Eine neue Studie zeigt: Kaum ein anderes Land in Europa steckt so wenig Geld in seine Eisenbahnwege. Die Schweiz investiert pro Kopf sieben Mal mehr.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Deutschland steckt weiterhin viel weniger Geld in sein Schienennetz als andere Länder und rangiert im internationalen Vergleich weit hinten. Der Spitzenreiter Schweiz investiert pro Kopf sieben Mal mehr. Das zeigt eine neue Studie der renommierten Beratungsfirma SCI Verkehr und des Bündnisses Allianz pro Schiene, dem fast zwei Dutzend Umwelt- und Verkehrsorganisationen angehören. Die Analyse liegt unserer Redaktion exklusiv vor.

 

Mit 383 Euro pro Bürger lässt sich demnach die kleine Alpenrepublik ihren attraktiven Bahnverkehr mit weitem Abstand am meisten kosten. Auf Platz 2 folgt Österreich, das im vorigen Jahr 192 Euro pro Einwohner in die Schieneninfrastruktur steckte. In Deutschland waren es nur 56 Euro. Obwohl sich Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt für „Rekordinvestitionen“ bei der Bahn feiern lasse, bleibe der Abstand zu Nachbarländern groß, kritisiert Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene.

Nötig seien zumindest 80 Euro pro Kopf. „Italienische Verhältnisse sollten wir mit dem deutschen Schienennetz schon toppen“, fordert der Experte. Auch dort liegen die Investitionen mit 72 Euro deutlich höher. In den Niederlanden sind es sogar 141 Euro, in Großbritannien 152 Euro, in Dänemark 162 Euro und in Schweden 177 Euro. Nur Frankreich (37 Euro) und Spanien (36 Euro) liegen unter den untersuchten Ländern noch hinter Deutschland.

Das deutsche Schienennetz gilt als überaltert

Bei den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur setze die deutsche Politik viel zu einseitig auf Straßen und den Autoverkehr anstatt auf die umweltfreundliche Bahn, kritisiert Flege. Seit Jahren fließe deutlich mehr Geld in Straßen als in Gleise und Bahnhöfe. Das zeigten auch die Langzeitvergleiche bei den Investitionen. Das deutsche Schienennetz gilt als überaltert und unterfinanziert.

Mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan setze die Bundesregierung diese falschen Weichenstellungen fort, während andere Transitländer wie die Schweiz und Österreich die erwünschte Verkehrsverlagerung gezielt mit hohen Investitionen ins Schienennetz begleiteten, kritisiert das Bündnis. Die Schiene sollte mindestens 60 Prozent der Mittel im Verkehrswegeplan erhalten, fordert Flege. Hier sei ein „schnelles Umsteuern“ nötig.

Die Bundesregierung will mit der aufgestockten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) II das Schienennetz stärker fördern. Zwischen 2015 und 2019 sollen 20 Milliarden Euro für das bundeseigene Bestandsnetz an die Deutsche Bahn fließen, die Gleis und Bahnhöfe betreibt. Weitere acht Milliarden Euro Investitionen soll der Staatskonzern aus Eigenmitteln finanzieren. Die Mittelfristplanung der DB von 2016 bis 2020 sieht Investitionen von 24,3 Milliarden Euro in Tunnel, Brücken, Gleise und Signalanlagen vor.

Deutschland bremst europäischen Schienengüterverkehr aus

Auch die Beratungsfirma SCI sieht in Deutschland großen Nachholbedarf. „Wir brauchen dringend mehr Kapazitäten im Güterverkehr“, mahnt Geschäftsführerin Maria Leenen. Tatsächlich aber passiere das Gegenteil, kritisiert die Expertin mit Blick auf die Rotstiftpläne von DB-Chef Rüdiger Grube bei der defizitären Tochter DB Cargo. Die größte Güterbahn Europas fährt seit Jahren Verluste ein, nicht zuletzt wegen – wie berichtet – hausgemachter Fehler und krassen Missmanagements.

Deutschland bremse sogar den europäischen Schienengüterverkehr aus, ärgert sich Leenen. „Mit unseren Defiziten bei der Infrastruktur werden wir immer mehr zum Nadelöhr der transeuropäischen Routen“, nennt die Expertin eine Kritik an der Verkehrspolitik der Bundesregierung, der auch in Nachbarländern häufig zu hören ist. Als Beispiele nennt sie die Betuwe-Linie vom größten europäischen Containerhafen Rotterdam in Holland und die Strecken zu den Mittelmeerhäfen durch den neu eröffneten Gotthard-Tunnel in der Schweiz, die mehr Güter auf die Schiene bringen. Auf deutschem Boden sind die Verbindungsstrecken wie die Rheintalbahn aber beim lange versprochenen Ausbau teils um Jahrzehnte verspätet.

Die Nachbarländer hätten die Hausaufgaben gemacht, während die deutsche Politik weiter zögere, mahnt Leenen. So seien zum Beispiel längere Güterzüge nötig, bisher sind höchstens 740 Meter zulässig. Frankreich testet dagegen 1500 Meter lange Züge, ab 2018 sollen dort 1000 Meter lange Züge in den Regelbetrieb gehen. In den USA und Australien sind bis zu vier Kilometer lange Züge unterwegs. In Deutschland aber sei das Netz nicht einmal für bisherige Güterzüge durchgängig befahrbar, so Leenen.

Verkehrsminister Dobrindt legt auch hier den Fokus offenbar mehr auf die Straße und setzt sich seit Jahren vehement für den Regelbetrieb von Riesenlastern mit 25 Metern Länge ein. Ein Feldversuch läuft noch bis Ende des Jahres.