Die bayrische Metropole baut ihr Tunnel- und Schienennetz für viel Geld aus, um die S-Bahn zu entlasten. Der Widerstand hält sich dort allerdings – anders als in Stuttgart gegen S21 – in Grenzen.

München - Mit einem symbolischen Spatenstich und einem Bürgerfest hat in München am Mittwoch eines der größten deutschen Bauprojekte für den öffentlichen Nahverkehr begonnen: Quer unter der Innenstadt hindurch bekommt die S-Bahn ihre zweite Stammstrecke. Mit einer Verdoppelung der Tunnel- und Schienenkapazität auf insgesamt elf Kilometer Länge soll der zunehmend überlastete und störungsanfällige Flaschenhals im Zentrum des aktuellen Schnellbahnnetzes beseitigt werden. Im Dezember 2026 soll die neue Trasse in Betrieb gehen.

 

Die Kosten – zu Beginn der Planungen 2001 noch auf 1,4 Milliarden D-Mark beziffert – liegen nach derzeitigem Stand bei 3,84 Milliarden Euro. Davon zahlt der Bund rund 60 Prozent; der Freistaat Bayern finanziert etwa 1,3 Milliarden Euro, den Rest von gut 300 Millionen Euro teilen sich die Stadt München und die Deutsche Bahn.

355 000 Fahrgäste pendeln täglich nach München

Die erste Stammstrecke der Münchner S-Bahn war 1972 eröffnet worden: rechtzeitig zu den Olympischen Spielen und nach einer Rekordbauzeit von sechs Jahren. Die zweigleisige Trasse in West-Ost-Richtung, die bis heute die Achse des Systems darstellt, war damals für werktäglich 250 000 Passagiere ausgelegt. Heute befördern Züge im Zwei-Minuten-Takt bis zu 840 000 Fahrgäste am Tag. Durch den Flaschenhals zwängen sich in München alle sieben S-Bahn-Linien. Schon kleine Störungen – Verspätungen, liegengebliebene Züge, umgestürzte Bäume – bringen das System aus dem Takt. Zudem ist München mit 355 000 Fahrgästen pro Tag Deutschlands Pendlerhauptstadt: Die Zahl der Berufspendler ist seit 2000 um 21 Prozent gewachsen; ein Ende des Anstiegs ist nicht absehbar, weil Münchens boomende Metropolregion einen Magneten für Zuzügler darstellt. Damit nimmt auch der Druck auf den öffentlichen Nahverkehr stark zu.

Kernstück der künftigen Stammstrecke ist ein doppelter Tunnel von sieben Kilometer Länge, der in vierzig Meter Tiefe die Innenstadt durchquert – beinahe doppelt so tief wie die heutige Trasse und tiefer auch als die U-Bahn. Halten soll die neue S-Bahn nunmehr an drei statt bisher zehn Stationen: am Haupt- und am Ostbahnhof, dazwischen nur noch am zentralen Marienplatz. Das soll nach den Vorstellungen der Planer den Verkehr beschleunigen und künftig auch den Einsatz von „Express-S-Bahnen“ ermöglichen. Es stellt aber auch einen der Punkte dar, an dem die Kritiker einhaken. Das sind hauptsächlich die bayerischen Grünen. Das neue System halte am Flaschenhals fest, bemängeln sie. Sämtliche Pendler würden in die Innenstadt „geschaufelt“ und erst von dort aus weiterverteilt. Die drastisch verminderte Zahl an Umsteigepunkten zur U-Bahn, zu Bussen und Straßenbahnen strapaziere zudem die heute schon überlasteten Stationen noch weiter, lautet die Kritik.

An der Oberfläche ist nicht viel zu sehen – bis auf drei riesige Baugruben

Ansonsten halten sich in München die Proteste gegen die Wühlarbeiten im Zentrum in Grenzen. Am meisten wehrt sich eine Bürgerinitiative, die im Stadtteil Haidhausen, am östlichen Tunnelportal, und damit für die nächsten neun Jahre direkt an einer der drei Hauptbaustellen liegt. Aus den Reihen anderer Bürgerinitiativen hängen noch etwa 40 Klagen gegen Teile des Projekts beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof; deren Chancen gelten aber als gering. Und dann gibt es noch die Gemeinden und Landkreise im Umland, die eine grundsätzliche, noch viel kostspieligere Erweiterung des Systems fordern.

Anders als die erste Stammstrecke, die vor fünfzig Jahren große Teile der Innenstadt in eine offene Baustelle verwandelte, soll der neue Tieftunnel weitestgehend auf bergmännische Art vorangetrieben werden – also tief im Münchner Untergrund. Für die Zugänge sind den Planern zufolge lediglich die – wenn auch riesigen – Baugruben an den drei Haltepunkten nötig. Somit ist an der Oberfläche wenig zu sehen: Es müssen keine Bäume abgeholzt, keine gefährdeten Tiere geborgen, keine symbolträchtigen Gebäude abgerissen werden. Neben dem Leiden am bisherigen System gilt auch das als Grund für das Fehlen großräumiger Proteste in der bayrischen Hauptstadt.