Verkehr in Stuttgart Wo die Staus am schlimmsten sind
Stuttgart kämpft gegen das Verkehrschaos, ein Stadtbezirk ist ganz besonders stark betroffen – sehr zum Ärger der Verkehrsteilnehmer. Was die Stadt dagegen tun will.
Stuttgart kämpft gegen das Verkehrschaos, ein Stadtbezirk ist ganz besonders stark betroffen – sehr zum Ärger der Verkehrsteilnehmer. Was die Stadt dagegen tun will.
Ob auf Haupt- oder Nebenstraßen, Autofahrer brauchen in Bad Cannstatt starke Nerven und viel Zeit. Vor allem im Berufsverkehr entwickelt sich das Straßennetz nicht nur rund um den Wilhelmsplatz zu einem Stau-Hotspot. Stop-and-go herrscht auch auf der Daimlerstraße, Mercedesstraße, Wilhelmstraße, der Alten B 14 (Waiblinger/Nürnberger Straße), in der Schönestraße und auf der Schmidener Straße. Die Folgen: Das Chaos weicht aus und bahnt sich seinen Weg durch die Nebenstraßen. Dabei werden sogar Fußgängerzonen oder Anliegerstraßen ignoriert und als Abkürzung genutzt.
Wie kann die Stadt das tägliche Chaos in Stuttgarts größtem Stadtbezirk in geordnete – oder besser: geordnetere – Bahnen lenken? Denn Fakt ist auch: „Bad Cannstatt liegt nicht nur an der B 10 und damit an der viel befahrensten Verkehrsachse der Landeshauptstadt, auch die meisten Großveranstaltungen finden nun einmal im Neckarpark statt“, sagt Andreas Hemmerich, Leiter Sachgebiet Allgemeine Verkehrsplanung beim Amt für Stadtplanung und Wohnen. Eine Chance sieht der Experte allerdings im neuen Verkehrsstrukturplan (VSP), den die Stadtverwaltung erstellen lässt und bis Ende 2024 dem Gemeinderat zur Diskussion präsentieren möchte. Wir haben einmal einige Themen und Brennpunkte zusammengetragen, die darin enthalten sein müssen.
Wilhelmsplatz Täglich rund 35 000 Autos passieren den Verkehrsknoten, der zudem stündlich von mehr als 80 Fahrzeugen der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) überquert wird. Dazu noch jede Menge Fußgänger und rund 43 000 SSB-Fahrgäste. „Der Wilhelmsplatz in Bad Cannstatt ist mit Abstand der anspruchsvollste Ort in Sachen Verkehrs- und Ampelsteuerung in Stuttgart“, sagte Wolfgang Hertkorn, Leiter der Dienststelle Verkehrsmanagement und Verkehrstechnik beim städtischen Tiefbauamt. Das war kurz nach Einführung der Expressbuslinie X 1, als das Chaos noch einmal an Brisanz zulegte. Geregelt wird das mit 105 Ampeln für Autos, Fußgänger und ÖPNV. „Mehr Kapazitäten kann die Stadt dort nicht mehr schaffen“, sagt Andreas Hemmerich. Es sei denn, der Gemeinderat plädiert für einen Umbau. Ein Thema, das vor allem die Cannstatter CDU immer wieder ins Spiel bringt. Allerdings wird eine Tunnellösung wohl an den astronomischen Kosten und den komplexen Straßenbeziehungen – auf den Platz münden sechs Straßen – scheitern. Obwohl verkehrstechnisch ziemlich ausgereizt, kommt dem Wilhelmsplatz laut Hemmerich im neuen Verkehrsstrukturplan eine ganz zentrale Bedeutung zu.
Augsburger Platz Das fast 60 Jahre alte Bauwerk ist – vor allem für ortsunkundige Autofahrer – ein „gordischer Verkehrsknoten“. Der Grund liegt in den fehlenden Abbiegebeziehungen. Wenn überhaupt vorhanden, so müssen sich Autofahrer mühsam durch Wohngebiete quälen – zum Ärger der Anwohner. Wer zum Beispiel aus Fellbach kommend nach Untertürkheim abbiegen will, hat am Augsburger Platz keine Chance. Doch auch das Ziel Münster ist mit einem lästigen Umweg durch die Cannstatter Innenstadt verbunden. Keine Frage: Die direkte Anbindung an die Gnesener Straße fehlt an allen Ecken und Enden. Erste Vorstöße für einen Umbau gab es im Jahr 1988 im sogenannten Verkehrsstrukturplan „Äußeres Bad Cannstatt“. Doch seitdem schiebt die Stadt das Thema vor sich her – auch wegen der hohen Kosten. An einer baulichen Veränderung kommt die Stadt nicht vorbei.
Leuzeknoten Der Bereich bleibt bis zu seiner Fertigstellung 2024 ein Stau-Hotspot. Erst wenn die dritte Leuzeröhre in Fahrtrichtung Esslingen in Betrieb geht, der U-Turn samt Ampel verschwunden ist und die Rampe hoch zur König-Karls-Brücke steht, wird sich die tägliche Stauproblematik dort verbessern und kann der Rosensteintunnel seine volle Wirkung entfalten. Stressfrei wird es auf der am stärksten befahrenen Verkehrsachse der Stadt jedoch nie zugehen. Allein im Bereich des Leuzenknotens sind täglich rund 150 000 Fahrzeuge unterwegs. „Mit dem Neubau haben wir den Stau bewusst von der Pragstraße in den Tunnel gelegt“, sagt Jürgen Mutz, der Leiter des Stuttgarter Tiefbauamtes. Davon profitieren vor allem der Hallschlag und die Neckarvorstadt. Dort gibt es fast keinen Schleichverkehr mehr seit der Tunneleröffnung im März.
Schleichverkehr Dennoch immer noch ein großes Thema in Bad Cannstatt – vor allem, wenn die Umgehungsstraße B 14 im Bereich des Kappelbergtunnels dicht ist (was wochentags fast immer der Fall ist). Dann wählen viele Pendler lieber den Weg quer durch Bad Cannstatt. Mercedesstraße, Daimlerstraße, Schönestraße und Wilhelmstraße sind dann verstopft. Das ist zwar lästig – aber nicht verboten. Sehr wohl illegal ist jedoch die Fahrt durch die Badstraße oder gar durch die Fußgängerzone (Marktstraße). Fazit: Illegale Schleicher wird es immer geben, zumal eine regelmäßige Überwachung durch die Polizei personell nicht möglich ist.
Pförtnerampeln Das Thema Zuflussdosierung wird in Bad Cannstatt immer wieder genannt, wenn es um die vielen Pendler geht, die täglich aus dem Remstal in die Landeshauptstadt einfahren. „Es ist sicher ein probates Mittel und hat an der Beskidenstraße an der Gemarkungsgrenze mit Fellbach auch Wirkung gezeigt“, sagt Andreas Hemmerich. Allerdings waren die Fellbacher von der Maßnahme ihres Nachbarn nicht angetan. Mit ein Grund, weshalb die Landeshauptstadt bei einer zweiten Zuflussdosierung am Kleinen Ostring in Sommerrain, die Forderung existiert schon seit Jahrzehnten, eher zögerlich ist. „Eine Pförtnerampel in diesem Bereich wird man für den VSP sicher diskutieren müssen“, so Hemmerich. Allerdings haben sich die Stauprobleme auf der Schmidener Straße – vielleicht auch bedingt durch die Pandemie und Homeoffice – erheblich reduziert. Ganz vom Tisch sei sie nicht, was jedoch auch an rund 20 Ampeln liegt, die dort auf der Fahrt ins Cannstatter Zentrum passiert werden müssen. Diese große Zahl ist jedoch der Tatsache geschuldet, dass zwei Stadtbahnen dort unterwegs sind, die größtenteils keine eigene Trasse haben.
ÖPNV Wichtiger Bestandteil des VSP ist der Ausbau des ÖPNV-Netzes. An erster Stelle ist hier die Trassenverlängerung der U 19 bis zum Mercedes Benz-Museum genannt. „Der ÖPNV wird eine gesetzte Maßnahme im VSP sein“, betont Hemmerich das Projekt, das schon vor Jahrzehnten gefordert wurde und wohl erst ab 2025 in die Realisierung gehen wird. „Die SSB sind mit ihren Planungen schon sehr weit, Baubeginn soll nach der Fußball-EM sein.“ Darüber hinaus gibt es sogar Ideen, die U 19 über eine neue Neckarbrücke in den Stuttgarter Osten fahren zu lassen. Laut SSB-Chefplaner Volker Christiani ist das machbar.
Rosensteinbrücke Durch die Sperrung der Rosensteinbrücke, auf der täglich rund 20 000 Fahrzeuge, zwei SSB-Buslinien sowie die Standbahnlinien U 13 und U 16 unterwegs waren, hat das Thema Verkehrsstrukturplan richtig Fahrt aufgenommen. „Wenn wir den Masterplan 2024 dem Gemeinderat vorstellen wollen, muss zeitnah feststehen, was in diesem Bereich baulich geschehen soll“, sagt Verkehrsplaner Hemmerich. Nicht viel Spielraum für epische Debatten, zumal Claus-Dieter-Hauck, beim Tiefbauamt für die Brücken verantwortlich, im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik einer Interimsbrücke mangels Platz eine Absage erteilen musste. Er macht jedoch klar, dass eine neue Neckarquerung so konzipiert wird, dass sie auch Lastwagen und Autos aushält. Das ökosoziale Lager im Gemeinderat will die Aufenthaltsqualität am Cannstatter Neckarufer verbessern. Es fordert deshalb eine neue, autofreie Rosensteinbrücke.„Falls die nächstliegenden Brücken, also die König-Karls-Brücke oder die Reinhold-Maier-Brücke, mal saniert werden müssen und dort dann mit Einschränkungen zu rechnen ist, brauchen wir einen Ersatz, der für alle Verkehrsmittel ausgelegt ist.“
Anlass
Der letzte wurde in den 70er Jahren erstellt. Doch was beinhaltet eigentlich ein VSP? „Es ist ein sehr umfangreiches Projekt“, so Andreas Hemmerich, wobei alles unter dem „Dach“ des Verkehrsentwicklungskonzepts 2030 der Landeshauptstadt zu sehen sei. 300 000 Euro Planungsmittel hatte der Gemeinderat im letzten Doppelhaushalt genehmigt.
Erhebung
Einfluss nehmen der Nahverkehrs- und der Flächennutzungsplan sowie Stadtentwicklungskonzepte und seit Neuestem der Klimamobilitätsplan. Der erste Schritt ist die Bestandsanalyse, die von einer externen Firma erstellt wird. Sobald das Büro feststeht, sollen ab 2023 die Zahlen erhoben werden.
Inhalt
Danach werden Ziele und Bewertungskriterien festgelegt sowie Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards festgezurrt. „Entscheidend ist die sogenannte Netzplanung“, sagt Hemmerich. Fuß-, Rad- und motorisierter Individualverkehr, ÖPNV, selbst der ruhende Verkehr müssten berücksichtigt und auf Verknüpfungspunkte hin untersucht werden. Alle Daten, Zahlen und Fakten werden gesammelt und in einem Maßnahmenkatalog zusammengefasst. Dann haben Bezirksbeirat und Gemeinderat das letzte Wort. „Wir hoffen, dass die inhaltliche Diskussion 2024 losgehen kann.“
Bürgerbeteiligung
Ist geplant. Die Verwaltung greift auf die Erfahrungen der Beteiligung in Mühlhausen und Hofen zurück. Hier hatten Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich in zwei Veranstaltungen und zwei Workshops einzubringen. Dieses Prinzip soll auch in Bad Cannstatt angewandt werden, wobei hier das Themenfeld ungleich größer ist als im Stuttgarter Norden und deshalb sicher mehr Workshops angeboten werden müssen.