Ein Gutachten der Baden-Württemberg-Stiftung des Landes geht davon aus, dass die Klimaziele Deutschlands im Jahr 2050 nur zu erreichen sind, wenn das Auto massiv an Bedeutung verliert. Das gefährdet nach Ansicht des regionalen Wirtschaftsausschusses den Wohlstand in der Region.

Lokales: Alexander Ikrat (aik)

Stuttgart - Wie der Verkehr so verändert werden kann, dass er im Jahr 2050 wirklich verträglich für Mensch und Natur sein wird, ist das Thema einer von der Baden-Württemberg-Stiftung im vergangenen Jahr bekannt gemachten Studie. Der Wirtschaftsausschuss der Regionalversammlung hat sich auf Antrag der Gruppe Innovative Politik in seiner jüngsten Sitzung damit auseinandergesetzt. Tenor: Ziele darf man haben – auch wenn sie sich nicht ganz an der Realität orientieren.

 

Die Untersuchung, die der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) initiiert hatte und die das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, das IMU-, das Öko- und das Institut für sozial-ökologische Forschung erstellten, zielt darauf, dass die Klimaziele Deutschlands bis in 32 Jahren erreicht werden sollen. Dazu müsse die „Privilegierung“ des Autos ein Ende haben. Es reiche nicht, das Auto technisch zu verbessern. Stattdessen dürfe der Verbrennungsmotor ab 2035 nicht mehr gebaut werden und die komplette Flotte bis 2050 elektrifiziert werden. Insbesondere die Städte seien so umzubauen, dass Autos quasi nicht mehr nötig seien, weil mit einem deutlich besseren und günstigen öffentlichen Nahverkehr Wohnen und Arbeiten miteinander zu vereinbaren sind. So könnte der Bestand von rund sechs Millionen Pkw in Baden-Württemberg um 85 Prozent reduziert werden, glauben die Gutachter. „Da steht schon sehr viel auf dem Spiel“, sagte der Chef der regionalen Wirtschaftsförderung, Walter Rogg, als er die Studie vorstellte. Zwei Drittel der Umsätze der Wirtschaft im Ballungsraum hingen am Fahrzeugbau und entsprechend viele Arbeitsplätze.

Sogar die Grünen haben Zweifel

Im Ausschuss glaubte niemand, dass die Ziele zu erreichen sind – nicht einmal die Grünen. Deren Sprecher Michael Lateier sagte: „Daran, dass Elektromobilität und autonomes Fahren schon 2025 Standard sind, habe ich auch meine Zweifel. Aber: Das wird kommen. Und alle Ziele zu streichen, löst unsere Probleme auch nicht.“ Der Republikaner Ulrich Deuschle von der Innovativen Politik nannte das Szenario, das die Gutachter für erforderlich halten, eine „sehr radikale Variante“. Zumal, wenn man bedenke, dass es 2017 in der Region eine weitere Zunahme der Kfz-Zulassungen auf insgesamt 1,6 Millionen Autos gegeben habe. Andreas Koch von der CDU hegte „erhebliche Zweifel“, dass man das Verhalten der Menschen so stark ändern können, dass sie nur noch öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die Regionalpolitik müsse allerdings das ÖPNV-Angebot so attraktiv wie möglich machen: „Damit der Individualverkehr vielleicht einmal etwas zurückgeht.“ Beim ÖPNV zog die Runde erwartungsgemäß an einem Strang.

SPD-Fraktionschef Harald Raß fand, dass die Gutachter es sich zu leicht machten, weil sie nicht sagten, welche politischen Ebenen die Weichen stellen sollten. Er empfand es als Schwachstelle, dass festgestellt werde, bis 2030 würden „ein paar zehntausend Arbeitsplätze“ im Land wegfallen, aber keine Aussagen gemacht würden, wie es bis 2050 im Arbeitssektor weitergehe. „Hier stehen Dinge drin, die so eintreten können, aber wahrscheinlich nicht eintreten werden“, sagte Raß, der zu viel Theorie und zu wenig Praxis in der Studie monierte. Peter Rauscher (Linke) warnte vor sozialen Auswirkungen des Wandels, fühlte sich aber in der Haltung seiner Fraktion bestätigt: „Der ÖPNV muss Vorrang vor dem Straßenbau haben.“

Der Fraktionschef der Freien Wähler und Oberbürgermeister von Waiblingen, Andreas Hesky, knüpfte zum Schluss an die Mahnung Walter Roggs an: „Wir sehen, woran unser Wohlstand hängt, woran der ÖPNV hängt, woran auch soziale Leistungen hängen: dafür müssen Steuermittel in beträchtlicher Höhe hereinkommen. Wir stehen nicht dafür, unserer Industrie den Boden unter den Füßen wegzuziehen.“