Seit mehr als dreißig Jahren bringt Werner Burgmeier auf Krämermärkten seine Gemüsehobel und Käsereiben unter die Leute - und wurde dabei zum Entertainer. Eine Reportage aus unserer Reihe "Archivschätze".
Der Artikel erschien erstmals am 14. Oktober 2011. In unserer Reihe "Archivschätze" blicken wir zurück auf herausragende Reportagen und beantworten am Ende die Frage, was in der Zwischenzeit passiert ist.
Stuttgart - Früh am Morgen, wenn die ersten Wendlinger ihre Hündchen übers Trottoir ziehen, hat Werner Burgmeier schon seinen Sellerie ausgepackt. Den Kohlrabi und den Rettich. Die Zwiebeln, Gurken, Tomaten, Paprika, Karotten, Kartoffeln, Radieschen, am Vorabend bei Lidl geholt. Mit seinem Gerät wird er sich im Lauf des Tages durchs Gemüse schnetzeln wie eine Schädlingshorde – bis klein gehäckselt ist. Arbeitsplatte und Sonnenschirm: mehr braucht er nicht für seine Hobelshow. Der König des Krämermarkts hat den kleinsten Verkaufsstand.
Burgmeier, 62, ist Teil einer Welt, die etwas Naives, Altmodisches bewahrt hat. Hier kriegen die Enkele noch Seifenblasen, Wasserpistolen oder hundert Gramm Himbeerbombole in der Papiertüte geschenkt. Hier deckt sich Oma mit Taft, Lockenwicklern und Pferdebalsam ein und bringt Opa neue Hosenträger, Wollsocken ohne Gummi und einen Messerschleifer mit.
Auf dem Krämermarkt hat Überkandideltes keinen Platz. Er ist Umschlagort für das Reelle, Bewährte: Kittelschürzen und Schraubendeckelöffner, Eierschneider und Geflügelscheren, Schnürsenkel, Nagelfeilen, hautfarbene Baumwollschlüpfer, Gemüsehobel. Oder warum viel Geld für das echte Joop-Parfum ausgeben, wenn das billige, das es hier gibt, fast genauso riecht? Wer weithin als lustiger Gesell erkennbar sein will, kann sich am Stand daneben T-Shirts mit Aufdrucken wie „Zickenbändiger“ oder „Ich Chef, Du nix“ kaufen. Dieser schwäbische Basar ist Werner Burgmeiers Zuhause, der Geruch von Magenbrot und Curry Spezial, von Heringsweckle und Zuckerwatte sein Manegenduft.
Er liegt auf der Lauer
Kurz vor zehn geht der Werbeverkäufer auf Position, fängt in großer Ruhe an, eine Karotte zu schälen. Seine Nachbarin ist Gerlinde, die Imbissfrau. „Ich hab heut die Presse da“, erklärt er. – „Passed Se auf, der hat’s Liaga vorm Laufa g’lernt“, ruft Gerlindes Mann aus dem Hintergrund und kippt eine Ladung Pommes ins heiße Fett. Ein Kollege, der Wischmopps verkauft, macht noch eine Marktrunde. „Morgen Werner, sieht nicht gut aus, oder?“ – „Die send noch net ansprechbar. Des gibt a Zangengeburt.“
Die Perspektive macht den Unterschied. Der Marktbesucher sieht einen Mann mit gewelltem Grauschopf, der konzentriert Karotten, Gurken, Sellerie hobelt, das Geschnipsel zu einem kleinen Gemüsemandala herrichtet und dabei kaum Notiz von seinem Umfeld nimmt. Doch Burgmeier, der Fuchs, ist nicht so unbeteiligt, wie es scheint. Er registriert genau. Das Schritttempo der vorbeigehenden Beinpaare, den Abstand, den sie zu ihm halten, Körpersprache, Blickrichtung, Dialogfetzen. So bekommt er ein Gespür für das Publikum. Für den richtigen Moment zur Offensive. Bis dahin liegt er auf der Lauer.
„Des hen Se aber schee dekoriert.“ – „Ja, mit dem richtigen Werkzeug geht des, alles made in Germany. Hen Se gschwend Zeit, i zeig’s Ihne. Passed Se auf: wie beim Tanzen, hin und her, rund herum das ist nicht schwer. Jetzt mach ich’s noch mal in Zeitlupe. Obacht: Meine Enkel sagen immer, des send die Pommes des 23. Jahrhunderts. Sehen Se, wie gut des geht? Da brauchsch di net ploga. Jetzt zeig i Ihne, wie Se Paprika in Würfel schneida könna, ohne zu filetieren. Dazu muss man sie entmannen. Wie des geht? Ich sag’s Ihne: Schwänzle ab! Kommed Se a bissle näher, Sie müssa nix kaufa. Des geht ganz leicht, a alter Hut mit lange Fransa. Aufstecken, reiben, a viertel Drehung, wieder retour. Seied Se ehrlich: isch des schee?“
Revier vom Rheinland bis ins Oberbayrische
Von wegen Zangengeburt! Schon hat sich eine Menschentraube um den Hobelstand gebildet. Die Leute hängen an den Lippen des Verkäufers, auf dem Markt bilden sich erste Stockungen im Durchgangsverkehr.
Burgmeier wehrt sich dagegen, mit Schreiern wie Aal-Axel oder Nudel-Ralle in einen Topf geworfen zu werden. Er zählt sich auch nicht zu den Propagandisten, „die sich anbiedern oder die Kunden bedrängen“. Er macht’s mit Eleganz. Höchstens fünf, sechs seiner Art gebe es überhaupt noch in Deutschland. „Wir sind die Unterhalter der Märkte, das Salz in der Suppe.“
Seit fast 30 Jahren steht Burgmeier am Hobel. Wenn’s irgendwie geht, startet er frühmorgens zu Hause in Essingen auf der Ostalb und ist spätabends wieder zurück bei seiner Familie. Sein Revier reicht vom Rheinland bis tief ins Oberbayrische. Nur um Südbaden macht er einen Bogen. Die Leute liegen ihm nicht – „haben an allem was rumzukritteln“. Die Franken mag er gut leiden, auch wenn sie manchmal schrecklich kompliziert sein können. Die Bayern sind die lockersten, da dürfen die Scherze ruhig einen derberen Geschmack haben als daheim auf den schwäbischen Märkten.
Was koschded des?
Sich am Stand Gedanken darüber zu machen, wer kauffreudig sein könnte oder bei wem alle Müh’ von vornherein vergebens ist, hat sich Burgmeier schon lange abgewöhnt. Am Ende lag er doch immer falsch. „Ich bin zu jedem gleich nett“, sagt er, „bloß keine negativen Wellen am Stand.“ Wer ihm nur zugucken möchte, ist auch willkommen. Naseweis sein, sagt er, sei halt einfach das Schönste für den Menschen.
„Jetzt der unangenehme Teil. Was koschded des? Ich kann Sie beruhigen, Sie kriegen einen Sonderpreis. Normalerweise zahlen Sie 34,90 plus Porto, bei mir kriegen Sie das Ganze für 29,90. Und jetzt leget Se noch 10 Cent drauf – verschenka darf i nix wegen dem Rabattgesetz – dann gibt’s noch die Box für die Einsätze dazu. Ich sag emmer: schaffa muss man wie ein Pferd, bezahlt wird man wie ein Pony. Wer von den ersten Euros Abschied nehmen will, kann des jetzt macha. Die Anleitung isch langsam druckt,da könna Se sich Zeit lassa beim Lesen. Sie wollen den grünen Hobel? Des passt zur Regierung, gell? Vorhin war ein CDU-Stadtrat da, der wollte einen schwarzen, die hat aber alle der Mappus aufkauft. Und Sie wolla den Roten? Gern. Da sieht man’s Blut net so.“
Der kritische Punkt ist am Ende der fünfzehnminütigen Peformance. Die einen gehen weiter, die andern kaufen. Aber die Spannung darf nicht abreißen. Für Burgmeier heißt das: auch beim Einpacken der Hobel und Ersatzklingen immer im Gespräch bleiben, immer weiter reden – und schon die nächsten Neugierigen um sich gruppieren. Einen fliegenden Start in Runde zwei schaffen nur echte Könner.
"Gemüse liegt mir"
Angefangen hat Werner Burgmeier damals mit Saugschwämmen. Ein Werbeverkäufer nahm ihn zum Schnuppern mit auf die Messe. Bei der Vorführung sagte er dann plötzlich: „ . . . so, und jetzt macht mein Kollege weiter.“ Werner Burgmeier versuchte sein Bestes, und das Beste bei einem Verkäufer ist: reden, reden, reden. Nach einer halben Stunde war er völlig leergequasselt, hatte „Rotz und Wasser geschwitzt“ – aber richtig Gefallen an der Sache gefunden. Werbeverkäufer wurde sein Wochenendberuf neben seinem Job als Außenhandelskaufmann in der Textilbranche.
Nach und nach gelang es ihm, die hart umkämpften Stammplätze auf den Märkten zu erobern. Bald kannte er die Marktleiter persönlich. Auf den Saugschwamm folgte eine kurze Elektroscheren-Ära, danach ging es los mit den Gemüsehobeln, Spargelschäler, Käsereiben. Die 80er waren fette Jahre, die Zeit der Fondues, Raclettes und selbst gemachten Pizzas, für die man natürlich gutes Werkzeug brauchte. Jedes neue Produkt führte Burgmeier seiner Familie vor. Erst wenn sie ihren Segen gab, ging er damit raus.
Putzmittel könnte er nicht verkaufen. „Das ist nicht mein Ding“, sagt er. „Gemüse liegt mir.“ Nach jahrzehntelangem Intensivkontakt reagiert seine Haut zwar immer allergischer auf Karotten, Kohlrabis und die anderen Knollenfrüchte. Aber irgendwie kann er auch nicht davon lassen. Bei Insektenstichen schwillt bei ihm alles zu. Wehe, eine Wespe setzt sich auf den Selleriesalat, dann macht er ihr mit seinem Spray sofort den Garaus. Essen muss das Gemüse eh keiner. Nach Feierabend landet alles im Abfall.
Mit Gurkenhobel zum Entertainer
„Sie wissen, dass man für Eintöpfe anders schneiden muss als für Suppeneinlagen, gell? Ich merke schon, da hab ich hier ein paar echte Köchinnen vor mir. In der Großstadt isch des anders, da hen die Fraua alle lange lackierte Fingernägel und lasset kocha . . . Hen Sie au Enkel? Ja? Warum schmecken denne die Pommes von McDonald’s so? Weil’s net so dicke Denger send . . . 1000 Euro für jeden, der mir des nachmachen kann . . . Ein Traum, ein himmlisches Gerät . . . Wie schneid ich Paprika in Würfel? Schwänzle ab! . . . Mein Rettich kannsch mit den dritten Zähnen schloza . . . Beim roten Hobel sieht man’s Blut net so . . . Zwiebel schneiden schnell und leicht, da hasch zum Heula gar koi Zeit . . . Mei Verwandtschaft isch wie Salzsäure, die frisst sich überall durch.“
Burgmeier ist der Marktmagnet, der Möhrenmagier. Seine Vorführungen sind kleine Einakter, Inszenierungen auf der Krämermarktbühne, Monologe mit eigener Dramaturgie, Improvisationseinsprengseln und Textvariationen, an deren Ende jene Zuschauer, die schon mit dem Geldbeutel in der Hand warten, beim großen Finale mitspielen dürfen. Nach einer Stunde Aufführung und vier Durchgängen hat er 30 Hobel verkauft.
Streikt die Stimme nie? – „Ich habe eine Atemtechnik wie Opernsänger, die eignet man sich automatisch an“, sagt Burgmeier. Nur wenn es sehr neblig ist, schleicht sich manchmal ein Kratzen in den Hals. Dann hilft heißer Zwiebeltee mit Apfelschnitz. Der schmeckt scheußlich, aber Burgmeier hat eine eiserne Disziplin.
Abseits seines Stands ist er nicht so redselig, gibt im Gespräch nicht viel von sich preis und taut nur langsam auf. Sobald er aber seinen Hobel in die Hand nimmt, wird er zum Entertainer. Wer ihm eine Stunde ohne Pause lauscht, dem schwirrt danach der Kopf. Burgmeier scheint noch immer entspannt. Bei Langstreckenläufern kommt irgendwann der Punkt, da nehmen sie ihre Beine nicht mehr wahr und lassen sich einfach von ihnen über die Strecke tragen. Werner Burgmeier ist der Marathonmann vom Markt, durchtrainiert bis in die Zungenspitze. Bei ihm geht es in einem fort. Oder wie er sagt: „Man muss toujours weitermachen.“
Was ist seither geschehen?
Werner Burgmeier ist im Juli 75 geworden. Seine Ein-Mann-Gemüse-Shows hat er weitgehend eingestellt. So alle vier Wochen juckt es ihn, dann steigt er wieder in die Krämermarkt-Bütt. Über Jahre arbeitete er seinen Nachfolger ein, erhielt ihm die Standplätze und stellte seiner Kundschaft so die weitere Grundversorgung mit Hobeln und Reiben sicher. „Natürlich hat er einen anderen Stil als ich“, sagt Burgmeier, „aber man soll ja auch niemanden kopieren.“ Der Nachwuchsmangel ist größer denn je. In dem Job muss man Unterhalter sein. „Leider zeigen junge Leute, die das Talent hätten, es lieber anderswo.“ Er und seine Frau machen viele Reisen, Ausflüge oder besuchen die Kinder, Enkel, Urenkel. Sie holen jetzt die Zeit der Zweisamkeit nach, die ihnen an unzähligen Markt-Wochenenden weggeraspelt wurde.