Volker Wissing hat in der Ampelkoalition immer wieder Grüne und SPD gegen sich aufgebracht. Dennoch macht er weiter, nachdem die FDP aus der Regierung ausgetreten ist – aus Überzeugung.

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

Einer fehlte. Als FDP-Chef Christian Lindner – am Abend, als die Ampel zerbrach – sich auf der Fraktionsebene des Bundestags erklärte, war Verkehrsminister Volker Wissing nicht an seiner Seite. Am nächsten Morgen war klar, warum.

 

Der Kanzler habe ihn in einem persönlichen Gespräch gefragt, ob er bereit sei, das Amt des Bundesministers für Digitales und Verkehr unter den neuen Bedingungen fortzuführen, sagte Wissing bei einem Statement im Ministerium. „Ich habe darüber nachgedacht und dies gegenüber Herrn Bundeskanzler Scholz bejaht“, fuhr Wissing fort. Die Entscheidung sei eine persönliche, die seiner Vorstellung von Übernahme von Verantwortung entspreche. „Ich möchte mir selbst treu bleiben“, sagte Wissing.

Wenn jemand – obwohl seine Partei die Regierung verlässt – sein Ministeramt behält, liegt für viele der Verdacht des Opportunismus nahe. Bei Wissing ist er aber weit gefehlt. Der 54-Jährige kommt aus einer calvinistischen Familie. Für den protestantischen Christen spielen Fleiß und Pflichterfüllung eine große Rolle. Das Staatsamt geht vor. Das ist Wissings Überzeugung.

Dafür ist Wissing aus der FDP ausgetreten, für seine bisherige Partei – so betont es der Politiker – wolle er keine Belastung sein. Es ist ein drastischer Schritt, denn Wissing war zuletzt noch Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz. Nach mehr als 25 Jahren in einer Partei ist ein solcher Bruch auch menschlich schwierig.

Wer Wissing aus seiner Zeit als FDP-Generalsekretär kennt, weiß auch: Das ist ein echter Liberaler. Nur: Wissing ist eben der festen Überzeugung, dass Wahlkämpfe die Zeit sind, um – auch plakativ – politische Unterschiede herauszuarbeiten. Und die Zeit danach diejenige, in der Kompromisse gefunden werden müssen. Der Kompromiss ist für ihn die Königsdisziplin der Politik.

Dafür loben ihn bei der SPD und den Grünen heute viele. Darunter auch einige, die Wissing vorher sehr hart attackiert haben – eben, weil es in der Verkehrspolitik gerade zwischen Grünen und FDP drastische Unterschiede gibt. Wissing war der Mann mit Ampel-Erfahrung in der Koalition. Von 2016 bis 2021 war er fünf Jahre lang Wirtschaftsminister in einer gut funktionierenden Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz. Später als Generalsekretär der Bundes-FDP galt er als einer, der die Ampel im Bund überhaupt erst möglich gemacht hat. Als nach der Bundestagswahl 2021 sondiert wurde, hat er den Liberalen erklärt, wie ein solches Bündnis funktionieren kann.

Dennoch hat Wissing seine Koalitionspartner nicht geschont. Immer wieder machte er sich dafür stark, dass die EU-Kommission das für 2035 verabredete Verbrenner-Verbot zurücknimmt. Er wendete sich außerdem gegen ein allgemeines Tempolimit und sprach sich für E-Fuels aus, womit er regelmäßig die Grünen gegen sich aufbrachte. Mehrfach musste sich Deutschland bei Abstimmungen auf EU-Ebene enthalten, weil Wissing regierungsintern widersprochen hatte – teils in letzter Minute.

Wissing schonte Grüne und SPD nicht

Dennoch sagt Wissing zur Arbeit der Ampel im Bund, er sei fest überzeugt, man wäre erfolgreicher gewesen, wenn man von Anfang an mehr auf Gemeinsamkeit gesetzt hätte. Er greift auch seinen früheren Parteivorsitzenden Lindner nicht an. Es ist aber unmöglich, ihn nicht als Gegenmodell zum FDP-Chef zu sehen.

Die FDP gilt vielen Kritikern als Partei der Porschefahrer – und Lindner fährt dem Klischee entsprechend selbst Porsche. Wissing hingegen macht sich privat nichts aus Autos und hat mehr für die Deutsche Bahn getan als viele Verkehrsminister zuvor. Das Konzept der Korridorsanierungen wurde unter ihm eingeführt, noch vor Weihnachten soll das erste Projekt abgeschlossen werden, die Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Zu Wissings Ideen gehört auch das Deutschlandticket. Kanzler Scholz nannte dieses einmal „eine der besten Ideen, die wir hatten“. Auch als Teil der rot-grünen Restregierung will er sich weiter dafür einsetzen. Ohne eigene Mehrheit ist das Amt ungleich schwieriger, aber Wissing will die Verlängerung des Deutschlandtickets absichern. Insbesondere in den Bundesländern ist man besorgt, dass das Erfolgsprojekt enden könnte.

In den letzten Tagen übernimmt Wissing nun zusätzlich auch noch das Justizressort – eben, weil es durch den Rückzug der FDP unbesetzt ist. Noch mal Pflichterfüllung. Und wie geht es hinterher weiter mit Volker Wissing? Darüber hat er sich nach eigenen Angaben noch keine Gedanken gemacht. Mancher, der ihn in den vergangenen Tagen erlebt hat, beschreibt ihn als jemanden, der mit sich im Reinen zu sein scheint. Seine politische Karriere dürfte, wenn die neue Bundesregierung einmal im Amt ist, jedoch vorbei sein. Denn der Jurist kann ja nicht noch mal für die FDP für den Bundestag kandidieren. So gesehen war sein Manöver politischer Selbstmord.

Vielleicht hat Wissing dann künftig wieder mehr Zeit für eines seiner Hobbys, das Orgelspielen. Die Liebe dazu habe er nie verloren, sagte er nach etwa einem Jahr als Verkehrsminister in einem Interview. „In diesen Musikstücken, die über Jahrhunderte entstanden sind, entdeckt man oft eine Kraft, die einen auch über Schwierigkeiten im Alltag trägt“, sagte Wissing. Um üben zu können, habe er auch mehrere Kirchenschlüssel.