Die Gewerkschaft Verdi will den Verlagsstandort Mannheim nicht verloren geben. Die Landesregierung solle tätig werden und die Arbeitnehmerrechte stärken.

Stuttgart - Die Frage, ob der Duden nun „ein Berliner wird“, wie Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit bereits gejubelt hat, ist seit Wochen heftig umstritten. Bekanntlich will die Muttergesellschaft des Duden-Verlages, der Schulbuchverlag Franz Cornelsen Bildungsholding, die Redaktion der gedruckten Rechtschreibbibeln von ihrem Traditionssitz Mannheim in die Hauptstadt verlagern. Dagegen wehren sich der Betriebsrat, die Gewerkschaft Verdi und der Mannheimer OB Peter Kurz, wie Wowereit SPD-Mitglied, heftig. Betroffen von den Plänen sind 120 Mitarbeiter.

 

Nun wird der „Strategiewechsel“ der Cornelsen-Gruppe zum Politikum. Der Betriebsrat soll zwar mit der Geschäftsleitung über ein Konzept zur Sanierung des Duden-Verlags verhandeln, bekommt laut Verdi von ihr aber kein vollständiges Bild über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, weil sich die Manager auf den sogenannten Tendenzschutz berufen (siehe Stichwort Tendenzschutz). Deshalb fordert die Gewerkschaft die grün-rote Landesregierung auf, sich für die Abschaffung dieser Regelung im Betriebsverfassungsgesetz einzusetzen. Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) solle eine entsprechende Initiative im Bundesrat starten, erklärte Verdi.

Mit Verweis auf den Tendenzschutz verweigere die Geschäftsführung des Verlages wesentliche Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrates, kritisierte Leni Breymaier, die Landesbezirksvorsitzende. „Die Grenzziehung zwischen geistig-ideeller Zielsetzung und Gewinnerzielung ist kaum mehr möglich“, urteilt Breymaier. Dies zeige die Auseinandersetzung beim Duden-Verlag einmal mehr: „Dort geht es um den schnöden Mammon“, sagte Breymaier. Die Dienstleistungsgewerkschaft hält den Tendenzschutz, der etwa in Verlagen, kirchlichen Einrichtungen und Theatern gilt, seit langem für überholt.

Die Reaktion des Wirtschaftsministeriums auf den Verdi-Vorstoß fiel verhalten aus: Im Ministerium sei gegenwärtig niemand mit der Frage Tendenzschutz ja oder nein befasst, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Wie die Position der Landesregierung insgesamt zu Tendenzbetrieben ist, war gestern nicht zu erfahren.

Wird der Tendenzschutz missbraucht?

Branchenkenner sehen jedoch die Problematik, dass sich Unternehmen auch missbräuchlich auf den Tendenzschutz berufen, um rein betriebswirtschaftlich motivierte Maßnahmen gegen den Willen der Arbeitnehmervertretern umzusetzen. Der Geschäftsleitung sei nach wie vor an einem konstruktiven Dialog mit dem Betriebsrat interessiert, versicherte ein Sprecher der Cornelsen-Gruppe. Ende der Woche sollten weitere Gespräche stattfinden.

Ende Juli hatte die Eigentümerin des Bibliographischen Instituts (Duden-Verlag) angekündigt, die in Berlin ansässige Sparte Schulbuch stärken zu wollen. Von der Zusammenlegung mit der Print-Dudenredaktion verspricht sich der nach eigenen Angaben größte deutsche Schulbuchverlag Synergien in nicht genannter Höhe. Die Franz Cornelsen Holding beschäftigt 3000 Mitarbeiter und kommt auf einen Jahresumsatz von 430 Millionen Euro. Cornelsen hatte den Duden-Verlag, der in Mannheim standesgemäß in der Dudenstraße residiert, 2009 übernommen. Zuvor hatte sich das Bibliographische Institut bereits von den Rechten an der Brockhaus-Enzyklopädie getrennt. Seit dem Eigentümerwechsel 2009 habe der Duden-Verlag Verluste geschrieben, sagte der Sprecher. Zahlen nannte er nicht.

Gegenwärtig arbeiten am Standort Mannheim noch 190 Frauen und Männer. 30 Computerlinguisten sollen dort ihren Arbeitsplatz behalten, sie gehören zur „sprachtechnologischen Einheit“, die den Sprachwandel in der digitalen Welt verfolgen sollen. Verkauft werden soll der Kinder- und Jugendbuchverlag mit 40 Beschäftigten. Es gebe Interessenten, er könne aber keine Namen nennen, sagte der Cornelsen-Sprecher. Für diese Mitarbeiter gebe es eine Chance, ihren angestammten Arbeitsplatz zu behalten. Wie viele Leute für die gedruckten Duden-Nachschlagewerke künftig gebraucht werden, steht angeblich noch nicht fest. „Der Betriebsrat kennt die Zahlen, wie es dem Verlag geht“, betonte jedoch der Sprecher. Arbeitnehmervertreter befürchten, dass es nur einige wenige der aktuell 120 Beschäftigten sein werden. Der Rechtschreibduden verkauft sich mit einer Auflage von 500 000 Stück jährlich nach wie vor ordentlich, trotz konkurrierender elektronischer Angebote – nicht zuletzt vom Duden-Verlag selbst.

Niederlage vor dem Arbeitsgericht

Ein Antrag des Betriebsrates beim Mannheim Arbeitsgericht, die Verlagerung zu stoppen, ist Ende August gescheitert. Der Betriebsrat beruft sich auf die Standortsicherungszusage der Verlagsleitung bis 2015. Die Arbeitnehmervertreter wollen gegen das Urteil Beschwerde beim Landesarbeitsgericht einlegen.