„Grundsätzlich offen“ sind die Grünen im Landtag für einen Untersuchungsausschuss zum umstrittenen Verkehrsvertrag. Zunächst solle man aber die Prüfung durch den Rechnungshof abwarten, sagt ihr Fraktionsvize. Ähnlich sieht das die SPD.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Grünen im Landtag stehen einem Untersuchungsausschuss zum umstrittenen Verkehrsvertrag zwischen dem Land und der Deutschen Bahn „grundsätzlich offen gegenüber“. Allerdings wolle man zunächst den Bericht des Landesrechnungshofes abwarten, der das Thema „aufgrund des öffentlichen Drucks“ aufgegriffen habe. Mit dieser Erklärung reagierte der Fraktionsvizechef und Verkehrsexperte Andreas Schwarz auf die Forderung des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 nach einer parlamentarischen Aufarbeitung des Vertrages. Der Bündnissprecher Eisenhart von Loeper hatte an die Regierungsfraktionen von Grünen und SPD appelliert, die aus seiner Sicht illegale Subventionierung des Bahnprojekts durch „überhöhte Zahlungen“ für den Schienenverkehr in einem Sondergremium zu untersuchen.

 

Auch die Landtagsfraktion habe „ein großes Interesse daran, Licht ins Dunkel der Vorgänge rund um den Großen Verkehrsvertrag zu bringen“, schrieb Schwarz an das Bündnis. Das Zustandekommen des Kontraktes, „seine schlechte juristische Qualität sowie die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs werfen viele berechtigte Fragen auf“.

„Der schlechteste Vertrag der Republik“

Der unter dem damaligen Verkehrsstaatssekretär Stefan Mappus (CDU) ausgehandelte Vertrag sei „der schlechteste der Republik und mit die größte Altlast der alten Landesregierung“. Für die mangelhaften Leistungen - wie etwa altes Wagenmaterial - zahle Baden-Württemberg auch noch „die bundesweit höchsten Preise“. Zudem versuche die Bahn, „Ungenauigkeiten im Vertrag auszunutzen, um für eine Leistung - Nutzung ihrer Infrastruktur - teilweise doppelt zu kassieren“, kritisierte Schwarz. Diese „doppelte Dynamisierung“ habe das Verkehrsministerium gestoppt.

Das Ressort von Winfried Hermann (Grüne) hat derweil intern recherchiert, wie es zu der – von der Bahn bestrittenen – Doppelzahlung kam. „Nach Auswertung der Aktenlage und Erinnerung der betroffenen Mitarbeiter“ sei diese vom früheren Umwelt- und Verkehrsministerium nicht vorgesehen gewesen, sagte ein Sprecher der StZ. Der damalige Referatsleiter, inzwischen Geschäftsführer eines Verkehrsverbundes, habe sie auch nicht angeordnet. Gleichwohl seien die Zahlungsforderungen der DB Regio „im Gesamten gebilligt“ worden, ohne die Problematik zu erkennen. „Die Angelegenheit fiel 2010 auf“, also noch zu Zeiten der schwarz-gelben Regierung und der CDU-Ministerin Tanja Gönner, und sei „intensiv geprüft“ worden, sagte der Sprecher weiter. Erst nach dem Regierungswechsel gegen Ende 2012 seien die aus Sicht des Landes zu viel bezahlten Beträge einbehalten worden; dabei geht es um 140 Millionen Euro.

Staatsanwalt prüft Anzeige gegen Gönner

Auf die Frage nach einem möglichen Untreue-Verdacht teilte das Ministerium mit, es lägen „keine Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Verhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor“. „Die Verantwortlichkeiten liegen klar bei der damaligen politischen Führung“, hieß es weiter. Auch das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 nimmt die Ex-Ministerin Gönner ins Visier und hat sie wegen des Verdachts der Untreue angezeigt. Sie habe von den überhöhten Zahlungen („S-21-Schmiergelder“) Kenntnis gehabt und sie gleichwohl ausführen lassen; damit habe sie Vermögensinteressen des Landes pflichtwidrig verletzt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart bestätigte den Eingang der Anzeige; diese werde nun geprüft., sagte ein Sprecher. Der Große Verkehrsvertrag wird nun gleich auf mehreren Ebenen untersucht – vom Landesrechnungshof, der noch in diesem Jahr sein Ergebnis vorlegen will, von der Justiz und inzwischen auch von der EU-Kommission.

Nur wenige Tage nach einer entsprechenden Forderung des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD) bestätigte ein Kommissionssprecher, dass die Zahlungen auf eine mögliche Beihilfe-Thematik geprüft würden. Aufgrund einer „formalen Beschwerde“ habe man mit den deutschen Behörden und der Bahn Kontakt aufgenommen; wann ein Ergebnis vorliege, sei nicht absehbar.

Brüssel nimmt Untersuchung wieder auf

Zuständig ist die Generaldirektion Wettbewerb. Bei der Prüfung geht es um die Frage, ob die Bahn dank der Zuschüsse für den Schienenverkehr einen angemessenen Gewinn macht oder ob eine verbotene „Überkompensation“ vorliegt. Eine solche sieht das Stuttgarter Verkehrsministerium. Die Bahn nannte die Vorwürfe, der Vertrag sei überteuert, „nicht neu – und immer noch falsch“. „Die Zahlen, die in diesem Zusammenhang genannt werden, entbehren jeglicher Grundlage“, hieß es in einer Mitteilung. Die EU-Kommission habe schon vor einigen Jahren erbetene Informationen zum Vertrag erhalten. Der VCD hatte nach Angaben seines Landeschefs Matthias Lieb bereits 2010 ein Beihilfeverfahren in Brüssel angestoßen, das damals aber im Sand verlaufen sei. Mit dem Wortlaut des Vertrages und der Einschätzung des Ministeriums dazu verfüge die Kommission nun über neue Unterlagen.

Die Landtags-SPD hält Überlegungen für einen U-Ausschuss derweil für verfrüht. Ihr Verkehrsexperte Hans-Martin Haller verwies gegenüber der StZ auf die Prüfung durch das Ministerium, den Rechnungshof und die EU-Kommission. Dies halte man für „den richtigen Weg“, um den von der SPD von Anfang an kritisierten Vertrag zu durchleuchten. „Weitere Schritte vor einer abschließenden Beurteilung durch diese Institutionen halten wir nicht für zielführend“, betonte Haller.