Bei der Mitgliederversammlung von Haus & Grund Stuttgart ernteten Oberbürgermeister und Gemeinderat viel Kritik. Geschäftsführer Ulrich Wecker hatte auch eine klare Meinung zu den drohenden Dieselfahrverboten.
Stuttgart - Hier ist schon alles voll“, teilt der Saalordner jenen mit, die den Hegelsaal der Liederhalle am Samstagvormittag wie gewohnt über die Treppe nach unten aufsuchen wollen. Dabei soll die 112. Mieterversammlung von Haus & Grund Stuttgart erst in einer guten Viertelstunde beginnen. „Wir sind überfüllt“, stellt der Vorsitzende des Eigentümervereins, Klaus Lang, zufrieden fest. 1 200 der aktuell rund 21 000 Mitglieder sind der Einladung gefolgt, sich über die Jahresbilanz ihrer Interessenvertretung zu informieren und die Entwicklungen am Immobilienmarkt sowie die aktuellen politischen Rahmenbedingungen zu reflektieren.
„Es hätte schlimmer kommen können“
So liefert der Landesverbandsvorsitzende Michael Hennrich, CDU-Abgeordneter im Bundestag, eine erste Einschätzung der großen Koalition. Sein Fazit: Jamaika wäre für Eigentümer von Wohnraum und Grund wahrscheinlich besser gewesen, auch die neue Regierung habe aber bereits ein paar wichtige Weichen gestellt. Das vom Tübinger OB Boris Palmer vorgeschlagene Mietobergrenzengesetz oder die Idee, Mieteinnahmen zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme heranzuziehen, seien vom Tisch.
„Es hätte schlimmer kommen können“, sagt Hennrich. Positiv wertet er auch, dass der Bereich Wohnen und Bauen nun nicht länger ein „Anhängsel des Umweltministeriums“, sondern dem Innenministerium zugeordnet sei. Der Verzicht auf eine weitere Anhebung der energetischen Standards, sei ebenfalls erfreulich. Diese hätten in den vergangenen Jahren enorm zur Preissteigerung auf dem Wohnungsmarkt beigetragen.
5000 neue Wohnungen pro Jahr benötigt
Eine Erklärung für das Mietpreisniveau in Stuttgart liefert der Wirtschaftswissenschaftler und Bankenexperte Bernd Nolte in seinem Gastvortrag. Der anhaltende Wachstumsboom und die Position der Region im europäischen Wettbewerb führten zu hohen Löhnen, höheren Lebenshaltungskosten und damit folgerichtig auch zu höheren Mieten. Viel Kritik erntet die Wohnungsbaupolitik der Stadt. Klaus Lang nannte die angestrebte Zahl von 1800 neuen Wohnungen pro Jahr „willkürlich festgesetzt“ und witzelt, sie sei OB Kuhn wahrscheinlich im Traum erschienen. Ein Gutachten, das Haus & Grund in Auftrag gegeben hatte, beziffert den jährlichen Bedarf an neuen Wohnungen auf 5 000. „Wir brauchen dringend eine Erschließung neuer Baugebiete“, betont Lang. Ein Umdenken der Verantwortlichen sei überfällig. Geschäftsführer Ulrich Wecker nimmt im Anschluss die Feinstaubpolitik aufs Korn. Er äußert sein Unverständnis darüber, dass nun auf einmal von Fahrverboten die Rede sei, während man vor Jahren trotz schlechter ausgestatteter Diesel kaum über die Luftbelastung gesprochen habe. Sein Resümee: „Fahrverbote sind des Teufels!“ Stattdessen fordert Wecker die Schaffung von deutlich mehr Wohnraum: „Wenn mehr Arbeitnehmer, die heute täglich nach Stuttgart pendeln, hier leben könnten, würde das die Feinstaubproblematik deutlich entschärfen.“