Vaillant Die Rente baut konsequent auf dem Arbeitsleben auf, das heißt, wer ununterbrochen und Vollzeit erwerbstätig war, der hat eine Rente zu erwarten, von der er leben kann. Aber das war für Frauen, die Kinder bekommen haben, unmöglich.
Man könnte sagen, sie hatten die freie Wahl.
Bylow Ja, die freie Wahl . . . wenn man von Pontius zu Pilatus rennen muss, um einen Betreuungsplatz fürs Kind zu kriegen, wenn das Kind mittags um eins vor der Tür steht, weil es keine Ganztagsschulen gibt: da haben Frauen, die berufstätig sein wollen, nicht die freie Wahl, da haben sie die Arschkarte. Vaillant Ich sehe Frauen, die das Gleichberechtigungsversprechen ernst genommen, die viel in ihre Ausbildung investiert und am Anfang auch noch geglaubt haben, dass sie erwünscht seien als Frau, die beides will, Familie
Kristina Vaillant Foto: Kuke
und Beruf. Und dann feststellen mussten, dass für sie allenfalls ein Teilzeit-Job vorgesehen war. Viele haben das gespürt, aber analysiert haben wir das damals nicht. Dabei war es politisch gewollt: In den Neunzigern waren die Betreuungsangebote in Westdeutschland kaum vorhanden, steigende Arbeitslosigkeit wurde prognostiziert, und es gab einen Geburtenknick. Da hat man die Frauen ins Haus gelockt – mit der Ausweitung von Erziehungszeiten und Teilzeit. In den aussichtsreichen und sicheren Vollzeit-Jobs waren die Frauen gar nicht erwünscht.
Hat sich das geändert?
Vaillant Bis heute arbeitet unter den Frauen zwischen 30 und 40 jede zweite Teilzeit. In Deutschland bedeutet das meistens, man kann nur 15 bis 20 Stunden arbeiten oder, noch schlimmer, einen Minijob machen. In anderen Ländern kann man auch in Teilzeit eine Führungsposition besetzen. Bei uns ist das der totale Aufstiegskiller. Teilzeit ist der Wühltisch des Arbeitsmarktes.
Wenn Sie Recht haben, müssten ostdeutsche Frauen Ihrer Generation mit entsprechenden Erwerbsbiografien besser gestellt sein.
Vaillant Der Abstand bei der Rentenerwartung zwischen Frauen und Männern in unserer Generation liegt in den neuen Bundesländern bei 15 Prozent, im Westen liegt er bei 50 Prozent. Und diese Rentenlücke hat sich in 20 Jahren nicht verkleinert, obwohl in unserer Generation die Frauen gut ausgebildet und zu 80 Prozent berufstätig sind. Unter allen 34 OECD-Ländern – dazu gehört Chile, die Türkei – ist die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen hierzulande am größten.
Reden wir mal über die Männer. Was haben sie anders gemacht?
Vaillant Wenn männliche Autoren über diese Generation schreiben, geht es immer darum, dass es alle irgendwie geschafft haben, da ist ein Gefühl von Angekommen-Sein und Triumph. Bylow Ich glaube, viele Männer unserer Generation waren in ihren Dreißigern und oft darüber hinaus nicht scharf auf Familie. Sie ahnten, dass das nicht so einfach wird wie in der Generation ihrer Väter – mit diesen Frauen, die nicht leben wollten wie ihre Mütter. Wir waren gut ausgebildet und wollten uns die Sorge für Kinder und Haushalt auch teilen. Wir wollten uns nicht aus dem Beruf drängen lassen. Doch genau das ist dann bei vielen passiert. Nach ein paar Jahren lebten sie das deutsche Standardmodell: männlicher Hauptverdiener, weibliche Zuverdienerin. Dieses Modell endet aber genau dann, wenn die Ehe endet. Seit dem neuen Unterhaltsrecht von 2008 gibt es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keinen Unterhalt für Ex-Partner mehr.
Was würden Sie jungen Frauen raten?