Grüne und Aktivisten fordern in Stuttgart aufgrund der Coronapandemie mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer. Damit sollen Abstandsregeln besser eingehalten werden können.

Stuttgart - Susanne Jallow vom Verein Fuss schildert eine Szene aus dem Corona-Alltag: „Ich gehe den Gehweg entlang und dann kommt mir eine vierköpfige Familie entgegen, und auf dem Gehweg gibt es nicht genügend Platz zum Ausweichen.“ Laut Jallows Schilderungen herrscht derzeit eine starke Frequenz auf Stuttgarts Bürgersteigen.

 

Die alte Forderung des Vereins Fuss, die Gehwegbreite in Stuttgart von 1,50 Meter auf 2,50 Meter zu verbreiten, empfehle sich nun aufgrund des Gesundheitsschutzes, schlussfolgert sie.

Bogotá machte den Anfang

Es scheint sich in Zeiten von Corona etwas zu tun in der urbanen Verkehrspolitik. In Metropolen wie New York oder Budapest werden Nebenstraßen zu Fahrradwegen. In Wien gibt es in Wohnstraßen nun „Begegnungszonen“.

Auch in Berlin wurden schon früh in der Coronakrise provisorische Fahrradwege auf Straßen installiert. Hintergrund der Umverteilung des Straßenraums ist in vielen Städten, dass weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind, während sich Fußgänger und Fahrradfahrer auf Gehsteigen drängen. Auch der öffentliche Nahverkehr wird vielerorts weniger genutzt als vor der Krise. Fahrradfahren und Zufußgehen attraktiver zu machen, erscheint Stadtplanern als wichtig, damit das eigene Autos nicht Mittel der ersten Wahl wird, wenn das öffentliche Leben stärker gelockert wird.

Grüne erheben Forderungen

In Stuttgart erheben nun die Grünen im Gemeinderat Forderungen nach mehr Raum für Fußgänger und auch nach neuen Fahrradspuren an der Neuen Weinsteige und an der Cannstatter Straße und begründen dies mit der Pandemie. In einem der beiden Anträge verweisen sie wie die Fußgängeraktivistin Jallow auf die aus ihrer Sicht mangelnde Möglichkeit, einen ausreichenden Sicherheitsabstand auf Stuttgarts Gehwegen einzuhalten.

Die Stadt soll deshalb Hausaufgaben vorziehen, die sie sich in ihrem Konzept „Lebenswerte Innenstadt“ 2017 selbst gestellt hat, fordern die Grünen. Die Lautenschlagerstraße sowie die Tübinger Straße zwischen Christophstraße und Eberhardstraße sollen dem Antrag zufolge für den Autoverkehr gesperrt werden. Stellplätze in der Krummen Straße könnten laut den Grünen über die Sophien- und Christophstraße erreicht werden.

Mehr Platz für den Markt

In die Dorotheenstraße sollen nun nur noch Autofahrer einbiegen, die das Parkhaus ansteuern. Die Grünen wollen gewonnenen Raum dem Wochenmarkt zur Verfügung stellen. Die Bolz- und die Steinstraße möchten sie in reine Zufahrten zu den Parkhäusern umgestalten.

Mit den beiden neuen Fahrradspuren an der Neuen Weinsteige und an der Cannstatter Straße wollen die Grünen gleichfalls verhindern, dass sich zu viele Fahrradfahrer und Fußgänger begegnen. Die neue Fahrradspur an der Cannstatter Straße soll laut der Fraktion den Unteren Schlossgarten entlasten. Die neue Spur an der Neuen Weisteige könnte eine Alternative sein für Fahrradfahrer, die auf Waldwegen die Strecke von der Innenstadt nach Degerloch zurücklegen und dabei Spaziergängern begegnen. Laut den Grünen hätten die Erfahrungen mit den Baustellen während der Sanierung der Stützmauer der Neuen Weinsteige demonstriert, dass es auch bei nur einer Aufwärtsfahrspur für den Autoverkehr zu keinen nennenswerten Behinderungen kommt.

Aktivisten stimmen zu

Thijs Lucas von der Initiative Radentscheid und Frank Zühlke vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) begrüßen den Vorstoß der Grünen zu temporären Fahrradspuren. Lucas plädiert für Provisorien an verschiedenen Orten in der Innenstadt. „Es sollte sie an allen Straßen geben, an denen es mehr als eine Spur in eine Richtung gibt, meint der ADFC-Vertreter Zühlke.

CDU, FDP und Freie Wähler hatten dagegen jüngst eine Instrumentalisierung des Gesundheitsschutzes in der Verkehrspolitik ausgemacht. Die CDU sprach sich gegen temporäre Radwege an der Theodor-Heuss- und der Holzgartenstraße aus. Die Fraktion sieht in Bezug auf die Neue Weinsteige und die Cannstatter Straße keine Hinweise einer Gefahr für den Gesundheitsschutz durch zu viele nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer auf einem Fleck. „Hierfür braucht es belastbare Zahlen der Stadtverwaltung, die bisher eine solche Gefahrensituation an diesen Abschnitten ebenfalls nicht identifiziert hat“, erklärt Thrasivoulos Malliaras, CDU-Bezirksbeirat aus Bad Cannstatt. Der Wegfall einer Spur auf beiden Achsen hätte einen Verkehrskollaps zur Folge, selbst in Zeiten eines reduzierten Verkehrsaufkommens. „Dies kann und darf nicht im Sinne des Gemeinderats sein“, meint er.