Die größte Sozialreform der Bundesregierung steckt fest. Vor der entscheidenden Sitzung des Vermittlungsausschusses am Mittwoch loten Regierung und Opposition potenzielle Kompromisse aus.

Das Bürgergeld soll das heutige Hartz-IV-System ersetzen. Die Reform sieht unter anderem höhere Regelsätze und eine eingehendere Betreuung der Arbeitslosen vor. Doch um das im Bundestag beschlossene Bürgergeld durchzusetzen, benötigt die Ampel die Zustimmung der unions-geführten Länder im Bundesrat.

 

Damit das Bürgergeld wie geplant zum Jahresbeginn kommen kann, soll ein Vermittlungsausschuss mit Vertretern aus Bundestag und Bundesrat am Mittwochabend einen Kompromiss finden. Nach dem Willen der Bundesregierung soll das Gesetz dann am Freitag im Bundesrat beschlossen werden. Denn laut der Bundesagentur für Arbeit ist eine Einigung bis Ende dieses Monats notwendig, damit die Auszahlung der höheren Regelsätze auch technisch bis zum Jahresbeginn 2023 umgesetzt werden kann.

Problemzone: Vertrauenszeit

CDU-Chef Friedrich Merz hatte auf dem „Deutschlandtag“ der Jungen Union deutlich gemacht, dass die Union große Zugeständnisse von der Ampel-Koalition fordert und dass er nicht unbedingt mit einer schnellen Lösung rechnet. Einem Bericht der Bild-Zeitung zufolge gebe es aber bereits erste Schritte Richtung Einigung.

Aus Sicht der Union dürfen künftige Bürgergeld-Empfänger zu viel Vermögen behalten und müssen zu wenige Sanktionen fürchten, wenn sie die Vorgaben des Jobcenters nicht erfüllen. Mit der nahezu sanktionsfreien sogenannten Vertrauenszeit werde das Signal vermittelt, dass sich Betroffene bei der Jobsuche Zeit lassen könnten, heißt es vonseiten der Union. Die Pläne des Bürgergeldes sehen vor, dass am Anfang des Bezugs eine halbjährliche Vertrauenszeit steht. Innerhalb dieses Zeitraums drohen den Bezugnehmern nur eingeschränkt Leistungskürzungen – und zwar dann, wenn sie mehrfach einen Termin im Jobcenter verpassen. Tritt dieses Szenario ein, ist eine zehnprozentige Leistungskürzung möglich. Erst nach sechs Monaten drohen dann weitere Maßnahmen, etwa wenn der Betroffene eine zumutbare Stelle nicht antritt. Nach einem Karlsruher Urteil von 2019 ist aber eine maximale Kürzung von bis zu 30 Prozent möglich.

Wie könnte der Kompromiss aussehen?

Während die Union die Vertrauenszeit streichen will, sprechen sich SPD und Grüne dafür aus. Aus ihrer Sicht sei die Vertrauenszeit ein Signal für eine neue Kultur in den Jobcentern. Die FDP hingegen sieht die Vertrauenszeit als Verhandlungsmasse. Sie forderte ihre Koalitionspartner außerdem zum Einlenken auf.

Weitere Reibungspunkte

Ein weiterer Knackpunkt der Verhandlungen am Mittwoch könnte das sogenannte Schonvermögen werden. Dieses sieht vor, dass Bezugnehmern in den ersten 24 Monaten Leistungen gewährt werden, wenn kein erhebliches Vermögen vorhanden ist. In dieser Karenzzeit könnten dann Kosten für Miete und Heizung übernommen werden, damit Betroffene nicht das Ersparte aufbrauchen müssen.

Die Union sieht das von der Ampel befürwortete Konzept von 60 000 Euro pro Leistungsbezieher sowie 30 000 für jeden weiteren Menschen im Haushalt als deutlich zu hoch, lehnt das Schonvermögen aber nicht gänzlich ab. Auch an dieser Stelle wäre ein Kompromiss, in dem Betroffenen weniger als 60 000 Euro zugestanden wird, denkbar.

Wo gibt es Einigkeit?

Trotz den Reibereien zwischen Regierung und Opposition herrscht in den Grundsätzen der Reform Einigkeit. Neben der Erhöhung der Regelsätze sind mehr Eingliederung in Ausbildung und Arbeit sowie die Überwindung der Hilfebedürftigkeit die Kernziele.

Konkret geplant ist, dass alle Leistungsbezieher einen persönlichen Ansprechpartner bekommen und gemeinsam einen Kooperationsplan erstellen. Außerdem soll es Weiterbildung, Umschulung, Ausbildung, Berufsorientierung sowie aktivierende Programme geben. Im Vergleich zum Hartz-IV soll der Vorrang auf zügige Vermittlung von Arbeit abgeschafft werden, wodurch viele in Helferjobs landen. Die Reformbestandteile sollen ab Juli 2023 greifen.