Mit seinen Volten bezüglich des Projekts Stuttgart 21 irritiert der Verkehrsminister Winfried Hermann die Gegner - und die Freunde.

Stuttgart - Winfried Hermann ist, so sagen die Grünen, ihr wichtigster Mann in der neuen Landesregierung. Der 58-Jährige firmiert als Minister für Verkehr und Infrastruktur. Vor allem aber ist er Mister Stuttgart 21. Präziser gesagt: er ist der Mann, der Stuttgart 21 verhindern soll. Als solcher zieht er gleichermaßen Hoffnungen und Befürchtungen auf sich. Vielleicht scheitert er ja, bangen die Projektgegner. Womöglich setzt er sich durch, wispern grimmig die Befürworter.

 

Schlagzeilen produziert der wichtigste Mann der Grünen in der Landesregierung bereits in Hülle und Fülle. Allerdings sind es nach Ansicht von Gegnern wie von Freunden die falschen. Als "Mr. Fehlstart" musste sich Hermann schon von einem Wochenmagazin bespötteln lassen, weil er in der Öffentlichkeit Dinge sagte, die er so unmöglich stehen lassen konnte. Der Attacke folgte der Rückzug. Das fing schon damit an, dass er für den Fall, dass Stuttgart 21 entgegen seinem Trachten und Streben gebaut werden sollte, die Verantwortung für das Projekt einem SPD-geführten Ressort überantworten wollte. Das Echo war verheerend. "So etwas geht gar nicht", heißt es bei den Landes-Grünen. "Das entspricht genau dem Vorurteil von der Schönwetterpartei, mit dem wir zu kämpfen haben", sagt ein maßgeblicher Grüner. Ausbüxen, wenn es schwierig werde, das komme bei den Leuten nicht gut an. Mit "Sorge und Unverständnis" blickt er auf seinen Parteifreund Hermann.

Die Aufregung reichte bis ins Staatsministerium

Das war der erste Streich. Der zweite folgte sogleich. Hermann stellte in Aussicht, dass sich das Land an den Kosten für einen verlängerten Baustopp, der bis zu einer Volksabstimmung im Herbst währen könnte, beteiligt. Das widersprach der Argumentationslinie von Grünen und SPD, welche allein die Bahn in der Pflicht sehen. Die Aufregung reichte bis ins Staatsministerium. Hermann musste noch am selben Tag seine Äußerungen klarstellen, fügte aber hinzu, er sehe seine Aussagen "missdeutet". SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel schalt ihn erbost einen "Minister für Spekulationen". Bei den Grünen meinen sie, Hermann habe eigentlich nur Triviales gesagt. Die Kosten für den Baustopp würden wahrscheinlich im Zuge eines Kompromisses aufgeteilt. "Aber wenn die Regierung sagt, sie zahle nichts, dann kann der Verkehrsminister nicht das Gegenteil behaupten", mahnt ein Spitzen-Grüner. Das sieht ein führender Sozialdemokrat nicht anders: "Der Verkehrsminister sollte nicht ständig Dinge behaupten, die in der Koalition nicht vereinbart sind." Wenn Hermann das nicht einsehe, dann müsse Ministerpräsident Winfried Kretschmann einschreiten. "Sonst wird das für den MP eine heiße Geschichte."

Der SPD-Mann musste nicht lange warten, bis er sich erneut bestätigt fühlen konnte. Hermann kündigte an, er wolle dem Stresstest, bei dem die Leistungsstärke des Tiefbahnhofs simuliert werden soll, einen zweiten Fahrplan zugrunde legen. Einen Fahrplan, der den Vorstellungen der Landesregierung von einem kundenfreundlichen Bahnverkehr entspreche. Die Bahn habe dazu nicht die Kompetenz.

Misstrauen in der Regierungskoalition wächst weiter

Damit berührte Hermann einen neuralgischen Punkt. Schon in den Tagen vor dem Machtwechsel in Stuttgart erklangen aus dem Verkehrsressort Stimmen, die davor warnten, der neue Minister werde über die Ausgestaltung des Fahrplans den Tiefbahnhof kippen. 30 Prozent mehr Leistung in der Spitze, so hatte die Vorgabe der Schlichtung gelautet. Umgekehrt sagen die Grünen, die Bahn werde den Leistungsnachweis für den Tiefbahnhof mit einem Fahrplan führen, der "mit der Praxis nichts zu tun hat". So wächst das Misstrauen in der Regierungskoalition täglich weiter an, vor allem bei den Sozialdemokraten. Der Druck im Koalitionskessel steigt. Noch üben sie sich in Koalitionsdisziplin. "Es hilft nichts, jeden Tag draufzuhauen", bändigt sich mühsam ein SPD-Mann.

Die Hermann-Kritiker unter den Grünen und Sozialdemokraten erklären sich die Wendungen Hermanns mit einem noch nicht geglückten Rollentausch vom Parlamentarier in Berlin zum Minister in Stuttgart. Als Oppositionsabgeordneter kann man vieles sagen. Jedes Interview ist an sich schon ein Erfolg, weil es eine gewisse öffentliche Wahrnehmung sichert. Das Wort ist die Tat. Anders verhält es sich im Ministeramt. Wer da zu früh redet, erreicht eher wenig bis gar nichts.

Hermann gilt als links

Winfried Hermann war eigentlich immer in der Opposition. Auch in den Jahren der rot-grünen Bundesregierung. 1998 erstmals in Bundestag gewählt, verweigerte er zusammen mit drei weiteren Grünen-Abgeordneten 2001 Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) die Zustimmung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Manche sagen, Hermann habe so lange taktiert, bis er davon ausgehen konnte, dass sein Nein nicht zum Sturz der Regierung führen würde. Schröder hatte die Vertrauensfrage gestellt. Vier der insgesamt acht widerständigen Grünen-Abgeordneten sicherten der Regierung schließlich die Mehrheit. Hermann sagte, seine Standfestigkeit habe ihn einen Staatssekretärsposten gekostet.

Spätestens seit jener Zeit gilt Winfried Hermann als links. Der gebürtige Rottenburger, der zunächst als Gymnasiallehrer und später als Fachbereichsleiter an der Volkshochschule Stuttgart arbeitete, hatte tatsächlich immer schon eine linke Grundierung, die in seinen sozialpolitischen Ansichten und in seinem Pazifismus zum Ausdruck kommt. Es gibt indes auch prominente Grüne, die ihn nicht links, sondern link nennen. Das ist vielleicht auch seinem taktischen Geschick geschuldet, der Neigung zu mancherlei Windungen, die ihm jetzt in seinen Anfangstagen als Minister zu schaffen machen. "Der lächelt freundlich, und dann geht er raus und macht das Gegenteil", sagt ein SPD-Mann über Hermann. Auf Dauer geht so etwas nicht gut.

Am Dienstag berichtet der Verkehrsminister vor der Presse über den aktuellen Stand des Stresstests bei Stuttgart 21. Ob es danach auch in der Koalition wieder Stress gibt, ist noch nicht abzusehen.