Hunderte Bürger einer walisischen Kleinstadt suchen eine seit Montagabend vermisste Fünfjährige. Der Polizei wird die private Detektivarbeit unheimlich.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Wales - Machynlleth im Westen von Wales ist nur ein kleiner Flecken, fernab der großen Städte. Sehr viel passiert in einer solchen Ortschaft nicht. Diese Woche aber ist die Kleinstadt nicht wiederzuerkennen. Mit einem Mal füllten Polizeiuniformen, Blaulicht und Mannschaften der Küstenwache Machynlleths Straßen. Spürhunde schnüffelten überall herum. Taschenlampen und Regenschutz wurden ausgegeben. Leute aus abgelegenen Teilen Englands kamen über Nacht herbeigefahren. Busunternehmen karrten ganze Ladungen von Amateurdetektiven heran. Kamerateams aus London positionierten sich entlang der Bürgersteigen.

 

Grund dieses Aufmarschs ist ein kleines Mädchen, das seit Montagabend vermisst wird. Die fünfjährige April Jones hatte mit Freundinnen vor dem Haus gespielt und war – nach Angaben der anderen Kinder – zu einem ihr offenbar bekannten Fahrer ins Auto gestiegen. Den Wagen glaubt die Polizei inzwischen identifiziert und in einer Werkstatt entdeckt zu haben. Am Mittwoch bestätigten die Ermittler, dass sie einen 46-jährigen Mann aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Jones-Familie festgenommen haben. Von dem Mädchen allerdings fehlt jede Spur. Spezialeinheiten durchkämmten Hügel, Farmland und Wälder. Auf dem über die Ufer getretenen Fluss Dyfi waren Suchboote im Einsatz, die die Küstenwache und die Lebensrettungsgesellschaft eilends herbeigeschafft hatten.

46-jähriger Verdächtiger festgenommen

Ob noch ein Leben zu retten ist, kann niemand sagen. In Machynlleths Kirche wurden bereits Kerzen angezündet und „Mahnwachen“ abgehalten. Familie, Freunde und alle, die an Aprils Schicksal Anteil nahmen, klammerten sich an den Gedanken, dass das Kind vielleicht von einem Komplizen des mutmaßlichen Entführers irgendwo festgehalten wird. Die Polizei, die den Verdächtigen verhört, weigert sich, Weiteres zu dem Fall zu sagen.

Stattdessen bat sie die Öffentlichkeit ausdrücklich, ihre „bewundernswerte Hilfsbereitschaft“ bei der Suche nach April doch bitte auf Zeugenaussagen zu beschränken und nicht länger auf eigene Faust durch die Gegend zu streifen. Schon wenige Stunden nämlich nachdem Aprils Verschwinden bekannt geworden war, setzten sich Ortsansässige mit Stock und Stab, Fahrrädern und Lampen in Bewegung. Am Dienstag waren Hunderte auf den Beinen, am Mittwoch wohl Tausende. Selbst Leute aus fernen englischen Städten seien spontan nach Machynlleth gefahren, als sie im Fernsehen oder Internet von April Jones hörten, berichtet der Bürgermeister Gareth Jones. Am Jugendzentrum kamen Leute schon am Montagabend mit Suchzetteln angelaufen, die sie kopieren wollten. Die Vizechefin des Zentrums, Sian Rees, stellte noch am selben Abend das Gebäude als Anlaufstelle zur Verfügung. In null Komma nichts, erzählt sie, hätten Ladenbesitzer Verpflegung und Getränke angefahren und andere Geschäfte Taschenlampen und Regenschutz ausgeteilt. Die Müllmänner der Gemeinde gaben es am Dienstag auf, Tonnen zu leeren, und reihten sich in die Suchkommandos ein.

Polizei: Bürger sollen private Suche einstellen

Der Polizei wird all diese private Detektivarbeit jetzt offenbar unheimlich. Sie fordert die Leute auf, „besser eine Pause einzulegen“ und die Suche nach April den Profis zu überlassen. Es sei zu gefährlich, wenn so viele Menschen gleichzeitig in Herbststürmen und Hochwassergebieten durch die Landschaft zögen. Viele Bürger schütteln den Kopf. Sie wollen „ja nur helfen“. „Jeder hier will, dass sie nach Hause kommt“, sagt Brian Vaughn, dessen Tochter eine Schulkameradin Aprils ist. Sian Rees vom Jugendzentrum fügt hinzu: „Niemand denkt, dass so etwas in einer Kleinstadt wie hier bei uns passiert.“ Am Mittwochnachmittag erlaubte es die Polizei, dass sich ein paar handverlesene Freiwillige an ihrer Suche beteiligen. In Aprils Schule wird Schülern und Lehrern unterdessen psychologischer Beistand angeboten. Die Hoffnung gibt trotzdem niemand auf.