Der CDU-Bundesparteitag in Hamburg hat wichtige personelle Klärungen gebracht, dennoch steuert die Union auf eine ungewisse Zukunft zu. Das sind die Lehren aus Hamburg.

Hamburg - Der Hamburger Parteitag der CDU brachte viele wegweisende Entscheidungen: Er markierte das Ende der Ära von Angela Merkel als Parteichefin und leitete einen Umbruch an der Parteispitze ein.

 

Erkenntis Nummer 1: Annegret Kramp-Karrenbauer steht vor einer schweren Aufgabe

Der Wechsel im Parteivorsitz ist ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte der CDU. Ob er den Beginn einer neuen Ära darstellt, ist längst noch nicht ausgemacht. Das knappe Wahlergebnis zeigt eine Spaltung in der Partei. Die unterlegenen Merz-Anhänger sind sehr unzufrieden. Wenn die neue Parteichefin ihnen keine Angebote macht, vor allem aber, wenn sie keine schnellen Erfolge an den Wahlurnen vorweisen kann, wird es rasch ungemütlich für sie. Der Wahl-Kalender sieht aber nicht gerade günstig für die Annegret Kramp-Karrenbauer aus. Im Mai stehen die Europawahlen an, im nächsten Herbst einige Landtagswahlen in Ostdeutschland – alles schwieriges Terrain. Sollten da die Erfolge ausbleiben, könnte das Merz-Lager die Vorsitzende zum Rückspiel fordern, wenn es um die Frage der Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahlen im Jahr 2021 geht. Friedrich Merz wird dann Geschichte sein – Jens Spahn aber bestimmt nicht.

Erkenntnis Nummer 2: Das Machtzentrum der Union verschiebt sich Richtung Kanzleramt

Angela Merkel wird mit diesem Bundesparteitag zufrieden sein. Sie hat den von ihr angestrebten selbstbestimmten Abschied vom Parteivorsitz in Würde hinbekommen. Vor allem aber blieb ihr erspart, dass sich an der Spitze der Partei nun mit Friedrich Merz ein Mann etabliert, der in wesentlichen Punkten ein Kontrastprogramm zu ihrer Politik propagiert. Annegret Kramp-Karrenbauer als Parteichefin – das ist auch das Resultat einer seit langem verfolgten Strategie der Kanzlerin. Sie hatte die Saarländerin ganz bewusst als Generalsekretärin in die Bundespolitik geholt. Als Parteichefin wird Kramp-Karrenbauer zwar eigene Akzente setzen, ganz bestimmt aber Merkel stützen und nicht blockieren. Dieses Bündnis lässt für den neuen CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak kaum Spielraum für eigene Gestaltung – zumal sein Schritt im Lager der konservativen Bannerträger in der Union fast schon als Verrat angesehen wird.

Erkenntnis Nummer 3: Die Koalition ist gestärkt

Auf die große Koalition in Berlin wirkt der Bundesparteitag der CDU stabilisierend. Friedrich Merz dagegen wäre ein großer Störfaktor geworden. Er sieht in der Politik der Kanzlerin die Ursache für die schlechten Wahlergebnisse der Union. Seine Agenda hätte einen raschen Ausstieg der Union aus der Bundesregierung beinhaltet. Diesen Druck auf Merkel gibt es unter Kramp-Karernbauer sicher nicht. Da neuerdings auch aus der CSU wieder versöhnlichere Zeichen kommen, sind die Voraussetzungen für ein ruhigeres, sachbezogeneres Regieren wesentlich für eine Weile gegeben.

Erkenntnis Nummer 4: Merz ist raus, Spahn bleibt im Spiel

Friedrich Merz hat sich mit seiner Absage, ein Präsidiumsamt anzunehmen, selbst dauerhaft aus dem Spiel genommen. Aber Merz ist durchaus nicht der einzige Verlierer des Parteitags. Er hatte prominente Förderer. Wolfgang Schäuble warf sich mit einem Interview wuchtig in die Bresche. Es hat nichts genutzt. Schäuble ist vielleicht noch ein gehörter Ratgeber in der Partei, ein Kraftzentrum ist er nicht mehr. Jens Spahn dagegen hat zwar bei der Abstimmung über den Parteivorsitz viel schlechter abgeschnitten als Merz, aber ein Verlierer ist er dennoch nicht. Er hat sich als krasser Außenseiter souverän und locker präsentiert. Das hat ihm viel Respekt in der Partei eingetragen. Er bleibt im Spiel. Wenn die Konservativen demnächst auf die Idee kämen, Kramp-Karrenbauer die Kanzlerkandidatur streitig zu machen, könnten sie an Spahn nicht vorbei. Das ist eine sehr bequeme Position. Spahn ist der Mann, der nun bereit steht wenn AKK scheitert.

Erkenntnis Nummer 5: Der populistische Streit um den Migrationspakt hat in der Partei nicht verfangen

Mit großer Mehrheit hat der Parteitag noch am Freitagabend vor nicht mehr sehr vollem Hause seine Zustimmung zum UN-Migrationspakt beschlossen. Die Debatte war sachlich und sehr überschaubar – sieht man von einem Delegierten ab, der der Kanzlerin im Falle einer Unterschrift in Marrakesch „Landesverrat“ vorwarf. Damit hat das, was Fraktionschef Ralph Brinkhaus eine „beispiellose Kampagne gegen den Migrationspakt“ nannte, bei der „bewusst Fakten“ weggelassen würden, letztlich in der CDU nicht verfangen. Eine Zeit lang sah das anders aus. Als Kandidat für den Vorsitz machte Jens Spahn den Pakt offensiv zum Thema und schlug sogar vor, Deutschland solle notfalls später unterschreiben. In der Debatte beim Parteitag meldete sich Spahn übrigens zum Thema gar nicht mehr zu Wort.

Erkenntnis Nummer 6: Eine CDU mit AKK und Paul Ziemiak ist konservativer als sie aussieht

Die Entscheidung der Partei für Annegret Kramp-Karrenbauer wird vor allem von Friedrich Merz’ Anhängern als Entscheidung gegen einen klaren konservativen Kompass eingeordnet. Mag sein, dass die CDU mit einer Frau und einem Migranten an der Spitze sehr progressiv aussieht. Inhaltlich allerdings gibt es für eine stärkere Drift in die politische Mitte wenige Belege. Annegret Kramp-Karrenbauer stand als Innenministerin im Saarland für Law-and-Order, setzte durch, dass Flüchtlinge zur Altersfeststellung geröntgt werden, sie spricht sich für die Abschiebung straffälliger syrischer Flüchtlinge und eine Wiedereinreisesperre im Schengen-Raum aus und kritisiert die doppelte Staatsbürgerschaft. Sie ist gegen die Ehe für alle und die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Paul Ziemiak gehört zum konservativen Flügel der Partei und pflegt eine klare, zuspitzende Sprache, er spricht gern von Traditionen und Werten.

Erkenntnis Nummer 7: Eine Frau an der Spitze der Partei ist Normalität

Die CDU hat mit der Wahl Annegret Kramp-Karrenbauers Modernität bewiesen: Denn mit der zweiten Frau in Folge an der Spitze der Partei ist der entscheidende Schritt von der Ausnahme zur Normalität gemacht. Die Frage des Geschlechts ist damit als nachrangig markiert worden – es ging um Personen und Positionen.