Der Verkehrsgerichtstag nimmt die Dieselfahrverbote auseinander – aus rechtlicher Sicht, aber auch, was die Messungen der Luftqualität angeht. Man kommt mitunter zum Ergebnis: Klagen gegen das Fahrverbot könnten erfolgreich sein.

Goslar - Ein Versagen des Staates wurde vorgeworfen, ein Hineinschlittern der Politik in eine absehbare Krise und ein Einknicken vor der Autoindustrie: Im Arbeitskreis 7 des 57. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar ging es heftig zur Sache. Das Thema: Dieselfahrverbote, wie die Politik damit umgeht, was bei den Stickoxid-Messungen schiefläuft. Und es ging um das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018, das die Grundlage dafür gab, dass in mehreren Städten – auch in Stuttgart – wegen der hohen Stickoxidbelastung ältere Dieselautos ausgesperrt werden dürfen. Aber ist das Fahrverbot überhaupt verhältnismäßig?

 

Entwicklung der Autoindustrie stehe über geltendem Recht

Julius Reiter, der nach eigenen Angaben in einer Kanzlei arbeitet, die mehrere Tausend von der Abgas-schummelei betroffene Dieselbesitzer vertritt, sieht in der staatlichen Anordnung von Fahrverboten „einen Eingriff in das Eigentum des betroffenen Fahrzeughalters“. Noch vor dem August 2015 habe man Diesel der Euronorm fünf „legal“ erwerben können, und jetzt heiße es „Ätsch“. Man dürfe selbst mit dieser Abgasklasse in bestimmten Städten nicht fahren – etwa in einzelnen Straßen in Hamburg. Reiter wog nun ab, ob dies ein enteignender Eingriff für die zwölf Millionen betroffenen Dieselfahrer sei. Die Situation wäre dann ähnlich wie bei einem Bauernhof, der für den Bau einer Autobahn weichen müsse und entschädigt werde. Er lehnte diese Theorie dann letztlich aber ab. Er kam zu dem Schluss, dass sich eine staatliche Haftung für die fahrverbotsbedingten Werteverluste und Mehraufwendungen „schwierig“ gestalte.

Unzufrieden äußerte sich der Anwalt über die Verhandlungen der Regierung mit der Autoindustrie. Bei diesen konnte die Hardware-Nachrüstung von Dieselfahrzeugen für niedrigere Emissionswerte nicht durchgesetzt werden. Stattdessen werden Rabattlösungen propagiert. „Dem durchschnittlichen Bürger darf der Neukauf eines Fahrzeugs nicht aufgedrängt werden“, kritisiert Reiter diese Lösung. Der Staat stelle eine positive wirtschaftliche Entwicklung der Autoindustrie „über geltendes Recht“.

Bei der Stickoxid-Messung soll vieles schieflaufen

Neben der rechtlichen Fragwürdigkeit der Dieselfahrverbote stand bei den Gesprächen auch die Messung der Stickoxide im Fokus. Die Grenzwerte sind seit 2001 bekannt, aber einheitlich gemessen würden sie in Europa nicht, meinte der Jurist Matthias Götte. Im EU-Regelwerk bestehe eine „deutliche Unschärfe“, und es lasse einen „erheblichen Spielraum bei der Wahl des Standortes“ zu. So dürfe die Luft in die Station „in einem Bogen von mindestens 270 Grad oder 180 Grad frei strömen“, und die Probeannahmestellen dürften höchstens zehn Meter vom Fahrbahnrand entfernt sein. „Das heißt, sie können auch nur einen Zentimeter davon entfernt stehen“, sagte Götte. Er gibt Klagen gegen die Fahrverbote daher „gute Chancen“. In Hamburg stehe etwa eine Messstation direkt vor einer Baumkrone, die wie eine Luftmauer wirke. Kein Wunder, dass dort erhöhte Messwerte seien. Vor zehn Monaten hat Götte ans Bundesverkehrsministerium geschrieben und eine „präzisere Definition“ der Standortkriterien verlangt. Eine Antwort hat er noch nicht.

Auch Fahrverbote für Schiffe?

Andere Experten wie Michael Brenner, Rechtsprofessor in Jena, bemängelten, dass viel zu eng nur auf Fahrverbote geblickt werde. „Die staatliche Schutzpflicht für Leben und Gesundheit erfordert aber, auch andere Maßnahmen in den Blick zu nehmen“, sagte Brenner. Dazu würde ein Tempolimit für Schiffe auf dem Rhein oder eine Reduzierung des Schiffsverkehrs im Hafen von Hamburg zählen. Da brauche nur ein Kreuzfahrtschiff weniger einzufahren, und die Emissionswerte sänken stark, sagt Brenner.

Eine Frage nahm noch breiten Raum ein: Was passiert, wenn streckenweise oder zonale Fahrverbote nicht wirken? Komme dann eine Ausweitung, fragten sich die versammelten Juristen. Würden die Mobilität und „unsere Autoindustrie“ abgeschafft und auf E-Fahrzeuge umgelenkt, die auch mit ökologischen Nachteilen verbunden seien? Einig waren sich die Rechtsexperten, dass bei einer Senkung der Emissionswerte unter die Grenzwerte das Fahrverbot rasch aufgehoben werden müsse. Eine staatliche Stelle zur Überprüfung der Luftschadstoffwerte müsse dies unverzüglich mitteilen. Von Kommunalvertretern – etwa vom Bremer Senat – wurde klargemacht, dass Fahrverbote für sie das „letzte Mittel“ seien, die „über die Zeit eskaliert“ seien – weil andere Maßnahmen wirkungslos waren.

Wie mit den Urteilen der Verwaltungsgerichte umgegangen wird und dass sie von der Politik zuweilen „ignoriert“ werden, das hat die Justizministerin von Niedersachsen, Barbara Havliza (CDU), in ihrer Eröffnungsrede zum Verkehrsgerichtstag in der Kaiserpfalz scharf kritisiert. Man könne Urteile für falsch halten und sie kritisieren, aber sie müssten von staatlichen Institutionen befolgt werden.

Dass in Bayern der Staat wegen der Nichteinhaltung von Verwaltungsgerichtsurteilen Zwangsgelder bezahle und sogar eine Amtshaftung von Behördenleitern erwogen wird, sei ein unhaltbarer Zustand. „Unser Staatsgefüge kommt erheblich ins Wanken, wenn Urteile nicht von staatlichen Stellen vollzogen werden“, sagte Havliza. Wie solle man dem Bürger klarmachen, sich ans Recht zu halten, wenn die Behörden es auch nicht täten? Das Thema Fahrverbote sei heftig umstritten, sagte Havliza. Auch die CDU in Niedersachsen befürchte deswegen schwere Schäden für die Wirtschaft. „Aber die Justiz orientiert sich nicht am Spektrum der Meinungen, sondern am geltenden Recht.“

Mit Klagen für die Gesundheit der „kleinen Leute“

Auf das Recht pocht auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH). 35 Klagen führte die Umwelthilfe gegen deutsche Städte. „Sie treffen mit diesen Klagen auf Fahrverbote doch den kleinen und mittleren Bürger, der auf seinen Diesel angewiesen ist“, wurde der DUH-Verkehrsexpertin Dorothee Saar vorgehalten. Ihre Antwort: Es seien „die kleineren Leute“, die an den hochbelasteten Straßen wie am Stuttgarter Neckartor wohnten. Deren Gesundheit gelte es zu schützen. Das macht die DUH eben mit Klagen. 22 davon habe man noch im Köcher, sagte Saar.