebenenfalls in Verbindung mit einer künstlichen Ernährung, verhindert werden können.“

Ein schmählicher Tod für einen unleidlichen Gesellen

Der 33-Jährige hatte unter Wahnvorstellungen gelitten; er fürchtete, in der Haftanstalt vergiftet zu werden. Deshalb rührte er das Gefängnisessen nicht an. Statt dessen nahm er nur noch mit Leitungswasser versetztes Müsli zu sich, das er im Gefängnisladen kaufte. Zudem entwickelte er eine hohe Aggressivität, weshalb er nur noch über die Klappe seiner Zellentür Kontakt zur Außenwelt hatte. Am Ende verhungerte er auf seiner Pritsche; die Einzelzelle wurde vom Gefängnispersonal als zunehmend geruchsbelastet beschrieben.

Das sind die nüchternen Fakten. Sie werfen aber die Frage auf, ob in Bruchsal ein psychisch Kranker bewusst einem einsamen und schmählichen Tod überlassen wurde. Der Gedanke erscheint ungeheuerlich, liegt aber angesichts der Vorgeschichte nicht ganz fern: Rasmane K. hatte nicht nur seine Lebensgefährtin brutal getötet. In der Haftanstalt Offenburg hatte er einen JVA-Beamten dienstunfähig geschlagen, um wenig später – nach Freiburg verlegt – einen weiteren Bediensteten anzugreifen. Schon bei der Gerichtsverhandlung – sie endete mit zehn Jahren Haft – war er von Beamten in Kampfmontur und mit geschlossenen Helmen bewacht worden. Hat man den Mann also in Bruchsal bewusst aufgegeben? Wurde gar Rache geübt? Oder war das JVA-Personal schlicht überfordert?

Nur dank einer anonymen Anzeige wurde der Fall überhaupt bekannt. Justizminister Stickelberger enthob den Anstaltsleiter vorläufig seines Amts und berief die Anstaltsärztin ab. Gegen beide wird jetzt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt. Mit Spannung wird nun erwartet, wie die Staatsanwaltschaft das psychiatrische Gutachten bewertet. Ob sie also zum Schluss kommt, dass der Tod des Gefangenen für die Anstaltsleitung vorhersehbar war. Spätestens dann wüchse sich sich der Fall des „verhungerten Häftlings“ zu einem veritablen Justizskandal aus, der auch den Verbleib des Ministers im Amt in Frage stellte.

Opposition will Stickelberger zu Fall bringen

Schon im Dezember hatte die CDU im Landtag den Rücktritt Stickelbergers beantragt, war damit aber gescheitert. Nun wittert die Opposition eine neue Chance. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und der frühere FDP-Justizminister Ulrich Goll erwarten vom Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlungen Hinweise auf organisatorische Versäumnisse im Strafvollzug. Solche Äußerungen entbehren nicht einer gewissen Ironie, befand sich doch das Justizministerium von 1996 bis 2011 fest in FDP-Hand. Und übertriebener Reformeifer ist das so ziemlich Letzte, was Golls Nachfolger Stickelberger vorgeworfen wird. Dieser wiederum führt ins Feld, nach Bekanntwerden des Falls Rasmane K. tatkräftig gehandelt zu haben. Er besetzte die Leitung der Strafvollzugsabteilung in seinem Ressort neu, berief eine Expertenkommission zum Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen und änderte die Meldepraxis zur Einzelhaft.

Über einen Untersuchungsausschuss redet die Opposition noch nicht. Dabei wäre es lohnend, die Vollzugspraxis im Land näher zu beleuchten. Denn gesetzt, Rasmane K. lebte noch und säße in seiner Einzelzelle: Nach Verbüßung seiner Haft wäre ein psychisch kranker, medizinisch nicht behandelter, dafür aber hoch gefährlicher Mensch freigekommen. Kann dies das Ziel des Strafvollzugs im Land sein?

Unterdessen berichtet der „Mannheimer Morgen“, dass sich am Samstag ein 23 Jahre Untersuchungshäftling in einer Einzelzelle der Mannheimer JVA umgebracht habe. Anhaltspunkte für eine Suizidgefahr hätten nach vorläufigen Erkenntnissen nicht bestanden, teilte das Ministerium am Abend auf Anfrage mit. Die Staatsanwaltschaft Mannheim prüfe die Todesursache und habe erklärt, dass derzeit keinerlei Hinweise auf ein Fremdverschulden vorlägen.