Die Tempo-30-Regelung in der Bahnhofstraße samt Verlagerung der Radler auf den Asphalt wird an diesem Dienstag ein Jahr alt. ­Der Versuch wird jetzt ausgewertet, kurz vor der Sommerpause beschließt der Gemeinderat die endgültige Regelung.

Fellbach - Genau 365 Tage ist es her, dass die Testphase auf den Weg gebracht wurde: Am frühen Morgen des 15. Mai 2107 kraxelten die Bauhofmitarbeiter ihre Leitern empor, um die bereits angebrachten Tempo-30-Schilder von den übergestülpten Säcken zu befreien. Dies war der Startschuss für den auf ein Jahr terminierten Feldversuch in der nördlichen Bahnhofstraße.

 

Das mit der Auswertung der seitdem gewonnenen Erkenntnisse beauftragte Unternehmen ist derzeit „noch am Rechnen“, heißt es aus dem Rathaus. Dabei geht es um diverse Erkenntnisse, etwa wie viele Radfahrer tatsächlich auf die Straße ausweichen, welche Radler weiterhin die mittlerweile lediglich geduldete Wegführung auf dem Fußweg nutzen (gestattet per Schild „Radfahrer frei“) und wer dort die vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit von maximal 7 Stundenkilometern einhält. Die Expertise will das zuständige Dezernat um Baubürgermeisterin Beatrice Soltys kurz vor der Sommerpause im Fellbacher Gemeinderat vorstellen.

Gastronomen platzieren Stühle und Tische vor ihren Cafés

Die Tempobremse auf 30 Stundenkilometer wurde im September 2016 im Lokalparlament mit klarer Mehrheit beschlossen. Vorausgegangen war allerdings ein jahrelanger „Glaubenskrieg“, wie die Diskussion in einem Leserbrief an unsere Redaktion bezeichnet wurde. Grundsätzliche Erkenntnis der Bauverwaltung nach diversen Skizzen, Schautafeln und Argumentationsketten: Die nördliche Bahnhofstraße ist ein „gefährlicher Verkehrsraum“. Auf zu engem Raum müssen allzu viele Interessen unter einen Hut gebracht werden. Autofahrer wollen zügig auf der zentralen innerstädtischen Fellbacher Nord-Süd-Achse vorankommen, Anwohner wollen wenig Verkehr und ruhige Nächte. Gastronomen platzieren Stühle und Tische vor ihren Cafés, Ladeninhaber locken mit aufgestellten Werbetafeln Kunden. Auf dem schmalen Weg bedrängen sich Fußgänger mit ihren gut gefüllten Einkaufstüten und daherrauschende Radler. An den Seitenstraßen müssen einbiegewillige Autofahrer höllisch aufpassen, dass sie querende Radler nicht übersehen.

Gelöst werden könne dieses Dilemma nur, indem man die Verkehrsströme entzerrt. Zudem legt die Führungsetage im Rathaus den Radlern als „sinnvolle Alternativroute“ die Parallelstrecken nahe, speziell die zur offiziellen Fahrradstraße umgebaute und mit viel roter Farbe versehene Theodor-Heuss-Straße im Westen.

Es hagelte Pkehrroteste

Doch bereits vor Beginn der Tempo-30-Regelung, die auch in der nördlichen Esslinger Straße eingeführt wurde, hagelte es Proteste. Die hehren Ziele seien von großem Wunschdenken und geringen Erfolgsaussichten geprägt, die Diskussion sei gar „mehr von Ideologie als von Sachverstand getragen“, monierte Stadtrat Klaus Auer (Verkehrsexperte der Freien Wähler/Freien Demokraten) und witterte „neues Konfliktpotenzial“. Dass bei dem Versuch der alte Radweg weiter von Radlern benutzt werden dürfe, war für Andreas Zimmer (Unabhängige Fellbacher) „ein Schildbürgerstreich“.

Auch Bürger, die dort mit dem Drahtesel täglich unterwegs sind, meldeten sich zu Wort. Rechtsanwalt Wilfried Stirm, dessen Kanzlei an der Bahnhofstraße liegt, sieht in den vermeintlichen Verbesserungen ein riskantes „Experiment“: Auch der städtische Ratschlag, angesichts der Unübersichtlichkeit auf langsamer fahrende Verkehrsteilnehmer Rücksicht zu nehmen, findet keine Anerkennung: „Das nützt dem Fahrradfahrer bei Kollisionen mit Autos nichts, da er immer der Schwächere ist.“Auf der anderen Seite stehen jene, die diese Regelung von Anfang an forciert haben – und nun auch nach einem Jahr großteils zufrieden sind. Dazu gehört die Ortsgruppe Fellbach des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD). „Tempo 30, neue Fahrradstraßen, mehr Platz für Fußgänger“, das sei doch eine klare Verbesserung, erklärte deren Sprecher Tadeusz Rzedkowski kürzlich; Fellbach werde immer fahrradfreundlicher. Vor wenigen Wochen organisierten der VCD und die Arbeitsgemeinschaft Fellbach mobil eine „Critical Mass“, eine Fahrraddemo durch Fellbach. Gefeiert wurde bei der abendlichen Strampeltour explizit „die Verkehrsberuhigung in der Bahnhofstraße sowie die Verlängerung der Fahrradstraße auf die Theodor-Heuss-Straße“.

Viel Pro, viel Contra: Die Meinungen sind also weiter geteilt. Als nächstes steht die Entscheidung an, ob aus dem Feldversuch eine Dauerlösung wird. Angepeilt ist hierfür, so die Auskunft von Rathaus-Sprecherin Sabine Laartz vom Montagnachmittag, die Sitzung am Dienstag, 17. Juli.