Reportage: Robin Szuttor (szu)

Während der letzten Jahre richtete der Volksbund 500 Friedhöfe der beiden Weltkriege wieder her oder legte sie neu an. 716 000 tote Soldaten wurden umgebettet. Allein in Russland bergen hauptamtliche „Umbetter“ des Volksbunds in Zusammenarbeit mit einheimischen Hilfskräften jährlich immer noch 45 000 Tote und legen deren Gebeine in Gräber auf Sammelfriedhöfen. Nur so sei es finanziell möglich, die Gedenkstätten auch dauerhaft zu pflegen, sagt der Landesgeschäftsführer Martin Lunitz. „Viele der Toten können heute noch identifiziert werden – durch Erkennungsmarken, Eheringe, Skelettmerkmale oder Aufzeichnungen.“ Wenn die Lage es zuließ, habe die Wehrmacht damals hinter der Front Gräber angelegt und darüber Buch geführt. Oft müsse man sich bei der Suche nach Massengräbern auf Zeitzeugen oder Geländeskizzen stützen, was die Arbeit enorm erschwere. Der letzte von 19 großen Sammelfriedhöfen in Russland mit 60 000 Toten des Mittelabschnitts ist jetzt bei Smolensk fertig geworden. Auf einen Obergefreiten Friedrich Jahn, geboren 1903 in Stuttgart, gibt es bis heute keinen Hinweis. „März ’44: Noch vor Albrechts zweitem Geburtstag ist das Vaterle, nach 15 Monaten, in Urlaub gekommen. Eine zu lange Zeit für Albrecht, um noch eine Erinnerung zu haben. Am Heiligen Abend morgens um 6.45 Uhr war er einfach da. Ein Klingeln und ein Pfiff, unser Pfiff, und der Vater stand im Flur. Albrecht war auch aufgewacht und stand im Bett. Ich habe ihn rausgeholt, und er rannte sofort zu den anderen, sofort war er auch beim Vaterle, es musste so sein. Die drei Wochen Urlaub gehörte er wieder zur Familie. Wir machten einen Ausflug nach Bad Mergentheim zur Tante, einen Besuch in Stuttgart. Nur zu schnell sind die schönen Tage vergangen. Es ging wieder heim nach Strausberg. Und am nächsten Morgen war der Vater wieder fort, als der Albrecht erwachte . . .  Juli ’44: Der Krieg tobt an allen Fronten schlimmer als an Ostern, auch dort, wo unser Vaterle gewesen ist. Wir warten täglich auf Nachricht, die schon so lange auf sich warten lässt.“

 

Seit elf Jahren vermittelt die Volksbundstiftung „Gedenken und Frieden“ Reisen zu Kriegsgräbern und Gedenkstätten im Ausland. Nach Russland ist Albrecht Jahn bis jetzt noch nicht gekommen. Aber mit einer Schulklasse und ein paar älteren Herren hat er mal eine Busfahrt nach Straßburg gemacht. Sie waren auf einem Gräberfeld, haben gebetet, gesungen und einen Kranz niedergelegt. „Das war zwar in Frankreich“, sagt er, „ich hab trotzdem an meinen Vater in den Prypjatsümpfen gedacht.“

// Alle bisher erschienenen Serienfolgen unter http://stzlinx.de/vermisstwird