Sportliche Geländewagen boomen. Doch mit der Beliebtheit wächst die Kritik. Durch die Klimadebatte sind die Autos in Verruf geraten. Wir haben vier Stuttgarter gefragt, warum sie trotzdem noch SUV fahren.

Stuttgart - Der Ärger der SUV-Gegner ist Hanil Talrizja nicht verborgen geblieben. Anfang August war der Unternehmer aus Stuttgart mit seinem Auto in Konstanz. Dort ist er in eine Demonstration geraten. Auf einmal war Talrizja in seinem Range Rover Velar umgeben von Menschen mit Anti-SUV-Schildern. So erinnert sich der 39-Jährige an den Tag am Bodensee. „Ich glaube, das war eine Fridays-for-Future-Demo“, sagt Talrizja.

 

Zweifel an seiner Autowahl hat das Erlebnis bei Talrizja nicht geweckt. „Ich nehme das schon wahr“, sagt der Mann, „aber ich sehe die Vorteile für mich.“ Vor einem Dreivierteljahr ist Talrizja Vater geworden. Für den Kleinen brauche man viel Zeug, egal, wohin es geht. Auf der Suche nach einem neuen Auto habe er sich auch Kombis angeguckt, „aber keiner kam an das Platzangebot des SUVs dran.“ Die größere Knautschzone und der gute Überblick, weil man höher sitzt, waren weitere Kaufargumente. Knapp über 8 Liter Diesel verbrauche das Auto bei seiner Fahrweise, sagt Talrizja. „Genau so viel wie vorher meine Limousine. Da fahr’ ich doch lieber SUV“.

Ein dickes Auto macht bestimmte Körperteile nicht länger

SUV steht für Sport Utility Vehicle. Der Name ist schwer zu übersetzen, bedeutet aber grob, dass die Autos sich vor allem für aufwendige Hobbys eignen sollen. Die sportlichen Geländelimousinen liegen nicht nur in Stuttgart im Trend. Im Juni übertraf ihr Marktanteil in Deutschland 20 Prozent. Vor fünf Jahren hatten SUVs noch bei knapp zehn Prozent gelegen. Der Fahrzeugtyp ist innerhalb weniger Jahre enorm populär geworden. In Stuttgart war 2018 fast jedes vierte neu zugelassene Auto ein SUV.

Doch mit der Beliebtheit wächst auch die Kritik. Die Autos sind wegen Größe und Spritverbrauch in Verruf geraten. Bei der Automesse IAA warfen ein Bündnis von Vereinen den Autobauern vor, zu viele SUVs in den Markt zu drücken. Das Umweltbundesamt regte angesichts Booms an, Fahrzeuge mit hohem CO2-Ausstoß zu verteuern. Und wer will, kann sich im Internet Vorlagen für Anti-SUV-Sticker herunterladen. Eine Organisation namens „Generationen Stiftung“, die sich als Lobby der kommenden Generationen versteht, hat sich die Sprüche ausgedacht: „SUVs fügen den Menschen in ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“ oder „Ein dickes Auto macht bestimmte Körperteile auch nicht länger“.

Wie nehmen Stuttgarter SUV-Fahrer die wachsende Kritik wahr? Und warum fahren sie trotzdem noch so ein großes Auto?

Durch Zufall zum SUV gekommen

Ina Fröhlich und ihre Familie sind durch Zufall zum SUV gekommen. Früher ist die Familie Kombi gefahren. Als vor einiger Zeit ein neues Auto her musste, sind Fröhlich und ihr Mann auf ein gutes Angebot gestoßen: Ein Volvo XC90, gebraucht, ein SUV. Den mussten sie wegen des Diesel-Fahrverbots vor etwa einem Jahr verkaufen. Doch es war klar: Vom Typ her sollte es wieder so einer sein. „SUVs sind irgendwie cool und machen Spaß zu fahren“, sagt Fröhlich. „Ich finde es herrlich, so hoch zu sitzen. Und man fühlt sich sicher.“

Früher ist Fröhlich Smart gefahren. „Ich habe mich gefühlt wie in einem Spielzeugauto“, sagt die 47-Jährige. Sie lebt mit ihrem Mann und den zwei Kindern im Asemwald. Ein kleineres Auto käme für Fröhlich nicht in Frage. Oft habe sie viel Kram zu transportieren. „Cello, Roller, Ranzen“, sagt Fröhlich, „oder ich hole spontan mal mehrere Kinder zusammen von irgendwo ab. Wir brauchen auf jeden Fall ein großes Auto.“ Die Projektleiterin räumt aber ein: „Ob es auch so ein hohes Auto sein muss, weiß ich nicht.“

Laufrad, Golftasche, Bienenvölker – alles muss ins Auto passen

Platz und Flexibilität waren auch für Rolf Schweizer entscheidend. Zum Beginn seiner Rente hat der 66-Jährige aus Filderstadt sich einen Mercedes GLC gekauft. Schweizer ist viel mit seinen Enkel unterwegs. „Wir stellen das Kinderfahrrad oder das Laufrad hinten rein und fahren los“, sagt Schweizer. Auch für das Golfbag oder die Tennistasche sei immer Platz.

Gegen das, was Jörn Schmid gelegentlich transportiert, wirkt eine Tennistasche nahezu mickrig. Schmid hat Streuobstwiesen und Bienenvölker, die er ab und an umsiedeln muss. Deshalb fährt er SUV, derzeit einen Nissan Qashqai. Aber auch der Komfort war für den Familienvater aus dem Stuttgarter Osten entscheidend. „Viel angenehmer“ als eine Limousine sei sein Auto. „Das Entsteigen ist entspannter, gerade wenn man älter wird. Und nach längeren Fahrten hat man weniger Rückenschmerzen“, sagt der 50-Jährige, der bei Mercedes in der Produktion arbeitet.

„Andere verbrauchen genau so viel“

Talrizja, Fröhlich, Schweizer, Schmid – die Beispiele zeigen: Irgendein Grund für einen SUV findet sich immer. Kritik an ihren Autos können die vier wenig bis gar nicht nachvollziehen. Alle eint ein Argument, das sie im Gespräch anführen: Andere Autotypen verbrauchten schließlich genau so viel. Aber darüber rede keiner. Unter anderem durch „Fridays for Future“ sei der Druck hoch geworden, sagt Jörn Schmid. Die Politik habe Angst und rede Dinge kaputt. „Es wird draufgehauen, ohne zu wissen, was man tut.“

Bei SUVs müsse man differenzieren, mahnt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Der überwiegende Teil der SUVs in Deutschland verbrauche tatsächlich nur marginal mehr als die Gruppe der sogenannten MPVs – „Multi Purpose Vehicles“. Dazu zählen Fahrzeuge wie die Mercedes B-Klasse, der VW Touran oder der Renault Scenic. Dudenhöffer hat einen Vergleich der Verbrauchswerte angefertigt. Er kommt zu dem Schluss: Die in Deutschland im ersten Halbjahr 2019 neu zugelassenen SUVs haben im Schnitt 144,1 Gramm CO2 pro Kilometer ausgestoßen. MPVs kamen im Schnitt auf 139,3 Gramm. Das sind nur rund drei Prozent weniger.

Verkehr sorgt für ein Fünftel der Treibhausgase

Dudenhöffer warnt davor, SUVs pauschal zu verurteilen. Doch nur weil andere große Autos auch viel verbrauchen, ändert das nichts daran, dass SUVs dem Klima schaden. Der Verkehr macht in Deutschland nach Angaben des Umweltbundesamts knapp ein Fünftel aller Treibhausgasemissionen aus. Autos und LKWs haben innerhalb des Verkehrssektors den Löwenanteil: Rund 95 Prozent der Abgase aus dem Verkehrssektor stammen vom Straßenverkehr. Das klimafreundlichste Auto ist laut Dudenhöffer ein E-Auto – unter der Prämisse, dass es mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern betrieben wird. In Stuttgart ist das an fast allen der rund 400 öffentlich zugänglichen Ladepunkte der Fall. Lediglich zu den rund 50 halb-öffentlichen Ladepunkten konnte die Stadt keine Angaben machen. Sie sind öffentlich zugänglich, stehen aber auf Privatgrund – zum Beispiel in Parkhäusern.

Innerhalb des SUV-Segments beobachtet der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer einen Trend, den er schlecht findet. Der Anteil der „Monster“ steigt. Der Professor für Automobilwirtschaft hat sich Länge und Breite der SUVs im Zeitverlauf angesehen. 2010 gab es in Deutschland 10 Modelle im Angebot, die 4,90 Meter oder länger waren. Mittlerweile sind es 21. Knapp vier Prozent aller SUVs fallen heute in diese Kategorie, vor zehn Jahren waren es nur rund zwei Prozent. Ähnlich sieht es bei der Breite aus. Aktuell gibt es 16 Modelle mit einer Breite von 1,90 Meter und mehr im deutschen Angebot. 2010 waren es nur sieben.

SUV-Monster schaden dem Ruf

Die „Monster“ schaden laut Dudenhöffer dem Ruf von SUVs enorm. „In Deutschland könnte es Sinn machen, diese Modelle nicht anzubieten“, sagt der Wissenschaftler. Das wäre eine Möglichkeit für die Autobauer, in der Klimadebatte mehr Glaubwürdigkeit zu erzielen. Von Schmid, Schweizer, Fröhlich und Talrizja fährt letzterer den größten SUV. „Der Range Rover Velar wird 15 bis 20 Liter brauchen, aber das wird Ihnen der Besitzer natürlich nicht verraten“, sagt Dudenhöffer.

Eindeutig zu den „Monstern“ gehört der Velar aber noch nicht. Er bleibt knapp unter den Werten von 4,90 Metern Länge und 1,90 Breite. Zu solchen Riesen unter den SUVs zählen laut Dudenhöffers Auflistung beispielsweise der BMW X5 und X7, der Cadillac Escalade, der Land Rover Range Rover oder die Mercedes G-Klasse – letztere nur in der Breite, nicht in der Länge. „Bei solchen Autos wäre schon mal interessant zu wissen: Warum fahren Leute die in der Stadt?“, sagt Dudenhöffer.

Ina Fröhlich aus dem Asemwald hat eine Vermutung. Ein Bekannter von ihr fährt einen riesigen amerikanischen Pickup, sagt die Stuttgarterin. Das sei einfach eine Prestigefrage. „Auf der einen Seite denkt man: ‚Schon cool, das will ich auch’, wenn man neben so einem an der Ampel steht“, sagt Fröhlich. „Auf der anderen Seite denkt man daran, was da hinten alles raus kommt.“