Der Dauerstau beschäftigt die Stadtplaner. In einem Verkehrskonzept haben sie jetzt die Verkehrswege der Esslinger erforscht. Das Auto ist nach wie vor das Verkehrsmittel, das am meisten von den Bürgern genutzt wird.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Das Mobilitätskonzept, das der Stadtplaner Wolfgang Ratzer jüngst vorstellte, lässt wenig Platz für Illusionen. Obwohl Esslingen eine Stadt mit 95 000 Einwohner ist und im Ballungsraum Stuttgart liegt, ist sie nicht so dicht besiedelt, dass die Menschen sinnvoll den Öffentliche Nahverkehr nutzen könnten. Esslingen franst sozusagen an den Rändern zu sehr aus. Die 35 000 Einwohner im Esslinger Norden, die in Rüdern, Sulzgries oder Wäldenbronn wohnen, leben eher in dörflichen Strukturen, was bedeutet, sie können auf das Auto nicht verzichten.

 

Ratzer hat die Bürger auch repräsentativ befragt, warum sie lieber mit dem Auto fahren als mit dem Bus. Das Hauptargument der Esslinger ist es, dass sie mit dem Auto Zeit und Geld sparen. Den Komfort, den das Auto bietet, ist auch ein Grund, lieber in der eigenen Karosse unterwegs zu sein, wenn auch kein sehr wichtiger.

Die Fakten 66 Prozent aller Fahrten in die Stadt unternehmen die Esslinger selbst, nur 34 Prozent der Verkehrsteilnehmer kommen von außerhalb. Die nebenstehende Grafik zeigt, dass die Anzahl der Fahrten mit dem Fahrrad und die Anzahl der Fußwege, gemessen am Auto im einstelligen Prozentbereich liegt. Der ÖPNV in der Stadt deckt etwa zehn Prozent aller Fahren ab.

Die Folgerungen „Im Fußgängerverkehr und im Radverkehr gibt es noch Potenziale, die es zu heben gilt“, sagt Ratzer. Allerdings sei das weniger als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Würde man den ÖPNV-Anteil am Gesamtverkehr von zehn Prozent auf zwölf Prozent steigern, dann müsste sich der Stadtverkehr Esslingen um 20 Prozent vergrößern und damit täglich 5500 und jährliche zwei Millionen Kunden mehr befördern. Das wäre eine Riesenanstrengung für den Öffentlichen Nahverkehr – und im Autoverkehr würde das dennoch praktisch nicht bemerkbar sein. Würde man, um den Verkehrsinfarkt abzuwenden, zu den Spitzenzeiten mehr Omnibusse einsetzen, würden sie die meiste Zeit im Depot stehen und wären damit nicht mehr wirtschaftlich. Das Problem Macht man sich diese Zahlen zu eigen, berücksichtigt man die dörflichen Struktur am Rande von Esslingen und die Topografie der Stadt mit den zwei steilen Neckarufern, dann sieht es so aus, als könnten die Menschen nicht auf das Auto verzichten, anders als in großen Stadtkernen wie in Stuttgart oder Berlin.

Die gute Nachricht Laut dem Statistischen Landesamt hat nahezu jeder private Haushalt in Baden-Württemberg ein eigenes Auto. Das bedeutet, große Zunahmen sind hier nicht mehr zu erwarten. Gleichzeitig hat die Zahl der Schadstoffe in der Luft stark abgenommen. Wurden im Jahr 1995 in Esslingen noch 6017 Tonnen Feinstaub jährlich ausgestoßen, waren es 2015 nur 2126 Tonnen. Das heißt, die Luftverschmutzung ist hier um zwei Drittel zurückgegangen, obwohl der Verkehr deutlich zugenommen hat.

Was kann die Stadtplanung tun? Wenn die Städte und Gemeinden in der Peripherie von Esslingen weitere Wohngebiete ausweisen, nimmt der Verkehr zwangsläufig zu. Wolfgang Ratzer plädiert für eine deutliche Verdichtung der Innenstadt. Ein gutes Beispiel ist für ihn etwa ein Hochhaus mit 18 Stockwerken, das gerade in Reutlingen entsteht, direkt am Bahnhof. „Wir müssen große Wohneinheiten entlang der Massentransportwege“ schaffen, das ist das Credo der Stadtplanung. Die neue Weststadt sei zwar ein guter Ansatz, aber hier hätte man im wahrsten Wortsinne noch höher hinaus können. Wolfgang Ratzer hat vor einigen Jahren die Bewohner der Hochhäuser in der Schelztorstraße befragt, und dort eine außerordentliche Wohnzufriedenheit entdeckt, vor allem deswegen weil man in der Innenstadt alle Wege zu Fuß bewältigen könne. Für ihn heißt das, gut gemachte Hochhäuser bieten eine gute Wohnqualität.

Wo klemmt es in Esslingen? Die Stauschwerpunkte sind die Vogelsangbrücke, der Altstadtring und die Ulmer Straße. Verschärft wird die Situation durch etliche Baustellen, die in den kommenden zwei Jahren dort eröffnet werden. Die Esslinger Stadtverwaltung überlegt, ob sie den Altstadtring nicht einspurig macht und zwei Spuren den Fahrrädern und Bussen überlässt. Allerdings muss die Stadt genau abwägen, ob der Vorteil von freier Fahrt für sehr wenige Radfahrer den Nachteil von längeren Wegen für sehr viele Autos mit mehr Lärm und Abgasen aufwiegt.

Fazit des Stadtplaners Wolfgang Ratzer: „Die Welt ist komplizierter, als man sich das vorstellt. Eine einfache Lösung für das Verkehrsproblem gibt es nicht.“