OB Fritz Kuhn duldet in seiner Stadt keinen „rechtsfreien Raum“. Doch weder Polizei noch der Städtische Vollzugsdienst kontrollieren die für den Durchgangsverkehr gesperrten Schleichwege in Stuttgart.

Stuttgart - Die Stadt Stuttgart hat wegen der „aktuellen Beschwerdelage“ eine Liste von 15 Straßenzügen erstellt, die „zur Umgehung von Verkehrsstauungen im Hauptverkehrsnetz als Abkürzungen benutzt werden“. Dabei handelt es sich etwa um die Bachhalde zwischen Mühl- und Zazenhausen, den Cannstatter Zuckerleweg, den Feldweg zwischen Sillenbuch und Rohracker sowie die Tiroler Straße zwischen ES-Rüdern und Uhlbach.

 

Diese wegen zu geringer Durchfahrtsbreiten, fehlender Gehsteige oder wegen des Schutzbedürfnisses von Anwohnern für den Durchfahrtsverkehr gesperrten Schleichwege zu nutzen, ist ein ungefährliches Unterfangen. Weder Polizei noch der Städtische Vollzugsdienst (SVD) mit seinen 58 Mitarbeitern kontrollieren regelmäßig. Dieser Zustand widerspricht der Haltung von OB Fritz Kuhn (Grüne), der bei einer Debatte über chaotische Zustände in der Untertürkheimer Widdersteinstraße den Bürgern versicherte, er dulde in seiner Stadt keinen „rechtsfreien Raum“.

73 Kontrollen im Jahr 2016

Die Stadt teilt auf eine StZ-Anfrage zu den dennoch vorhandenen rechtsfreien Räumen mit, lediglich beim Streifendienst nachschauen zu können. 2016 sei dies 73-mal der Fall gewesen. Es fehle einfach das Personal, da für eine saubere Kontrolle mindestens drei Mitarbeiter nötig seien. Der Gemeinderat hat zuletzt keinen Bedarf gesehen, die Ausstattung deutlich zu verbessern. Nur eine Stelle gab es, aber sechs Stellen und drei Fahrzeuge für eine schnelle Eingreiftruppe, die sich um zugeparkte Brandschutzzonen, Behindertenparkplätze und Kreuzungsbereiche kümmert.

Die „Schwerpunktdienstgruppen“ des Vollzugsdiensts seien eben mit anderen Aufgaben betraut. Wichtiger als Kontrolle in den Außenbezirken ist demnach, mit der Polizei in der City für mehr Sicherheit zu sorgen und gegen das banden- und gewerbsmäßige Betteln vorzugehen. Das seien Pflichtaufgaben, während das Kontrollieren von Schleichwegen freiwillig sei. Tätig werde man nur bei massiven Beschwerden aus der Bevölkerung und den Gremien.

Viel Verkehr auf einem Feldweg

Falls das zutrifft, müssen sich in nächster Zeit hunderte Autofahrer aus den Esslinger Stadtteilen Rüdern, Sulzgries, Krummenacker und Neckarhalde so wie aus der Waiblinger Gegend auf Strafzettel gefasst machen. Im Mai waren zur Überraschung des Bezirksbeirats Obertürkheim etwa 30 Anwohner der Tiroler Straße im örtlichen Rathaus aufgeschlagen und hatten ihrem Unmut über den regen Berufsverkehr Luft verschafft. Laut einem Antrag des Bezirksbeirats von SÖS-Linke plus, Christoph Hofrichter, beklagen die Anwohner täglich mehr als 1500 Fahrzeuge vor ihrer Haustür und auf einem 200 Meter langen Verbindungsstück, das 1984 nach einer erbitterten Auseinandersetzung zwischen Stuttgart und Esslingen zum Feldweg degradiert wurde.

Das Einziehungsverfahren der Stadt mit dem Ziel eines Durchfahrtsverbots war vom Verwaltungsgerichtshof 1984 gut geheißen worden. Heute fahren dort offenbar so viele Fahrzeuge verbotswidrig wie seinerzeit erlaubt. Die Ursache dafür sei aber nicht in einer Aufsiedlung der Esslinger Nachbargemeinden zu suchen, so Esslingens Stadtsprecher Roland Karpentier. Die Einwohnerzahl habe sich seit der Sperrung nur von 7700 auf rund 9000 im Jahr 2016 erhöht; und die Prognose sei eher negativ. Mit ursächlich sei wohl die Attraktivität der (kürzeren) Strecke über Uhlbach ins Neckartal – und die Stauanfälligkeit des Esslinger Pendants Krummenacker Straße/Mittlere Beuthau. Derzeit hemmt die Totalsanierung der Augustinerbrücke den Verkehr zusätzlich. Das Esslinger Ordnungsamt kontrolliere übrigens regelmäßig in Rüdern, so Karpentier.

Mehr Kontrollen in Uhlbach gefordert

Das fordert auch Bezirksbeirat Hofrichter in Uhlbach, „drei bis viermal pro Woche“, damit es ein Ende habe mit dem „rechtsfreien Raum“. Auch Hermann Karpf, Sprecher von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU), hält Schwerpunktkontrollen in der Tiroler Straße für eine von zwei geeigneten Möglichkeiten, dem Schleichverkehr beizukommen. Die andere sei die ebenfalls im Antrag von SÖS-Linke Plus geforderte Schrankenlösung. Karpf verweist auf die nicht mehr benötigte Buowaldstraße zwischen Sillenbuch und dem Stuttgarter Osten. Die wenigen Berechtigten im Wald seien mit Schlüssel ausgestattet. In Österreich würden ganze Täler gesperrt und seien nur von Chipkartenbesitzern befahrbar, hat Hofrichter recherchiert. Im Bezirksbeirat wird am Mittwoch über den Antrag diskutiert.