Verkehrsversuche bundesweit Superblocks sind nicht nur in Stuttgart ein Aufreger
Am Superblock in der Augustenstraße in Stuttgart scheiden sich die Geister. So wird in anderen deutschen Städte über vergleichbare Vorhaben diskutiert.
Am Superblock in der Augustenstraße in Stuttgart scheiden sich die Geister. So wird in anderen deutschen Städte über vergleichbare Vorhaben diskutiert.
Die Bilder von der Stuttgarter Augustenstraße und dem Nürnberger Stadtteil Gostenhof ähneln sich. Hier wie dort verhindern Poller auf der Fahrbahn eine direkte Durchfahrt für Autofahrer. Farbige Markierungen auf dem grauen Asphalt unterstreichen: Priorität haben hier andere. Gesäumt wird die Szenerien von hölzernen Sitzgelegenheiten und Pflanzenkübeln, die zum Teil auf ehemaligen Parkflächen stehen.
In beiden Fällen sollen sogenannte Superblocks Wohnquartiere lebenswerter machen. Um das Konzept zur Verkehrsberuhigung in der Augustenstraße sind seit seiner Einführung immer wieder hitzige Diskussionen entbrannt. Das mag auch mit der historisch gewachsenen Bedeutung des Autos in dieser Stadt zusammenhängen. Der Blick über die Stadtgrenzen hinaus zeigt indes: Mit der Superblock-Debatte ist Stuttgart keineswegs allein.
Während der rund anderthalbjährige Verkehrsversuch im Stuttgarter Westen derzeit ausgewertet wird, hat das Pilotprojekt in Nürnberg gerade erst begonnen. Seit dem 19. September gibt es in der fränkischen Großstadt einen Superblock, der bislang vier Straßen und drei neue Fußgängerzonen umfasst.
Bleiben soll er zunächst für ein Jahr. Rika Fousek ist allerdings zuversichtlich, dass sich daraus ein langfristiges Erfolgsmodell entwickelt. „Er wird schon jetzt super aktiv genutzt“, sagt die 31-Jährige, die sich bei der Nürnberger Initiative Superblock engagiert. Auch die Kritik falle deutlich geringer aus als erwartet. „Bei Vorhaben im öffentlichen Raum gibt es immer Gegenwind“, sagt Fousek zwar. Bislang gebe es aber vor allem viel Zuspruch, selbst von anfänglichen Skeptikern.
Als einen der Gründe dafür sieht Fousek, dass sich ihre Initiative bereits im Vorfeld intensiv mit den Menschen im Viertel ausgetauscht habe. Dieser Dialog sei in anderen Städten zu kurz gekommen, sagt sie.In Nürnberg habe man aus solchen Fehlern gelernt – wobei sie sich über Stuttgart kein Urteil erlauben will.
Allerdings teilen diese positive Einschätzung beileibe nicht alle. „Eine Einbindung hat hier nicht stattgefunden“, sagt Christiane, eine Aktivistin des linken Zusammenschlusses Organisierte Autonomie Nürnberg. Viele Anwohnerinnen und Anwohner hätten bis zur Umsetzung nichts von dem Projekt gewusst, Plakate im Viertel habe man vergeblich gesucht.
Kritik am Superblock kommt in Stuttgart von vielen Akteuren: von Autobesitzern und Gewerbetreibenden, von Menschen aus dem Quartier oder von Politikern des eher konservativen Lagers. Bundesweit besonders schrill sind die Vorwürfe aus dem rechtspopulistischen Spektrum, wenn derartige Vorhaben als Ausdruck links-grüner Ideologie verschrien werden. Dagegen machen die Aussagen der Aktivistin Christiane klar: In Nürnberg stellt sich auch eine eindeutig linke Szene gegen den Superblock.
Die Aktivistin wohnt nach eigenen Angaben seit rund 20 Jahren in Gostenhof und sagt: „Das Viertel ist extrem gentrifiziert.“ Der traditionelle Arbeiterbezirk, nach dem Krieg geprägt von sogenannten Gastarbeitern, gilt mit seinen stilvollen Altbauten, Cafés und Kneipen längst als eine der angesagtesten Gegenden der Stadt. Alteingesessene könnten sich die steigenden Mieten jedoch kaum noch leisten, kritisiert Christiane.
Sie fürchtet, dass sich diese Entwicklung durch den Superblock weiter fortsetzen könnte. Christiane zufolge handelt es sich dabei um ein Konzept, von dem Einzelne profitieren würden, „die Zeit, Muße und kulturelles Kapital für solche Initiativen haben“. Nach Meinung der Aktivistin zielt das Projekt lediglich auf die Symptome urbaner Probleme ab, nicht aber auf die systemischen Ursachen. „Mietenstopp statt Superblock”, lautet deshalb eine der Parolen der „Organisierten Autonomie Nürnberg“.
Den Vorwurf, Superblocks fungierten gewissermaßen als Gentrifizierungsbeschleuniger, will Ragnhild Sörensen indessen nicht gelten lassen. Die Berlinerin arbeitet als Sprecherin der Intitiative Changing Cities, die sich deutschlandweit für lebenswerte Städte einsetzt. Sie sagt: „Ich sehe nicht, dass es plötzlich teurer werden sollte, weil Kinder auf der Straße laufen können.“ Gentrifizierung habe vielmehr damit zu tun, dass es immer mehr Menschen in die Städte ziehe.
Es sei zwar wichtig, bei Superblocks auf die soziale Gerechtigkeit zu achten. Doch grundsätzlich, daran lässt Sörensen keine Zweifel, hält sie das Modell für richtig. Bundesweit stünden Kommunen vor der Herausforderung, den Autoverkehr zurückdrängen zu müssen, um ihre Klimaziele zu erreichen. Der Vorteil der Superblocks sei dabei, dass die Initiative dafür meist aus der Zivilgesellschaft komme. „Das gibt der Verwaltung Legitimation und macht es einfacher, so etwas umzusetzen.”
Doch auch wenn Sörensen auf bundesweit mehr als 100 Initiativen für Superblocks verweist: Großflächig etabliert hat sich das aus Barcelona stammende Konzept hierzulande noch nicht. Eine Handvoll tatsächlich umgesetzte Vorhaben sind auf der Webseite von „Changing Cities“ gelistet: in Stuttgart, Darmstadt, Leipzig und zwei in Hamburg. Seit Neuestem dabei: Nürnberg.
In einigen Fällen ist der anfängliche Schwung aber bereits wieder abgeebbt. So etwa in Darmstadt: Dort stoppte der Stadtrat 2023 die Umsetzung eines bereits beschlossenen Superblocks und begründete dies mit den Kosten. Auch in ihrem Wohnort Berlin habe der Senat die Finanzierung zahlreicher Initiativen eingestellt, erzählt Sörensen. Sie fügt hinzu: „Viele deutsche Politikerinnen und Politiker haben Angst, solche Visionen zu entwickeln.“
Über die Sinnhaftigkeit der Vision namens Superblock dürfte auch in Stuttgart bald wieder diskutiert werden, wenn es um die Auswertung des Verkehrsversuchs an der Augustenstraße geht. Dafür spricht nicht nur die bisherige Historie des Projekts, sondern auch der Blick in andere Städte. Superblocks, so viel scheint klar, bleiben ein Aufregerthema.