Behindertenparkplätze sind oft zugeparkt. 6907 Verwarnungen hat die Stadt 2016 ausgesprochen – die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Der Behindertenbeauftragte fordert, mehr abzuschleppen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Immer öfter fühlt sich Sigrun Stocker wie eingesperrt in ihrer Wohnung. Die schwerbehinderte Frau, die im Stuttgarter Osten lebt, ist auf einen Elektrorollstuhl angewiesen. „Wenn ich mit dem Auto abgeholt werde, gibt es eigentlich immer Probleme“, berichtet die 65-Jährige. Eigentlich ist in der Poststraße, zu der ihr Haus einen Zugang hat, ein Behindertenparkplatz. Doch der sei eigentlich immer zugeparkt. „Mein Sohn hat mich schon zigmal abholen wollen, immer war der Platz belegt“, berichtet Sigrun Stocker, so dass er wieder weggefahren sei. Im Halteverbot zu stehen, komme für ihn nicht in Frage. Sie habe wegen des Parkplatzes unter anderen schon einen Arzttermin und einen Auftritt des Enkelkindes verpasst.

 

Im vergangenen Jahr wurden laut der Verkehrsüberwachung 6907 Autofahrer verwarnt, weil sie unberechtigt auf einem Behindertenparkplatz standen. 2015 waren es mit 6925 fast genau so viele. „Die Zahlen sind gleichbleibend hoch“, sagt der Dienststellenleiter Joachim Elser, der von einer deutlich höheren Dunkelziffer ausgeht. Da Behindertenparkplätze oft attraktiv gelegen sind (vor einer Bäckerei, einer Bank, einer Praxis) würden sie oft missbraucht, so Elser. Dass jemand lange unberechtigt dort parke, komme selten vor. „Die Fünf-Minuten-Parker sind das Problem“, sagt Verkehrsüberwachungsleiter.

Fortbewegung muss aufs Schwerste eingeschränkt sein

Für die Ordungswidrigkeit fällt eine Strafe von 35 Euro an – zu wenig, wie der Behindertenbeauftragte der Stadt, Walter Tattermusch, findet. „Es muss spürbar sein“, sagt Tattermusch. Schließlich sei das Parken auf Behindertenparkplätzen „nicht nur ein Ärgernis, sondern eine unwahrscheinliche Rücksichtslosigkeit“ gegenüber Menschen, die besonders beeinträchtigt seien. „Behindertenparkplätze sind eine Notwendigkeit für die Leute“, betont auch Armin Hoffer, der Geschäftsführer des Körperbehindertenvereins (KBV).

Walter Tattermusch hat immer einige Handzettel dabei, wenn er unterwegs ist. Die klemmt er hinter die Windschutzscheibe, wenn er einen Falschparker auf einem Behindertenparkplatz sieht – die Verkehrssünder sollen mitbekommen, dass ihr Fehlverhalten bemerkt wurde. Sieht er sie, spricht er sie direkt an. „Die Menschen reagieren zum Teil unheimlich aggressiv“, berichtet Tattermusch. Viele Autofahrer verstünden zudem nicht, warum Behindertenparkplätze so lang sind – und parkten vielleicht den halben Parkplatz zu, sodass man eben nicht mehr die Heckklappe aufmachen oder eine Rampe anbringen könne. Tattermusch fordert, mehr der Falschparker abzuschleppen. „Wenn mehr abgeschleppt würde, wäre wahrscheinlich bald Ruhe“, glaubt er.

Maximal eine Viertelstunde des Tages abgedeckt

Abgeschleppt wird tatsächlich selten: Eigentlich nur, wenn ein Behinderter sich meldet, weil er einen Parkplatz nicht anfahren kann, aber nicht, wenn zum Beispiel ein nichtbehinderter Nachbar anruft. Auch die Streifen selbst würden von sich aus solch eine Maßnahme nicht einleiten, so Elser. Bis das Abschleppfahrzeug da wäre, sei der Betroffene meist schon wieder weg. In der Innenstadt wird zwar häufiger kontrolliert, doch zum Beispiel in der Poststraße komme man im Schnitt nur einmal am Tag vorbei, so Elser. Damit sei also maximal eine Viertelstunde des Tages abgedeckt. „Wir können einen Parkplatz nicht rund um die Uhr kontrollieren“, stellt Elser klar. Es müsse sich etwas an der Einstellung der Leute ändern, dass man nicht nur an sich denke.

Beim Parkplatz an der Poststraße kommt noch ein Aspekt hinzu: Neben den Falschparkern gibt es Autofahrer, die berechtigt dort parken. „Das ist ein Wohngebiet, wo relativ viele Menschen mit Behinderung wohnen, eigentlich ist ein Parkplatz dort zu wenig“, sagt Achim Hoffer vom KBV, der es wissen muss. Der Verein hat seinen Sitz in dieser Nachbarschaft. Walter Tattermusch hat zwar den Eindruck, dass die Ämter sich bemühen, ausreichend Parkplätze zur Verfügung zu stellen, aber natürlich gelte: „Wenn zwei kommen, die berechtigt sind, ist nur Platz für einen.“

Kostbare Zeit geht verloren für die Betroffene

Sigrun Stocker kann von ihrem Fenster zwar erkennen, ob ein Auto auf dem Parkplatz steht, aber nicht, ob vorne ein Behindertenausweis liegt. Entsprechend könnte sie gar nicht einfach immer dann die Polizei rufen, wenn sie dort ein Auto sieht. Bis ein Auto abgeschleppt ist, kann es dauern – für sie zu lange. „Für mich ist das kostbare, teure Zeit“, betont sie. Begleitenden Ausgang bucht sich die Seniorin auch über einen Pflegedienst. 125 Euro bekommt sie hierfür monatlich über die Pflegekasse, das reiche gerade mal für vierdreiviertel Stunden. Wenn sie jedes Mal abschleppen lassen würde, wäre diese Zeit schon weg.