Die Zahl der Unfälle mit dem Fahrrad ist 2018 weiter angestiegen. Radfahrer seien in den Städten nicht ausreichend geschützt, sagt der Allgemeine Deutsche Fahrradclub. Ulrich Stolte

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - November 2018: Obwohl die Fußgängerampel Rot zeigt, überquert ein 46 Jahre alter Radfahrer in Ostfildern die Straße. Ein Auto kann noch bremsen, ein anderes nicht. Es rammt den Fahrradfahrer, der noch an der Unfallstelle stirbt. Der 46-Jährige war einer von fünf tödlich verunglückten Radfahrern im Kreis Esslingen in vergangenen Jahr. Im Jahr zuvor war es nur einer. Erklären kann die Polizei die Zunahme nicht. Die Reutlinger Polizeipressesprecherin Andrea Kopp spricht von normalen Schwankungen in der Statistik. Ein möglicher Grund sei der trockene warme Sommer, der 2018 möglicherweise die Zahl der Radfahrten erhöht habe und damit auch die Wahrscheinlichkeit eines Unglücks.

 

Kein Esslinger Phänomen

Denn der Anstieg ist keineswegs ein Esslinger Phänomen: Im Kreis Ludwigsburg stieg die Zahl der Unfälle von 396 auf 436 und im Kreis Böblingen von 325 auf 369. Im ganzen Einzugsbereich des Präsidiums Ludwigsburg stieg die Zahl der Fahrradunfälle von 2017 auf 2018 um 11,7 Prozent.

Traurige Tatsache ist auch, dass etwa die Hälfte der Radfahrer die Unfälle selbst verschuldet. Die häufigste Ursache ist das Missachten der Vorfahrt – und das Überfahren von roten Ampeln, gefolgt von Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit und unter Alkoholeinfluss.

Aber nicht nur die Anzahl der tödlichen Unfälle ist in Esslingen angestiegen. 2017 waren es noch 71 schwer verletzte und 290 leicht verletzte Radfahrer, 2018 dagegen gab es 66 Schwerverletzte und 329 leicht verletzte. Auch die Anzahl der Unfälle mit dem Pedelec ist gestiegen. 55 Unfälle waren es 2017, 67 Unfälle waren es 2018. Insgesamt stieg die Anzahl der Fahrradunfälle im Kreis Esslingen von 417 Unfällen 2017 auf 467 im Jahr 2018.

Separate Fahrspuren sind sicherer

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) sieht den Grund dafür vor allem in der kommunalen Verkehrsplanung. „Die Radfahrer sind nicht ausreichend geschützt“, das ist die feste Meinung von Thomas Rumpf, dem Sprecher des ADFC- Kreisverbands Esslingen.

Für Rumpf gibt es in Deutschland noch viel zu tun, bis das Fahrrad ein sicheres Verkehrsmittel wird. In den Fahrschulen müsse gelehrt werden, die Fahrertür mit der rechten Hand aufzumachen. Weil damit der Fahrer den Oberkörper dreht, würde er automatisch herannahende Radler erkennen. Wenig hält Rumpf von den Schutzstreifen für Radfahrer. Ihm sind separate rotgezeichnete Fahrspuren wie in den Niederlanden lieber. „In vielen Gemeinderäten ist es nicht in den Köpfen, dass ein Fahrrad ein normales Verkehrsmittel ist. Viele denken, das ist ein Sportgerät, auf das ich mich ab und zu nach Feierabend setze zum trainieren“.

Auf die Unfallschwerpunkte in Esslingen hat Rumpf längst hingewiesen. Ausgerechnet die Hindenburgstraße, eine der längsten Fahrradstraßen Deutschlands, ist durch verwirrende Rechts-vor-Links-Regelungen gefährlich, ebenso die Kreuzung Breslauer Straße/ Robert-Koch-Straße. Auch sieht er Mängel bei den Räumdiensten, die im Winter die Radwege erst streuten, wenn die Kinder in der Schule seien.

Seiner Ansicht nach reagiere die Stadtverwaltung nicht schnell genug auf die Wünsche der Radler. Nachdem die Geiselbachstraße für Autos gesperrt und damit eine der wichtigsten Innerstädtischen Verbindungen gekappt ist, hätte die Stadt großzügige Fahrradboxen an den S-Bahnhof Mettingen bauen müssen für die Pendler nach Stuttgart, die jetzt das Fahrrad und das Pedelec in der Geiselbachstraße benutzten.

Die Radfahrer sind in Esslingen immer gleich unzufrieden

Kürzlich hat der ADFC auch seine jährliche Statistik veröffentlich, welche die die Zufriedenheit der Radler beschreibt. Esslingen stagniert hier seit dem Jahr 2012. In einer Schulnotenskala hat Esslingen den Wert 4,3. Doch ist das gar nicht so schlecht im Kreisvergleich. In Kirchheim verschlechterte sich der Wert von 3,4 auf 3,7 und in Ostfildern von 3,5 auf 3,9. Diese Auswertung ist sehr subjektiv, weil die Teilnehmer ohne nachprüfbare Kriterien nach ihrem Gefühl befragt werden.

In der Stadt Esslingen finden es die Radfahrer gut, dass sie ihre Räder in Busse und Bahnen mitnehmen können, und dass Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radfahrer geöffnet sind. Sie kritisieren allerdings, dass sie nicht zügig fahren können, dass das Stadtzentrum schlecht zu erreichen sei und dass sie als Verkehrsteilnehmer nicht akzeptiert würden.

Trotz dieses subjektiv-schlechten Gefühls muss man anerkennen, dass in Deutschland für Radfahrer viel getan wird, auch in puncto Sicherheit. Immerhin gilt Deutschland für Fahrradfahrer als drittsicherstes Land der Welt. Es kommt damit gleich hinter den Niederlanden und Dänemark.