Ohne Suhrkamp ist die intellektuelle Geschichte der Bundesrepublik nicht zu begreifen: Inzwischen steckt der Verlag in einer schweren, hausgemachten Krise. Seltsam, dass bei all dem Streit überhaupt noch etwas funktioniert.

Stuttgart - Ohne Suhrkamp ist die intellektuelle Geschichte der Bundesrepublik nicht zu begreifen – und seit dem Tod des Verlegers Siegfried Unseld im Jahr 2002 sind die Vorgänge in dem Verlag, den seitdem die Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz führt, kaum mehr zu begreifen. Anfangs sah alles nach einer rabiaten Machtübernahme der neuen Verlegerin aus: Sie trieb wichtige Mitarbeiter und berühmte Autoren aus dem Haus. Als das Personalkarussell sich beruhigte, wurde alles noch schlimmer. Denn der Schweizer Kaufmann Andreas Reinhart, dem Verlag seit den Zeiten des Gründers Peter Suhrkamp freundschaftlich verbunden, ärgerte sich über die Verlegerin und verkaufte seine Beteiligung an Hans Barlach. Spätestens seitdem dieser Mann Anteile an einem Unternehmen besitzt, das von ihm nichts wissen will, kann von „Suhrkamp-Kultur“ im Hause Suhrkamp keine Rede mehr sein. In gleich mehreren Prozessen, deren Zahl der aktuelle Suhrkamp-Rechtsvertreter Peter Raue nicht genau zu beziffern weiß, weil er erst vor kurzem beauftragt worden ist, ziehen die Gesellschafter gegeneinander zu Felde.

 

Der vorerst letzte Akt in den zunehmend das Unternehmen gefährdenden Auseinandersetzungen zwischen dem Mehrheitsgesellschafter Familienstiftung unter Vorsitz von Unseld-Berkéwicz (61 Prozent) und dem Minderheitsgesellschafter Hans Barlach (39 Prozent) ereignete sich am Montag. Das Landgericht Berlin urteilte, der Suhrkamp Verlag sei geschädigt worden, weil er für Veranstaltungen in der Berliner Villa der Verlegerin Miete und weitere Kosten entrichten musste. Die Verlegerin muss als Geschäftsführerin der Verlagsleitungs GmbH Schadensersatz an das eigene Haus in Höhe von 282 456 Euro bezahlen und wird zudem, so das Gericht in einem zweiten Urteil zum selben Komplex, mit ihren Geschäftsführern Thomas Sparr und Jonathan Landgrebe von ihrem Posten abberufen. Der Verlag tut kund, er sei „schockiert und überrascht“.

Suhrkamp will in die Berufung gehen

Die Urteile sind nicht rechtskräftig, denn Suhrkamp wird in die Berufung gehen und meint, dass die nächste Instanz sich mit dem Argument umstimmen lasse, die Kaltmiete für die Räume habe unter dem Wert von 75 000 Euro gelegen, ab dem die Zustimmung des Minderheitsgesellschafters zwingend erforderlich sei. Spätestens bei der Unterscheidung zwischen Kalt- und Warmmiete, so wichtig sie vor Gericht sein mag, muss man sich fragen: In welchem Schmierenstück wird hier einem der wichtigsten intellektuellen Unternehmen der Republik mitgespielt? Die Lage ist dramatisch. Die tägliche Verlagsarbeit, erst recht der Einkauf von Lizenzen in einem Ausland, in dem die Nachricht „Verlagsleiterin von Suhrkamp ist abgesetzt“ kursiert, wird schwieriger.

Die Hauptrolle des Schurken kam bisher Hans Barlach zu, ein Hamburger Immobilienkaufmann, der das Erbe seines berühmten Großvaters vertritt und sich kurzzeitig bei der „Hamburger Morgenpost“ und bei „TV today“ engagierte. Barlach wurde von Suhrkamp als illegitimer Miteigentümer geschmäht und gehindert, sich an der Geschäftsführung zu beteiligen. Bald meldete er den Anspruch an, den Verlag selbst zu führen. Bei einem Gerichtstermin in Frankfurt letzte Woche, wo die Gesellschafter versuchen, einander gegenseitig auszuschließen, kündigte Barlach an, den Verlag auflösen zu wollen, sollte er unterliegen. Der Mann will alles oder nichts. Das, wofür Suhrkamp steht, scheint ihm unwichtig zu sein.

Die Lage ist seit Jahren verfahren

Allerdings ist Ulla Unseld-Berkéwicz diese Haltung nicht ganz unvertraut. Barlach, der immerhin fast die Hälfte des Unternehmens besitzt, wurde offenbar nach Möglichkeit bei keiner Entscheidung nach seiner Zustimmung gefragt. Schon Andreas Reinhart, der ein vertrauensvolles Verhältnis zu Siegfried Unseld besaß, hatte sich von Ulla Unseld-Berkéwicz wie ein „Schweizer Baumwollhändler“ behandelt gefühlt. Bei Barlach müsste man wohl eher von einem Lumpenhändler sprechen. Die Aufforderung des Berliner Richters an die Parteien, einen Vergleich zu schließen, schlug auch Ulla Unseld-Berkéwicz aus. Sie war, wie sich jetzt zeigt, schlecht beraten.

Die Lage ist seit Jahren verfahren. Verglichen mit dem Gebaren der Gesellschafter bei Suhrkamp gehen Arbeitgeber und IG Metall bei Tarifverhandlungen miteinander um wie in einem Gesprächszentrum für Traumaopfer. Die Pressemitteilung des Berliner Landgerichts erlaubt trotz der juristischen Fachsprache einen erschreckenden Einblick in die Suhrkamp-Gesellschafterversammlungen: Offenbar kreist eine nicht geringe Zahl von Anträgen um Anweisungen an die Geschäftsführung, um die Verurteilung ihrer Entscheidungen oder um ihre Absetzung. Bewundernswert, wie der Verlag dennoch in den letzten Jahren eine solch große Zahl von Büchern produzieren konnte, ohne die die literarische Landschaft Deutschlands sehr viel ärmer aussähe.

Droht am Ende die Auflösung?

Wichtige Wirtschaftsunternehmen ließe die Politik nicht so unkontrolliert in Krise und Starrkrampf taumeln. Sie erteilte nicht nur Ratschläge, sie würde auch Vermittler aufdrängen. Bei Suhrkamp ist die Zeit überreif für einen Mediator, der Michael Naumann heißen könnte. Falls es nicht schon zu spät ist. Im Februar wird vor dem Landgericht Frankfurt über den Ausschluss eines der Gesellschafter entschieden – und möglicherweise auch über die Auflösung von Suhrkamp.