Ein Junge findet einen Igel. Er ist süß. Aber leider, so stellt sich heraus, auch verletzt. Vielleicht ist er angefahren worden. Was nun?

Architektur/Bauen/Wohnen: Andrea Jenewein (anj)

„Mama, Du musst ganz leise sein“, sagt der Achtjährige. Er zieht seine Mutter zielstrebig zu einem Baum am Rande eines Fußballfeldes auf der Waldau in Degerloch. Am Fuß des Baumes ist ein Loch, darin sitzt ein Igel. „Wie süß“, sagt man spontan. Der Sohn lächelt stolz. Der Igel sei am Morgen schon dagewesen, erklärt er. Da schrillen leise, ganz leise erste Alarmglocken, irgendwo ganz hinten im Gehirn. Warum sitzt ein Igel den ganzen Tag lang am selben Ort, schläft aber nicht, wie es nachtaktive Tiere eigentlich tun, sondern liegt apathisch da und blinzelt mit einem Auge in die Sonne? Und Stopp! Warum mit einem Auge? Das linke ist kaum zu sehen, sieht man beim Näherhinschauen. Da werden die Alarmglocken lauter: Warum lässt der Igel Menschen so nahe an sich heran? „Igel können bellen wie Hunde und fauchen wie Katzen“, sagt der Achtjährige. Dieser Igel macht keines von beiden.

 

Unter dem Auge sitzt so etwas wie ein Geschwür. Er ist krank, so viel ist klar. „Gehen wir zum Tierarzt?“, fragt der Igelfinder. Also wird die Lieblingsjacke des Jungen zum Schutz gegen die Stacheln eingesetzt: Der Igel wird darin eingewickelt zum Auto getragen und in eine Einkaufsbox gesetzt. Die ganze Prozedur erduldet das Wildtier, ohne zu fauchen oder sich einzukugeln. Auch die Fahrt zum Tierarzt lässt er klaglos über sich ergehen.

Der Igel bekommt Rührei – das Katzenfutter verschmäht er

Die Ärztin entfernt zunächst zwei dicke, fette Zecken. Dann wird das Auge begutachtet. „Da ist eine dicke Kruste unter dem Auge“, sagt die Ärztin. Sie versucht, diese zu entfernen – aber das gefällt dem Igel nun ganz und gar nicht. Er kugelt sich ein. Nur mit einiger Geduld gelingt es der Ärztin schließlich doch noch, die Kruste zu entfernen. Darunter ist eine eitrige Wunde. Diese wird versorgt, zudem bekommt das Igelchen Antibiotika gespritzt. Da der Igel auch weiterhin ärztliche Versorgung benötigt, rät die Ärztin, den Igel am nächsten Tag beim Tierheim abzugeben, bis dahin braucht er eine Kiste mit Blättern, die am besten im Keller untergebracht wird. Gefüttert werden sollte er mit Rührei und Katzenfutter. Der Achtjährige sammelt zuhause mit Feuereifer Laub ein, ein Rührei wird gemacht – und der Igel verschlingt es mit einem Mordshunger. Wenn er was fressen würde, sei das schon mal ein gutes Zeichen, hatte die Tierärztin gesagt. „Wie sollen wir ihn eigentlich nennen?“, fragt der Junge. Da die Ärztin nicht das Geschlecht des Igels verraten hatte, fällt die Wahl auf Toni. Das geht für Männlein wie Weiblein. Auch ein zweites Rührei vertilgt Toni noch laut schmatzend, das Katzenfutter indes wird verschmäht. Nun kann sich der Igel im Keller ins Laub einkuscheln und schlafen. „Toni schnarcht“, stellt der Achtjährige fest.

Toni hat zum Glück keine Maden

Am nächsten Morgen verabschiedet sich der Junge vom Igel. Er ist traurig, dass er geht, aber froh, ihm geholfen zu haben. Für ihn geht es in die Schule, für den Igel ins Tierheim nach Botnang. Zusammen mit der Tierpflegerin Sina Niestle, die gerade ihr FSJ im Tierheim macht, wird Toni bei der Tierheim-Tierärztin Christina Ebert-Schramm vorstellig. Sie betrachtet Toni von allen Seiten, stellt fest, dass die Stelle unter dem Auge dick geschwollen ist und eitert, auch aus der Nase fließt Eiter. „Er belastet auch den linken Fuß nicht“, sagt Ebert-Schramm. Nach einer kurzen Untersuchung stellt sie fest, dass das Füßchen tatsächlich verletzt ist. „Es scheint, dass er einen Schlag von links abbekommen hat“, sagt Ebert-Schramm. Ein Auto? Oder ein Rasenmäher? Schließlich hatte schon der Junge gesagt, dass das Auto neben dem Uhu und Hunden die größte Gefahr für Igel sei. Ansonsten ist Ebert-Schramm aber zufrieden mit Toni. „Er ist nur leicht eingefallen, wiegt auch immerhin 550 Gramm“, sagt sie.

Um für den Winter gewappnet zu sein, sollte ein Igel mindestens 500 bis 600 Gramm auf die Waage bringen. Sie schaut in seine Ohren. „Maden hat er zum Glück keine – das ist zur Zeit ein großes Problem bei Igeln.“ Seien diese schon groß und viele an der Zahl, müsse man den Igel einschläfern, er „wird sonst von innen aufgefressen“. Ebert-Schramm entfernt eine weitere Zecke, gibt dem Igel ein Mittel gegen Zecken und Läuse und ein Mittel auf die Wunde und spritzt ihm dann noch einmal ein Antibiotikum.

Derzeit sind rund 20 Igel im Kleintierhaus untergebracht

Und noch eins stellt Ebert-Schramm fest: Toni ist ein Mädchen! Zusammen mit der Tierpflegerin Sina Niestle und den Tropfen für die Wunde, die sie zweimal täglich bekommen muss, geht es für die Igeldame nun ins Kleintierhaus. Dort bekommt sie neben den anderen rund 20 Igeln, die hier derzeit untergekommen sind, ein Nestchen. Sie wird täglich medizinisch versorgt, bekommt Futter und wird aufgepäppelt. In der Hoffnung, dass sie in zehn bis 14 Tagen wieder gesund ist und ausgewildert werden kann.

Der Achtjährige will dann natürlich unbedingt dabei sein, um Toni wieder in die Freiheit zu entlassen. Damit sie ein Winterquartier finden kann, indem sie ungestört schlafen und schnarchen kann.

Info

Wann braucht ein Igel Hilfe?
Ab Mitte November schlummern die meisten Igel. Von kurzen Unterbrechungen abgesehen verschlafen sie die kalte Jahreszeit bis in den März oder April. Ist ein Igel derzeit noch offensichtlich zu dünn (also wiegt deutlich weniger als 500 bis 600 Gramm), ist er – entgegen seiner Natur – tagaktiv oder apathisch oder gar verletzt, dann braucht er Hilfe. „Wer sich unsicher ist, kann jederzeit bei uns anrufen und nachfragen“, sagt Petra Veiel, Pressesprecherin im Tierheim Botnang. Manchmal reiche es, einem unterernährtem Igel eine Futterstelle einzurichten. Er sollte qualitativ hochwertiges Feucht- und/oder Trockenfutter für Katzen mit hohem Fleischanteil bekommen. Auch gegartes (niemals rohes Fleisch), ungewürztes Rinderhackfleisch oder gestocktes Rührei können gefüttert werden. Ungeeignet für Igel sind Milch, Nüsse, Obst und Küchenabfälle.

Tierheim Botnang
Manchmal aber muss man das Tier ins Tierheim bringen. Dort wird es dann vom Tierarzt versorgt. „Wir sind gerade rappelvoll mit Igeln“, sagt Veiel. Rund 20 Igel haben derzeit einen Unterschlupf im Kleintierhaus gefunden. „Die meisten sind unterernährt, vermutlich, weil der Sommer sehr trocken war und sie nun nicht genügend Insekten finden“, so Veiel. Die Igel werden versorgt und gepäppelt und im besten Fall noch so rechtzeitig ausgewildert, dass sie einen geeigneten Platz für den Winterschlaf finden können. Ansonsten dürfen die Igel im Tierheim überwintern.