Die Verkehrsberuhigung am Bismarckplatz ist ein Test – bisher ohne aussagekräftige Fakten. Doch ein Stimmungsbild lässt sich schon jetzt ablesen: Es regt sich Unmut im Viertel. Manche klagen über mehr Verkehr, andere fühlen sich abgeschnitten.

Stuttgart - Jens-Peter Wedlich leidet unter einer Verkehrsberuhigung. Oder treffender, sein Geschäft leidet darunter. Und das ärgert ihn. Wedlich ist Inhaber des Ladengeschäfts „Schüttgut“ in der Vogelsangstraße. Und obwohl sein Konzept, Lebensmittel unverpackt zu verkaufen, den Nerv der Zeit trifft, fühlt er sich seit dem 21. November 2020 im Abseits. Seitdem ist die Zufahrt zur Bismarckstraße von der Schwabstraße her für Autos probeweise gesperrt. „Die 7,5-Tonner weichen über die Ludwig- und die Rötestraße aus, kommen aber kaum durch. Alles ist zugeparkt“, klagt Wedlich. Der Weg zu ihm ist für seine Lieferanten länger und komplizierter geworden. Für Wedlich nur die eine Seite des Problems. Schwerer wiegt für ihn die andere Seite: Der Frust seiner Kundschaft. Die kommt oft von weiter her und deshalb nicht selten mit dem Auto. „Ortsfremde haben Mühe, den Weg in und durch das Viertel zu finden. Sie kurven unnötig herum und erhöhen das Verkehrsvolumen. Verkehrsberuhigung sieht anders aus“, sagt Wedlich genervt. Auch würde der gewonnene Raum durch die Anwohner nur wenig belegt.

 

Ping Pong und Tango

Aber stimmt das? Auf dem Bismarckplatz am Rand der abgesperrten Durchfahrt sitzt Stella Maris mit ihrem Sohn Vincent (11) und einer Gruppe von Freunden. Sie hat Plastikstühle organisiert, eine große Lautsprecherbox und kühle Drinks. Maris ist Kulturveranstalterin. Schon während des Lockdown hat sie den Platz zu ihrem Herzensprojekt erkoren. An manchen Tagen stellt sie eine Tischtennisplatte auf. Mitspielen darf jeder. „Die Menschen brauchen Begegnung und emotionale Nähe, insbesondere in Zeiten verschärfter Hygieneregeln“, sagt Maris. Mittlerweile gibt es donnerstags „Ping Pong und Tango“ – so nennt sie das. Dann bringt sie eine Discokugel mit. An anderen Tagen ein Trampolin für Kinder oder ein Schachbrett. Sie war schon verkleidet, macht Kunststückchen, lässt sich immer etwas einfallen. Bezogen auf die stillgelegte Zufahrt und die kritischen Stimmen meint sie gelassen: „Es ist ein Lernprozess. Aber die Leute werden sich daran gewöhnen“, sagt Maris und stellt klar: „Der Platz soll den Menschen gehören, nicht den Autos.“

„Ich mache mir Sorgen um meine Kinder“

Aber sie hat gut reden, denn sie wohnt jenseits der Schwabstraße und ist daher von der Verlagerung des Verkehrs nicht betroffen. Anders als Aysel Holz. In der Ludwigstraße, zwischen Schwab- und Rötestraße, wohnt die Familie Holz. Aysel Holz ist Kinder- und Jugendpsychologin, praktiziert in der Schwabstraße, nur einige zehn Meter entfernt. Über die Neugestaltung des Bismarckplatzes hatte sie sich zunächst gefreut. Doch seit Beginn des Tests rollt der Verkehr für sie stärker. Im Viertel befinden sich die Vogelsangschule und vorübergehend auch das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium. Zum morgendlichen Lieferverkehr kommen Eltern, die ihre Kinder zur Schule fahren. Holz sagt: „Alle blockieren sich gegenseitig. Wegen der Lastwagen mache ich mir Sorgen um meine Kinder.“ Ihre Tochter geht auf die Vogelsangschule, ihr Sohn auf das Ebelu. Deswegen begehrt Holz auf, telefoniert noch im November mit dem Stadtplanungsamt, wird an ein privates Stadtplanungsbüro verwiesen und auf eine Online-Befragung im Dezember. Daran nimmt sie teil. Sie informiert Nachbarn, klebt Zettel. Im Januar schreibt sie eine Gelbe Karte an die Stadt, bislang ohne Rückmeldung. Seitdem sammelt sie Unterschriften gegen den Verkehrsversuch.

Versuch liefert noch keine belastbaren Zahlen

Offiziell ist nichts entschieden. Der Versuch liefert aufgrund von Corona und Homeoffice aber auch noch keine belastbaren Zahlen. Eine repräsentative Zählung des Durchgangsverkehrs, die eigentlich schon längst hätte stattfinden sollen, hat die Stadt nun für den Herbst angesetzt. Aber genaue Informationen fehlen. So liefert der Versuch derzeit allenfalls ein Stimmungsbild des Viertels. Und die Stimmung ist – soviel lässt sich sagen – durchwachsen. Aysel Holz fühlt sich, als würde ihre Stimme im Nichts verhallen. „Der Lärm und die Abgase sind unerträglich. Falls das so bleibt, ziehen wir weg“, sagt Holz resigniert. Aber aufgeben möchte sie nicht. Sie hofft nun auf den Bezirksvorsteher. Ihm übermittelte sie vor wenigen Tagen ihre gesammelten 190 Unterschriften aus der Ludwigstraße und der Rötestraße.

190 Unterschriften gesammelt

Bezirksvorsteher Bernhard Mellert sieht beide Seiten. Grundsätzlich ist er dem Vorhaben zugetan, wünscht sich weniger Autoverkehr, spricht von „Verschönerung“ und „Verbesserung“. Er weiß aber auch um die Bedeutung von Kompromissen und harten Fakten. „Stimmungen reichen mir nicht“, sagt Mellert, „ich möchte eindeutige Zahlen. Erst wenn man genau sieht, ob und wo sich eine Verschlechterung ergibt, können wir damit umgehen.“ Aber die Zahlen lassen auf sich warten. Und während auf dem Bismarckplatz gefeiert wird, formiert sich im Viertel dahinter ein kleiner Widerstand.